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Biologische Rarität: Aus zwei Quallen kann eine werden

Wenn sie einander nah genug kommen, dann verschmelzen Rippenquallen offenbar zu einem Mischindividuum. Schon nach zwei Stunden bildet sich ein gemeinsames Nervensystem aus.
Meerwalnuss
Meerwalnüsse (Mnemiopsis leidyi) werden zu den schädlichen invasiven Arten gezählt. Von ihrer Heimat im Westatlantik haben sie sich inzwischen über zahlreiche Meeresgebiete ausgebreitet.

Die Grenzen zwischen dem eigenen Organismus und dem eines fremden sind bei Rippenquallen offenbar durchlässiger als bei anderen Tieren. Das fiel Wissenschaftlern um Kei Jokura von der University of Exeter auf, als eine Qualle in ihrem Aquarium irgendwie anders – größer – und außerdem wie aus zwei halben Tieren zusammengesetzt aussah. Im Rahmen einer Studie überprüften sie nun, ob ihre Vermutung stimmt: dass zwei Quallenorganismen zu einem einzigen verwachsen können. Das sei in der Tat möglich, resümieren sie nun im Fachmagazin »Current Biology«.

Die beiden Tiere wachsen nicht nur einfach zusammen, sie bilden auch innerhalb erstaunlich kurzer Zeit ein gemeinsames Nerven- und Verdauungssystem aus. In der ersten Stunde nach der Fusion seien die Bewegungsmuster des neuen Individuums noch unkoordiniert, nach zwei Stunden würden die Muskeln dagegen bereits zu 95 Prozent synchron kontrahieren. Reizt man das Tier an einer Seite, würde auch die andere Körperhälfte mit reagieren.

Aus zwei mach eins
Aus zwei mach eins | Wenn zwei verletzte Quallen zu einer verschmelzen, dann fusioniert auch ihr Nervensystem: EIn Reiz an einer Seite führt zu einer Reaktion auf der gegenüberliegenden.

Um die Auswirkungen auf den Verdauungstrakt zu erkunden, markierten die Forschenden das Quallenfutter mit einer fluoreszierenden Substanz und fütterten sie nur einem der beiden Münder. Darauf wanderte der Nahrungsbrei durch das komplette Verdauungssystem und wurde über beide Ausscheidungsöffnungen ausgeschieden, allerdings nicht gleichzeitig.

Bei den Tests der Wissenschaftler sei die Fusion in neun von zehn Fällen geglückt. Bereits am Folgetag seien die Tiere so miteinander verwachsen, dass keine Trennlinie mehr zu erkennen war.

Offenbar ist bei der hier untersuchten Rippenqualle der Art Mnemiopsis leidyi, zu Deutsch auch Meerwalnuss genannt, die Erkennung von eigenem und fremdem Gewebe noch nicht sonderlich ausgeprägt. Diese Unterscheidung gehört eigentlich zu den zentralen Funktionen des Immunsystems. Das Team möchte nun die molekularen Mechanismen bei der Fusion genauer erforschen in der Hoffnung, dass dabei Erkenntnisse für die Regenerationsmedizin herausspringen. Unklar ist auch, ob ihre Fähigkeit den Quallen einen tatsächlichen Überlebensvorteil bringt und ob es auch in freier Natur zur Fusion zweier verletzter Individuen kommt.

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