Kosmologie: Die größte Karte des Kosmos deutet auf schwächelnde Dunkle Energie hin

Im Frühjahr 2024 erzeugten mehr als 1000 Kosmologinnen und Kosmologen die bis dahin größte Karte des Universums und kamen zu einem unerwarteten Schluss. Die Dunkle Energie, die das All auseinandertreibt, scheint mit der Zeit abzunehmen. Dieses bahnbrechende Ergebnis, das auf den Beobachtungen von Millionen von Galaxien beruhte, war allerdings noch nicht statistisch signifikant. Nun haben die Forschenden mehr als doppelt so viele Daten herangezogen, die den Verdacht verstärken: Die Dunkle Energie verliert an Kraft.
Die Ergebnisse der DESI-Kollaboration (Dark Energy Spectroscopic Instrument) decken sich mit denen einer zweiten Forschungsgruppe, der 400-köpfigen Dark Energy Survey (DES). Diese hat ebenfalls einen riesigen Bereich des Kosmos beobachtet und Anfang März 2025 Hinweise auf eine schwankende Dunkle Energie gefunden.
Sollten sich die Ergebnisse durch weitere Daten bestätigen, würde dies das Verständnis unseres Kosmos auf den Kopf stellen. Bisher ging man davon aus, dass die Dunkle Energie konstant ist. Damit wäre das Universum dazu verdammt, sich für alle Zeiten auszudehnen – bis eine unüberbrückbare Kluft jedes Teilchen von allen anderen trennt und jegliche Aktivität auslöscht. Doch eine veränderliche Dunkle Energie macht eine alternative Zukunft möglich. »Sie stellt das Schicksal des Universums in Frage«, sagt der Kosmologe Mustapha Ishak-Boushaki von der University of Texas, der Mitglied des DESI-Teams ist. »Das ändert alles.«
Eine veränderliche Dunkle Energie würde auch unser Bild der heutigen Realität umschreiben. Die einfachste Erklärung für diese ominöse Größe lautet, dass sie der Energie des Vakuums im Raum entspricht – einem unveränderlichen Merkmal der Quantenphysik. Falls die Dunkle Energie jedoch nicht konstant ist, würde das auf eine bisher noch unentdeckte Zutat im Grundrezept des Kosmos hindeuten. Die fehlende Komponente könnte so einfach sein wie eine neue Art von Teilchen. Oder sie könnte aufzeigen, dass Einsteins Gravitationstheorie nicht zutrifft.
Eine Kartierung des Kosmos
In den späten 1990er Jahren entdeckten Astrophysiker erstmals Spuren der Dunklen Energie. Damals beobachteten zwei Forschungsteams weit entfernte Supernovae und stellten fest, dass die fernsten von ihnen sich weiter von unserer Milchstraße wegbewegt hatten als erwartet. Irgendetwas schien die Expansion des Universums zu beschleunigen.
Als theoretische Physiker davon hörten, wussten sie sofort, worum es sich dabei handelte: die Energie des Raums selbst. In seiner allgemeinen Relativitätstheorie hatte Einstein kurzzeitig eine »kosmologische Konstante« Λ eingefügt, eine Energie, die überall eine konstante Dichte und einen konstanten Druck hat und daher eine Abstoßung verursacht.
Und auch für die Quelle dieser Energie hatten Fachleute schnell eine Erklärung parat: Die Quantenphysik sagt allgegenwärtige Quantenfelder voraus, die selbst im Grundzustand eine nicht verschwindende Energie haben. Diese sei zwar winzig, aber auf kosmischer Ebene summiert sie sich zu einem gigantischen Wert auf. Allerdings ist dieser Wert nach heutigem Verständnis viel zu groß, um zu den kosmologischen Beobachtungen zu passen. Somit wirft die Dunkle Energie noch immer viele Fragen auf.

Doch die moderne Kosmologie hat in den letzten Jahrzehnten viele Fortschritte gemacht. Forschungsprojekte wie DESI und DES kartieren Millionen von Himmelsobjekten, um festzustellen, ob die Dunkle Energie wirklich eine kosmologische Konstante ist – oder ob sie sich verändert.
DESI ermöglicht dabei einen besonders klaren Blick auf den Kosmos. Das dazugehörige Teleskop, das sich auf dem Kitt Peak in Arizona befindet, ist mit Tausenden von schwenkbaren Roboteraugen ausgestattet. Seit Mai 2021 suchen diese Nacht für Nacht den Himmel ab, richten ihre Glasfaserkabel auf eine Galaxie nach der anderen und fangen deren Licht ein. In seinem ersten Betriebsjahr hat das Teleskop sechs Millionen Galaxien beobachtet und bestimmt, mit welcher Geschwindigkeit sie sich von der Erde entfernen.
Viele der Galaxien sind so weit entfernt, dass ihr Licht Milliarden von Jahren gebraucht hat, um uns zu erreichen. Insgesamt decken die Signale elf Milliarden Jahre der kosmischen Geschichte ab. Die DESI-Kosmologen untersuchten vorrangig, wie sich Galaxien zu kugelförmigen Strukturen zusammenballen – das sind Überbleibsel von Wellen, die das junge Universum durchzogen. Mit diesen Galaxienhüllen lässt sich die Ausdehnung des Universums detailliert rekonstruieren.
Im April 2024 stellten die DESI-Fachleute die Ergebnisse vor, die sie nach der Auswertung der Beobachtungsdaten des ersten Jahres erhalten hatten. Die wiesen darauf hin, dass die Dunkle Energie in den letzten Milliarden Jahren abgenommen hat. Ihre Dichte schien nicht konstant zu sein.

Die DESI-Forscher waren aufgeregt, aber vorsichtig. Sie sprachen mit Präzision, bezeichneten ihre Ergebnisse eher als Hinweise, denn als Beweise und erklärten ihre Vorbehalte. Die Teammitglieder verwiesen auf frühere Ereignisse, bei denen sich physikalische Anomalien mit zusätzlichen Daten auflösten.
Im Herbst 2024 veröffentlichte das Team eine detailliertere Analyse, die neben den kugelförmigen kosmischen Hüllen auch subtilere Muster in der Anordnung der Galaxien berücksichtigte. Die Hinweise auf eine sich verändernde Dunkle Energie blieben bestehen. »Alle atmeten erleichtert auf«, sagt der Kosmologe Dillon Brout von der Boston University, der sowohl am DESI- als auch am DES-Team beteiligt ist.
Das neue Ergebnis der DESI-Gruppe basiert nun auf drei Jahren Sternenbeobachtung der Roboteraugen auf Kitt Peak. Mit der Untersuchung dieser Daten hat sich die Erleichterung nun zu Hochstimmung gewandelt.
Neun Millionen weitere Galaxien
Während die Daten des ersten DESI-Jahres sechs Millionen Galaxien enthielten, umfasst der Dreijahres-Datensatz fast 15 Millionen. Das Team identifizierte erneut die kugelförmigen Strukturen und rekonstruierte die Ausdehnung des Alls über die letzten 10 Milliarden Jahre – dieses Mal mit einer noch höheren Auflösung.
Monatelang feilten die Fachleute an ihrem Computercode, verarbeiteten eine verschlüsselte Version der Daten, suchten nach Fehlern und überprüften, ob ihre Analyse wie gewünscht funktionierte. Am Abend des 10. Dezember 2024 trafen sich Vertreter der Gruppe im mexikanischen Cancún und debattierten drei Stunden lang darüber, ob sie sich sicher waren, dass sie die Daten aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtet hatten.
Als sie zufrieden waren, zog sich eine Hand voll Forscher in ihre Hotelzimmer zurück, um die Daten zu entschlüsseln und die finalen Diagramme zu erstellen. Unter ihnen befand sich auch Seshadri Nadathur, ein Kosmologe an der University of Portsmouth. Er freute sich über das Privileg, einer der ersten Menschen zu sein, der die Geheimnisse der bislang größten und detailliertesten Galaxienkarte sehen würde. Zwei Tage später stand er auf der Bühne vor rund 200 DESI-Kollegen und hunderten weiteren Teammitgliedern, die aus der Ferne zusahen, und teilte seine Ergebnisse mit. »Das war die beste Erfahrung meiner beruflichen Laufbahn«, sagt er.
Isoliert betrachtet, scheinen die 15 Millionen Galaxien von DESI einem Modell mit veränderlicher Dunkler Energie zu entsprechen – und nicht dem Standardmodell der Kosmologie, dem Λ-CDM-Modell, das von einer kosmologischen Konstante Λ ausgeht. Doch auch kombinierte Datensätze passen offenbar nicht zum kosmologischen Standardmodell. Das fanden die DESI-Forschenden heraus, als sie bereits vorhandene Daten über die Standorte von Tausenden von Supernovae in nahe gelegenen Galaxien in ihre Analyse einbezogen sowie die Bedingungen im frühen Universum, wie sie sich aus der kosmischen Mikrowellenhintergrund ergeben. Alles deutete auf eine veränderliche Dunklen Energie hin.
Im Frühjahr 2024 berichtete DESI, dass die kombinierten Datensätze um bis zu 3,9 Sigma (einem Maß für die statistische Signifikanz) von dem abwichen, was das Λ-CDM-Modell vorhersagt. Jetzt hat sich dieser Wert auf 4,2 Sigma erhöht. Das bedeutet: Das Λ-CDM ist bloß mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1 zu 30 000 das richtige Modell des Kosmos. Das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie 15-mal eine Münze zu werfen und 15-mal das Ergebnis »Kopf« zu erhalten. Trotzdem gilt eine Entdeckung in der Physik erst ab 5 Sigma als gesichert.
»Sie müssen sich alle verschwören, um falsch zu sein«Mustapha Ishak-Boushaki, Kosmologe
Und auch wenn man die kosmischen Mikrowellenhintergrunddaten oder die Supernova-Daten weglässt, scheinen die Ergebnisse Λ-CDM zu widersprechen. Das deutet darauf hin, dass das Ergebnis nicht nur einem einzelnen Datensatz entspringt. »Sie müssen sich alle verschwören, um falsch zu sein«, sagt Ishak-Boushaki. »Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.«
Das DES-Team kam zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Fünf Jahre lang machte das Teleskop in den chilenischen Anden hochauflösende Aufnahmen von zwölf Prozent des Nachthimmels und erstellte so den bisher umfangreichsten Katalog von Supernovae. Es entdeckte dabei ebenfalls die kugelförmigen Anordnungen der Galaxien (wenn auch mit geringerer Genauigkeit als bei DESI). Indem sie diese Daten mit modernsten Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds kombinierten, fanden sie eine Diskrepanz zu Λ-CDM von 3,2 Sigma, die verschwindet, wenn sich die Dunkle Energie verändert. »Das ergibt ein sehr stimmiges Bild«, so Michael Troxel vom DES-Team, der an der Duke University arbeitet.
Irreführende kosmische Statistik?
Die Fachleute von DES geben jedoch zu bedenken, dass statistische Analysen in der Kosmologie eine heikle Angelegenheit sind. Normalerweise kann man ein Experiment so lange wiederholen, bis man überzeugt ist, dass die Theorie bestätigt oder widerlegt ist. Aber Kosmologen haben nur ein einziges Universum, das sie beobachten können. Dadurch können Unstimmigkeiten zwischen Daten und Theorie durch Annahmen über die Theorie selbst entstehen – und nicht durch unerwartete Muster in den Daten. »Ob man es mag oder nicht, es gibt eine gewisse Subjektivität«, sagt Chihway Chang von der University of Chicago und Mitglied des DES-Teams.
Es gibt aber noch eine weitere Herausforderung bei der Interpretation der neuen Ergebnisse. In der kosmischen Geschichte von DESI scheint sich die Dunkle Energie zunächst über Milliarden von Jahren allmählich verstärkt zu haben, bevor sie vor etwa sechs Milliarden Jahren abflaute. Dieser Verlauf ist nicht völlig unvorstellbar, aber theoretische Physiker zeigen sich trotzdem skeptisch und bezeichnen das als »phantomhafte« Dunkle Energie.
Kosmologinnen und Kosmologen haben bereits Erklärungen dafür gefunden, warum das Phantom nicht wirklich da ist. Vielleicht geben die Daten aus dieser früheren Periode des Universums kein genaues Bild ab. In den ersten Jahren des Universums beeinflusste die Dunkle Energie es kaum, weil es damals viel weniger Raum gab; das Signal aus dieser Zeit ist schwächer. Die Physikerin Kim Berghaus vom California Institute of Technology ist vorsichtig optimistisch, dass DESI auf etwas Reales gestoßen ist. Doch ihr Optimismus hängt vom Verlauf der Dunklen Energie ab. »Wenn es in den Phantombereich geht«, sagt sie, »würde ich eher zu einem systematischen Fehler tendieren.«
Eine schwankende Dunkle Energie würde die Bandbreite der Möglichkeiten, wie sich das Universum entwickeln wird, enorm erweitern. Die Expansion könnte zum Stillstand kommen, so dass durch die Schwerkraft alles in sich zusammenstürzt. Oder die Dunkle Energie könnte wieder zum Phantom werden, woraufhin das expandierende Universum noch weiter an Fahrt gewinnt. Alles hängt davon ab, was diese mysteriöse Energie erzeugt. »Jetzt ist die Büchse der Pandora für neue Theorien geöffnet«, sagt Ishak-Boushaki.

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