Direkt zum Inhalt

Astrophysik: Neue Hoffnung für Dunkle-Materie-Jäger?

Weist Antimaterie aus dem Weltall den Weg zur Lösung des Dunkle-Materie-Rätsels? Zwei neue Studien deuten in diese Richtung, dürften aber für Diskussionen sorgen.
Galaxienhaufen Abell 520

Für die Jäger der Dunklen Materie gab es in den vergangenen Jahren vor allem schlechte Nachrichten: Zahlreiche Detektoren auf der Erde und im Weltall hielten Ausschau nach Spuren der hypothetischen Teilchen, die in großen Mengen durchs Weltall driften sollen und deren Schwereanziehung die rätselhafte Dynamik von Galaxien und Galaxienhaufen erklären könnte. Aber keine der Messungen konnte die Frage beantworten, ob es die sonderbare Materieform wirklich gibt.

Einige der Forscher schießen sich deshalb bereits auf abgewandelte Forschungshypothesen ein oder beginnen die Gesetze der Gravitation anzuzweifeln. Nun wecken allerdings zwei neue Forschungsarbeiten die Hoffnung, dass die Naturforscher trotz aller Rückschläge auf der richtigen Fährte sein könnten – und möglicherweise nur noch etwas mehr Geduld brauchen, um die Dunkle Materie endlich dingfest zu machen.

Antimaterie aus den Tiefen des Alls

Die beiden Teams haben unabhängig voneinander das Energiespektrum so genannter Antiprotonen analysiert, die als Teil der kosmischen Strahlung durchs All fliegen. Die Häufigkeit dieser Partikel hatten Physiker bereits vergangenes Jahr abgeschätzt, mit den Daten des tonnenschweren und milliardenteuren Magnetspektrometers AMS-02 an Bord der Internationalen Raumstation ISS.

Antiprotonen sind die Antiteilchen der Protonen und im Weltall an und für sich nichts Ungewöhnliches. Sie entstehen unter anderem dann, wenn Partikel der allgegenwärtigen kosmischen Strahlung mit interstellarem Gas kollidieren. Die Antiteilchen könnten allerdings auch auf anderem, weit spektakulärerem Wege ins Leben gerufen werden: Den populärsten Modellen zufolge besteht die Dunkle Materie aus so genannten Neutralinos, einer Teilchensorte, die ihr eigenes Antiteilchen ist. Das bedeutet: Treffen sich zwei Neutralinos im All, vernichten sie sich gegenseitig. Im resultierenden Energieblitz entsteht eine Fülle konventioneller Teilchen – darunter auch Antiprotonen.

AMS-Experiment | Seit 2011 misst das AMS-Experiment an Bord der Internationalen Raumstation ISS die kosmische Strahlung, die sich aus einer Vielzahl von Teilchen zusammensetzt.

Enthält die kosmische Strahlung mehr Antiprotonen als erwartet, könnte das also ein Hinweis darauf sein, dass im Weltall Dunkle-Materie-Teilchen miteinander kollidieren. Die Interpretation der seit 2011 gesammelten AMS-Daten ist jedoch ein kniffliges Unterfangen, auch weil Physiker nicht ganz genau abschätzen können, wie häufig Antiprotonen konventionell, also ohne das Zutun Dunkler Materie, erzeugt werden. Bislang besteht daher keine Einigkeit darüber, ob die von AMS beobachtete Häufigkeit der Antiprotonen überhaupt Hinweise auf Dunkle-Materie-Teilchen enthält.

Wettstreit der Modelle

Die beiden nun im Fachmagazin "Physical Review Letters" erschienenen Arbeiten dürften diese Diskussion anfachen. Denn ihre Autoren plädieren dafür, dass sich aus den AMS-Daten sehr wohl etwas über Dunkle Materie lernen lässt. In der ersten Studie verglichen Michael Krämer, Michael Korsmeier und Alessandro Cuoco von der RWTH Aachen zwei Modelle für den Ursprung der Antiprotonen miteinander. Eines enthielt Dunkle-Materie-Annihilationen, das andere nicht. Den Physikern zufolge beschreibt das Modell mit Dunkler Materie das Antiprotonen-Spektrum besser.

Demnach hätten die Konstituenten der rätselhaften Substanz eine Masse von zirka 80 Gigaelektronvolt – die Partikel würden damit in jenen Massenbereich fallen, in dem Untergrunddetektoren auf der Erde seit Längerem nach Neutralinos und anderen WIMPs (weakly interacting massive particles) suchen. Leichtere und schwerere Dunkle-Materie-Teilchen sind laut der Analyse der Aachener Physiker hingegen eher unwahrscheinlich.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Gruppe um Ming-Yang Cui von der Chinese Academy of Sciences. Auch in ihrer Analyse gab ein Modell mit Dunkle-Materie-Annihilationen die beobachtete Teilchenverteilung in der kosmischen Strahlung am besten wieder. Demnach hätte ein Partikel der Dunklen Materie eine Masse zwischen 30 und 70 Gigaelektronvolt.

Spannend ist aus Sicht der beiden Forscherteams, dass ein Teilchen mit den von ihnen skizzierten Eigenschaften auch einen Überschuss an Gammastrahlung erklären könnte, die der NASA-Satellit FERMI in Richtung des galaktischen Zentrums beobachtet hat. Für die Erklärung dieses Signals führen manche Physiker schon länger Dunkle Materie ins Feld. Insgesamt ist diese Interpretation aber umstritten. Erst vor wenigen Tagen stellten die FERMI-Wissenschaftler ein Paper ins Netz, in dem sie sich dagegen aussprechen, das Signal auf Dunkle Materie zurückzuführen.

Den Dunkle-Materie-Forschern stehen also intensive Diskussionen bevor. Welche Seite sich dabei durchsetzt, dürften allerdings vor allem neue Messdaten entscheiden. So warten die Physiker etwa gespannt auf die ersten Ergebnisse des XENON1T-Experiments, das dieses Jahr unter dem Gran Sasso d'Italia mit der Suche nach den Spuren von Kollisionen zwischen Dunkle-Materie-Partikeln und irdischen Atomkernen beginnt – und dem jederzeit eines der Teilchen ins Netz gehen könnte.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.