Direkt zum Inhalt

Flores-Mensch: Neue Fossilien vom "Hobbit" gefunden

Händeringend haben Forscher nach Fossilien gesucht, die erklären würden, warum der merkwürdige Flores-Mensch so ist, wie er ist. Nun endlich haben sie welche gefunden.
Der Kiefer des neuen "Hobbit"-Vorfahren

Der Flores-Mensch (Homo floresiensis) gehört zu den merkwürdigsten Geschöpfen in unserem menschlichen Stammbaum. Mit einer Körpergröße von kaum mehr als einem Meter und einem winzigen Gehirn erinnert er an unsere frühen Ahnen wie den Homo habilis oder einen Australopithecus wie "Lucy". Doch der Flores-Mensch lebte nicht vor Millionen Jahren irgendwo in Afrika, sondern vor rund 60 000 Jahren im Fernen Osten, auf der indonesischen Insel Flores.

Wer war er? Eine Antwort auf das Mysterium "Hobbit-Mensch" war lange Zeit nicht in Sicht. Nach den ersten Funden von 2004 kam nichts mehr nach. An fehlenden Bemühungen lag das nicht: Am Ende durchpflügte eine über 100 Mitarbeiter starke Mannschaft auf mehr als 2000 Quadratmetern die Fossilienlagerstätte Mata Menge, den vielversprechendsten Ort, rund 70 Kilometer von der Fundhöhle Liang Bua entfernt.

"Wir hatten schon die Hoffnung aufgegeben, dass wir etwas finden würden", sagt Teamleiter Gert van den Bergh, "und dann auf einmal 'Bingo!'". Im Oktober 2014 kamen in schneller Folge die Überreste von mindestens drei Individuen, einem Erwachsenen und zwei Kindern, ans Tageslicht. Die Funde datieren die Forscher auf ein extrem hohes Alter von etwa 700 000 Jahren. Jahrhunderttausende älter als die bekannten Hobbits.

Sechs Zähne und ein Kieferstück

Viel ist es immer noch nicht. Dennoch könnten die sechs Zähne, darunter zwei Milchzähne, und das Kieferfragment entscheidende Hinweise liefern. Denn auch sie sind nachgerade winzig. "Kleiner noch als bei Homo floresiensis aus Liang Bua", erklärt van den Bergh. Das bedeutet, die zwergenhafte Statur der viel jüngeren Flores-Menschen ist keine vorübergehende Erscheinung gewesen, keine Laune der Natur. Die Art blieb über 650 000 Jahre in dieser Hinsicht unverändert.

Das Kieferfragment und drei Zähne | Beim Kieferfragment ist bereits der Weisheitszahn durchgebrochen. Die Forscher schließen daraus, dass es von einem ausgewachsenen Individuum stammt.

Unter den drei großen Theorien über den Homo floresiensis ist damit mindestens eine nicht länger tragbar: die, dass man es in Wirklichkeit mit einem Homo sapiens zu tun habe, dessen Körper – zum Beispiel durch die Krankheit Mikrozephalie – verändert wurde. Die Neufunde stammen aus einer Zeit, als der moderne Homo sapiens noch gar nicht existierte. Und schon in seiner Ursprungsversion hatte sich dieser Ansatz auf eine inzwischen als falsch erwiesene Datierung gestützt.

Es verbleiben damit noch zwei weitere plausible Theorien über Herkunft und Abstammung des Homo floresiensis.

Und nach Meinung des Ausgräberteams und vieler Fachkollegen ehrlich gesagt nur noch eine einzige. Sie sehen im Flores-Menschen eine Variante des Homo erectus, der in der indonesischen Inselwelt schrumpfte – genauso wie auch der nur hüfthohe Zwergelefant der Mittelmeerinseln geschrumpft war oder der Miniaturrothirsch auf der Insel Jersey.

Attraktiv an dieser Erklärung ist, dass sie ohne weitere Zusatzannahmen auskommt. Die Anwesenheit von Homo erectus in dieser Weltregion und Ära ist eindeutig belegt. Schon vor einer Million Jahren fertigten Menschenverwandte in Indonesien Steinwerkzeuge an.

Erheblich geschrumpft?

Und auch der Prozess der "Inselverzwergung" ist ein gängiges Phänomen. Viele andere Säugetierarten schrumpften ebenfalls erheblich, sobald sie auf Inseln auftauchten. Als Auslöser gelten die knappen Nahrungsressourcen und das Fehlen großer Räuber. Offen ist dann im Wesentlichen nur noch die Frage, ob dieser Vorgang auf Flores selbst, auf einer benachbarten Insel wie Sulawesi oder an mehreren Orten gleichzeitig stattfand.

Gert van den Bergh beschreibt seine Fossilfunde in einem Video von "Nature". Deutsche Untertitel aktivieren Sie mit einem Klick auf "CC".

Eine statistische Analyse der neuen Zahn- und Kieferanatomie unterstützt im Übrigen diese Theorie. Van den Bergh und Kollegen verglichen dazu ihre Neufunde mit alten Fossilien und stellten fest, dass sich die Vorfahren der "Hobbits" aus anatomischer Sicht auf halbem Weg zwischen den älteren Homo-erectus- und den jüngeren Homo-floresiensis-Funden einfügen lassen.

Doch entschieden ist die Sache am Ende wohl doch noch nicht ganz. William Jungers, Paläoanthropologe von der Stony Brook University in New York, beispielsweise findet den Fund zu "bruchstückhaft", um den Ausschlag in die eine oder die andere Richtung zu geben.

Oder erheblich viel älter?

Für Kritiker ist zum einen fragwürdig, ob eine eher moderne Art wie der Homo erectus ihr großes Gehirn derart dramatisch miniaturisieren kann. Ein solcher Rückwärtstrend wäre in der Menschheitsgeschichte bisher einzigartig. Zum anderen offenbaren Flores-Menschen einige uralt wirkende Skelettmerkmale, die sie eher in die Nähe noch ursprünglicherer Vormenschen rücken, namentlich in die des Homo habilis. Wenn Homo floresiensis eine Art später Homo habilis wäre, gäbe es keine nennenswerte Schrumpfung, weder im Gehirn noch im Körper. Stattdessen hätte man eine Erklärung für die archaische Anatomie.

Die Ausgrabungen in Mata Menge sind noch in vollem Gange | Die Forscher sind zuversichtlich, weitere Fossilien von Homo floresiensis zu entdecken. Auf die Stelle aufmerksam wurden sie, weil hier Fossilien anderer großer Säuger zum Vorschein gekommen waren.

Doch das hieße, Vertreter von Homo habilis müssten Ostafrika verlassen haben. Wanderten sie – quasi heimlich – bis nach Indonesien, wo sie sich zum Hobbit entwickelten? Auch Befürworter jener These sind nicht glücklich über diese Schwäche ihres Ansatzes. Denn derzeit existieren keinerlei Fossilien, die eine solche Migrationsbewegung bezeugen würden. Von den neuen Gebissteilen allerdings sehen sich die Kritiker der Homo-erectus-Theorie nicht zwangsläufig widerlegt.

Am Ende kommt wohl keiner darum herum, über den eigenen Schatten zu springen. Oder, wie Aida Gómez-Robles von der George Washington University in einem begleitenden Kommentar schreibt, alle denkbaren Erklärungen für das Phänomen "Hobbit" lägen inzwischen "außerhalb der Komfortzone der klassischen Szenarien". In denen gab es nämlich bloß ein Immer-größer-immer-schlauer. Und Hobbits nur im Kino.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.