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Neue Bundeswaldinventur: Warum der Wald als Klimaschützer ausfallen wird

Am Dienstag erscheint die große Bestandsaufnahme des deutschen Waldes. Uns vorliegende Daten zeichnen ein erschreckendes Bild. Der heimische Wald ist zur Kohlenstoffquelle geworden.
Kalamitätsflächen im Eggegebirge bei Paderborn
Abgeräumte Fläche nach Borkenkäferbefall: Wegen Klimawandel und Intensiv-Forstwirtschaft hat der deutsche Wald großen Schaden genommen. Das wirkt sich auch auf seine Rolle als Kohlenstoffspeicher aus.

Alle zehn Jahre findet im deutschen Wald eine Art Volkszählung statt. Dabei erfassen Experten des staatlichen Thünen-Instituts, wie groß die Waldfläche Deutschlands ist, aus welchen Baumarten sich die Wälder zusammensetzen, wie alt die Bestände sind und in welchem Zustand sie sich befinden. Auch das Ausmaß der Holznutzung und die Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung von Wäldern und Forsten wird ermittelt. Auftraggeber dieser so genannten Bundeswaldinventur ist das Bundeslandwirtschaftsministerium. Am kommenden Dienstag stellt Agrarminister Cem Özdemir die Ergebnisse dieser Bilanz für die letzten zehn Jahre vor.

Nicht nur Förster, Waldbauern und Naturschützer blicken den Ergebnissen gespannt entgegen. Auch Özdemirs Ministerkollegen, allen voran Klimaschutzminister Robert Habeck, dürften sich dafür interessieren. Denn das Zahlenwerk soll Aufschluss darüber geben, ob die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele im Landnutzungssektor und damit die für das Jahr 2045 angestrebte Treibhausgasneutralität erreichen kann.

»Spektrum der Wissenschaft« liegt eine Zusammenfassung der Ergebnisse bereits vor. Danach macht die Lage im Wald die Hoffnungen gründlich zunichte, mit Hilfe des Waldes die Klimaziele erreichen zu können. Zum ersten Mal seit Beginn der Erhebungen kann der Wald in Deutschland keinen Klimaschutzbeitrag als Kohlenstoffsenke mehr leisten. Im Gegenteil: Deutschlands größtes Ökosystem ist seit 2017 zu einer Quelle für Treibhausgasemissionen geworden.

Als Kohlenstoffsenke kann ein Wald nur wirken, wenn er im großen Stil neue Biomasse in Wurzeln, Stämmen und Ästen aufbaut und dadurch Kohlenstoff einlagert. Die Daten der Bundeswaldinventur zeigen jedoch, dass der Holzzuwachs und damit die Menge des gebundenen Kohlenstoffs stagnieren.

Eine Maßzahl dafür ist der so genannte Holzvorrat. Er beschreibt die gesamte oberirdische Biomasse der Wälder. Mit 3,6 Milliarden Kubikmetern ist der Wert gegenüber der letzten Inventur von 2012 praktisch unverändert geblieben. Gleiches gilt für den gespeicherten Kohlenstoff. Alle Wälder Deutschlands zusammen binden den aktuellen Daten zufolge rund 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – das entspricht fast exakt dem Wert der vergangenen Inventur. Von zusätzlicher Senkenleistung ist folglich keine Spur.

Eine solche Senkenleistung ist allerdings fest eingepreist im offiziellen Plan der Ampelkoalition, der Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral machen soll.

Von der Senke zum Emittenten von Treibhausgas

Das Klimaschutzgesetz bürdet dem Wald hier eine besondere Verantwortung auf. Als natürliche Senken sollen Wälder gemeinsam mit Mooren von 2027 bis 2030 jährlich im Durchschnitt mindestens 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid aufnehmen, um Emissionen in anderen Bereichen wie Landwirtschaft und Industrie auszugleichen. Bis 2045 sollen es sogar 40 Millionen Tonnen sein.

»Die Frage ist eher, ob sich der Negativtrend der vergangenen Jahre noch stoppen lässt«
Pierre Ibisch, Waldexperte

Die aktuelle Inventur zeigt deutlich, wie weit der Wald derzeit davon entfernt ist. Eine Ursache ist das massive Absterben von Fichten- und Kiefernmonokulturen in den vergangenen Jahren. Vor dem Fichtensterben ab 2017 verzeichnen die Experten des Thünen-Instituts noch einen deutlichen Aufbau des Holzvorrats im deutschen Wald – und damit eine Senkenleistung des Waldes. Mit dem Nadelwaldsterben in den vergangenen Dürre- und Sturmjahren wurden diese aber zunichte gemacht, wie die Waldinventur bestätigt.

Pierre Ibisch, Waldexperte an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, befürchtet gar, dass die Klimabilanz der Wälder in Wahrheit noch schlechter ausfällt als in der Bundeswaldinventur abgebildet. Denn deren Daten stammen aus dem Jahr 2022. Seitdem habe sich das Absterben von Fichten- und Kiefernforsten aber weiter fortgesetzt. Zudem würden in der Inventur jene Treibhausgasemissionen nicht berücksichtigt, die in großer Menge entstehen, wenn Flächen mit toten Bäumen abgeräumt werden. Auch dabei entweicht zuvor im Boden gebundener Kohlenstoff in die Atmosphäre. Das 25-Millionen-Senkenziel bis 2030 zu erreichen, hält Ibisch nicht mehr für realistisch. Statt sich dem Ziel anzunähern, Kompensationsleistungen für andere Sektoren zu erbringen, entferne sich der Wald als Treibhausgasemittent davon. »Die Frage ist eher, ob sich der Negativtrend der vergangenen Jahre noch stoppen lässt.« Denn immer noch stünden in den Wäldern sehr viele Nadelbäume, die besonders anfällig gegenüber Trockenheit sei en. »Wenn davon in Zukunft weitere ausfallen, vergrößert sich das Problem«, sagt Ibisch.

Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur bestätigen erstmals anhand realer Bestandsaufnahmen, was Modellrechnungen zuletzt vorhergesagt hatten . So kam das Thünen-Institut in einer Modellierung zu dem Ergebnis, dass der Wald auch künftig in vielen Jahren eine Treibhausgasquelle bleibe. Selbst wenn alle bereits beschlossenen Waldschutzmaßnahmen umgesetzt würden, werde es in den kommenden Jahren bestenfalls eine geringe Netto-Bindung von Kohlendioxid geben. »Das Ziel einer Netto-Einbindung von 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten wird deutlich verfehlt«, sind die Experten überzeugt.

Zu lange auf Nadelwald gesetzt?

Dass der Wald als Helfer gegen den Klimawandel ausfällt, dafür machen Fachleute – neben der Klimakrise selbst – eine zu intensive Waldbewirtschaftung mit nicht standortgerechten Baumarten verantwortlich. »Jetzt rächt sich, dass der Umbau von Nadelholz-Monokulturen zu klimastabilen Laubwäldern nicht frühzeitig und konsequent angegangen worden ist«, sagt WWF-Waldexpertin Susanne Winter.

Das Ziel, dass Wälder einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten, kann nach ihrer Auffassung nur noch mit einer konsequent auf Schutz und Schonung des Waldes ausgerichteten Reform der Forstwirtschaft gelingen. So müsse die Einschlagmenge insgesamt, vor allem aber in alten Laubwäldern, drastisch verringert werden, fordert sie. Die Forstwissenschaftlerin hat auf Basis der Daten der Bundeswaldinventur errechnet, dass in den kommenden Jahren auf mehr als 30 Prozent des jährlichen Einschlages verzichtet werden müsste, damit Wälder durch ihr Wachstum die Klimaziele bis 2030 erreichen können. Vor allem alte Laubwälder müssten erhalten bleiben. Anders als die absterbenden Nadelforste sieht Winter in ihnen die verlässlicheren Partner beim natürlichen Klimaschutz. »Alte Laubwälder sind unsere Garanten für die Speicherung riesiger Mengen von Kohlenstoff und einen zusätzlichen Senkenbeitrag«, sagt Winter.

Ökologischer Waldumbau im Schneckentempo

Nur wenig hat sich über die vergangenen zehn Jahre beim ökologischen Umbau des Waldes getan. Den Großteil der Wälder stuft die Untersuchung des Thünen-Instituts als wenig naturnah ein. Wälder im Bundesbesitz sind sogar weniger naturnah als vor zehn Jahren. Am besten schneiden Landeswälder ab, die fast zur Hälfte als »sehr naturnah« oder »naturnah« eingestuft werden.

Zu viel Nadelwald, zu viel Einschlag | Insbesondere alte Laubwälder seien die Garanten für Kohlenstoffspeicherung, sagt WWF-Waldexpertin Susanne Winter. Für die Nadelforsten sehen Forstwissenschaftler in weiten Teilen Deutschland keine Zukunft mehr.

Grundsätzlich aber stehen Wälder in öffentlichem Besitz besser da als Privatwälder, wobei die kleineren Privatwälder insgesamt noch einen deutlich besseren ökologischen Zustand aufweisen als große private Forste, in denen die wirtschaftlichen Interessen offenbar stark im Vordergrund stehen.

Fast 90 Prozent der Waldflächen unterliegen keinerlei Einschränkungen bei der Holznutzung, ergab die Bestandsaufnahme. Gesichert nutzungsfrei sind demnach weniger als sechs Prozent. Nur auf Flächen, die im Besitz des Staates sind, ist dieser Anteil etwas höher. Dies steht im direkten Widerspruch zur von Deutschland unterstützten europäischen Biodiversitätsstrategie, die bis 2030 wirksamen Naturschutz auf 30 Prozent Fläche und einen Nutzungsverzicht auf 10 Prozent der Fläche vorsieht. Somit zeigen die neuen Daten, dass der Wald in Deutschland in einer Intensität genutzt wird, die noch weit von der Erfüllung internationaler Naturschutzverpflichtungen entfernt ist.

Auch beim erklärten Ziel der Ampel-Koalition, die Wälder von anfälligen Nadelforsten in klimastabile Laubmischwälder umzuwandeln, kommt Deutschland nicht schnell genug voran. Trotz einer leichten Zunahme von ökologisch wertvollen Laubbaumarten wie Buche und Eiche konnte keine grundlegende Trendumkehr im Verhältnis zwischen Laubwäldern und Nadelforsten erreicht werden. Nadelbäume machen weiterhin rund die Hälfte aller Waldbäume in Deutschland aus. Nur in öffentlichen Wäldern gibt es mehr Laubwald als Nadelforste.

Druck auf die Bundesregierung

Die verheerende Klimabilanz des Waldes dürfte den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, doch noch ein Bundeswaldgesetz vorzulegen, das Leitplanken für mehr Klima- und Naturschutz im Wald vorgibt. Einen ersten Entwurf dazu hatte Özdemir nach Intervention von Waldbesitzerverbänden und FDP stark abgeschwächt. Sollte er einen neuen Anlauf wagen, würde ihm die Bundeswaldinventur die fachliche Argumentationshilfe dafür liefern. »Wenn wir eine verlässliche Klimaleistung des Waldes wollen, brauchen wir auch verlässliche bundesweite Vorgaben dafür in einem starken Gesetz«, fordert WWF-Expertin Winter. »Es darf nicht dem Zufall überlassen werden, ob wir den Wald als Verbündeten im Klimaschutz erhalten oder nicht.«

Wie es mit dem Bundeswaldgesetz weitergeht, dürfte allerdings weniger am Zufall hängen als am Koalitionsfrieden in der zerrütteten Ampelregierung. Eine Rückkehr zu strengeren Natur- und Klimaschutzvorgaben ist nach Lage der Dinge jedoch nicht zu erwarten: Informationen aus Regierungskreisen zufolge plant Özdemir nach einer Veto-Drohung der Liberalen keine weitere Verschärfung seines Gesetzentwurfes.

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