Quantencomputer: Negative Wahrscheinlichkeiten erzeugen »Magie« in Qubits
Der Schlüssel zu voll funktionsfähigen Quantencomputern ist Magie. Damit sind keine mysteriösen Glaskugeln oder übernatürliche Kräfte gemeint. Vielmehr bezeichnen Physiker so jene Quantenberechnungen, die sich nicht mit gewöhnlichen Rechnern durchführen lassen. Allerdings sind solche »magischen Zustände« sehr aufwändig herzustellen. Wie ein Forschungsteam um den Physiker Pradeep Niroula von der University of Maryland nun in der Fachzeitschrift »Nature Physics« berichtet, können Fehler in bestimmten Qubit-Anordnungen magische Zustände erzeugen. Tatsächlich beobachteten die Forschenden eine Art Phasenübergang: Die Stärke der Fehler übernimmt dabei die Rolle der Temperatur und führt zu einem Übergang von »nichtmagischen« zu magischen Zuständen, die teilweise mit negativen Wahrscheinlichkeiten behaftet sind. »Die Quanteninformatik schreitet weiter voran und das Verständnis und die Nutzung der Magie wird der Schlüssel sein, um das volle Potenzial der Quantentechnologien zu erschließen«, schreibt der Physiker Xhek Turkeshi von der Universität zu Köln in einem bei »Nature« erschienenen Begleitartikel zur Forschungsarbeit.
Neue Wirkstoffe, Wundermaterialien und ein tieferes Verständnis der Quantenwelt: Das sind nur einige der beeindruckenden Versprechungen von Quantencomputern. Im Gegensatz zu herkömmlichen Rechnern verarbeiten Quantencomputer quantenmechanische Informationseinheiten, so genannte Qubits. Diese können wie ihre klassischen Pendants die Werte eins und null annehmen – aber auch überlagerte Zustände aufweisen, bei denen sie beispielsweise mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit null und mit 40-prozentiger eins sind. Zudem können Qubits durch eine Art unsichtbares Band selbst über große Distanzen hinweg untrennbar miteinander verbunden sein; ein Quantenphänomen, das als Verschränkung bekannt ist. Die seltsamen Regeln der Quantenmechanik ermöglichen es, völlig neue Arten von Berechnungen durchzuführen – und so einige Probleme zu lösen, die für gewöhnliche Rechner unerreichbar sind.
»Oft wird behauptet, das Besondere an Quantencomputern seien die Überlagerung und die Verschränkung, aber das stimmt so nicht ganz«, schrieb die Physikerin Zaira Nazario vom IBM Watson Research Center in Yorktown Heights, New York, in einem »Spektrum«-Artikel. Tatsächlich können viele Quantenberechnungen effizient durch klassische Computer simuliert werden. Hierbei unterscheiden Quanteninformationstheoretiker zwei Arten von Qubit-Operationen: so genannte Clifford-Gatter und Nicht-Clifford-Gatter. Beide können die Quanteninformationseinheiten überlagern oder miteinander verschränken. Erstere sind einfacher umzusetzen – mit ihnen lassen sich aber nur Berechnungen durchführen, die auch klassische Computer bewältigen können. Damit bieten sie keinen Vorteil. »Für sich genommen können sie keinen universellen Quantencomputer bilden, da sie nicht alle möglichen Quantenzustände erzeugen können«, schreibt Xhek Turkeshi.
Tatsächlich können Quantencomputer ihre gesamte Kraft erst entfalten, wenn sie Nicht-Clifford-Gatter enthalten. Diese entsprechen jenen Operationen, die nicht effizient durch gewöhnliche Rechner simuliert werden können; etwa die Vertauschung zweier Qubits oder die Änderung der Phase um π/4. Die berühmtesten Quantenalgorithmen wie der Shor-Algorithmus (der es Quantencomputern ermöglichen könnte, große Zahlen schnell in ihre Primteiler zu zerlegen) greifen in der Regel immer auf solche Operationen zurück. »In Quantencomputern lassen sich Nicht-Clifford-Gatter einfach umsetzen«, schreiben die Forschenden um Pradeep Niroula in ihrer Arbeit. Die Situation sieht allerdings anders aus, wenn man Quantenfehlerkorrekturen miteinbezieht.
Fehler loswerden
Quantencomputer haben einen entscheidenden Nachteil: Sie sind extrem empfindlich. Kleinste Umwelteinflüsse wie Erschütterungen oder Temperaturschwankungen können die Quantenzustände der Qubits zerstören und Fehler erzeugen. Daher sind Algorithmen zur Fehlerkorrektur für verlässliche Berechnungen unverzichtbar. Dabei verteilt man die Quanteninformation auf mehrere »physische« Qubits (zum Beispiel die Ionen oder die supraleitenden Schaltkreise, je nach Art des Quantencomputers) und codiert damit ein einzelnes »logisches« Qubit. Solche Algorithmen erhöhen also die Anzahl der benötigten Quanteninformationseinheiten.
Clifford-Gatter lassen sich mit Quantenfehlerkorrekturen einfach verbinden: Diese Gatter verarbeiten die vielen physischen Qubits, aus denen ein einzelnes logisches Qubits besteht, individuell. »Daher bleibt die Fehlerrate immer gleich und somit unter Kontrolle«, schrieb Zaira Nazario. »Das ist eine nützliche Eigenschaft, die verhindert, dass sich große Rechnungen nicht mehr bewältigen lassen.« Anders ist es hingegen bei Nicht-Clifford-Gattern. Wenn Fehler auftreten, lassen sich diese Gatter viel schwieriger korrigieren; sie sind so empfindlich, dass schon der kleinste Fehler bei diesen Operationen eine ganze Berechnung zunichtemachen kann. Doch Physikerinnen und Physiker haben einen Ausweg gefunden: Magie.
»Die komplizierten Nicht-Clifford-Gatter werden dabei durch Qubits ersetzt, die sich in einem magischen Zustand befinden«, schrieb Nazario. »Diese codieren dann die Wirkung der Nicht-Clifford-Operationen.« Indem man also solche magischen Zustände mit Clifford-Gattern verbindet, lassen sich theoretisch fehlertolerante Quantencomputer realisieren. Theoretisch. Denn die magischen Zustände reagieren nicht nur extrem empfindlich auf äußere Einflüsse, sondern sind auch in der Herstellung sehr aufwändig. In der Regel muss man sehr viele fehlerbehaftete magische Zustände herstellen und dann daraus die »reinsten« extrahieren.
»Das Verständnis der Mechanismen, durch die Magie erzeugt oder zerstört wird, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer effizienten und praktischen fehlertoleranten Berechnung«, schreibt das Team um Niroula. Deshalb haben sie das Phänomen genauer unter die Lupe genommen. Die Fachleute griffen dafür nicht nur auf computergestützte Simulationen zurück, sondern setzten ihre Überlegungen auch in einem 32 Qubits umfassenden Quantencomputer mit Ionenfallen um.
Die Fachleute haben dafür eine bestimmte Art von Fehlerkorrektur genutzt, so genannte zufällige Stabilisierungscodes. In diesen erfolgt die Codierung und Decodierung der Quanteninformation innerhalb eines logischen Qubits durch zufällig gewählte Clifford-Gatter mit wenigen magischen Zuständen. Die Forschenden speisten daraufhin gezielt bestimmte Fehler in das System ein, welche die Quantenzustände nicht direkt zerstören (so wird etwa die Überlagerung eines Qubits verändert). Das Team untersuchte, wie sich diese Fehler auf die Magie des logischen Quantenzustands auswirken.
Um die Magie zu vermessen, schauten sich die Physikerinnen und Physiker die Entropie des Systems an, deren Werte einer Wahrscheinlichkeitsverteilung folgen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Wahrscheinlichkeiten kann sie in diesem Fall auch negative Werte annehmen. »Diese Negativität ist wichtig«, erklärt Niroula auf X; denn sie deutet auf magische Zustände hin, wie bereits in früheren Arbeiten gezeigt wurde. Dass die Quantenphysik den gewöhnlichen Regeln der Wahrscheinlichkeitslehre widerspricht, ist nicht neu: Es kommt manchmal vor, dass Quantenzustände »Pseudowahrscheinlichkeitsverteilungen« folgen, die teilweise negative Werte haben können.
Die Fachleute stellten fest, dass der Quantenzustand des logischen Qubits durch kleine Fehler nach Ausführen des Stabilisierungscodes wenig Magie enthält – so wie vor dem Anwenden des Codes. »Starke Fehler führen hingegen zu umfangreicher Magie im logischen Zustand«, schreibt Xhek Turkeshi. Wie das Forschungsteam herausfand, gleicht der Verlauf der Magie eines Systems bei Erhöhung der Fehler einem Phasenübergang, ähnlich wie der Übergang eines Festkörpers zu einer Flüssigkeit, wenn die Temperatur steigt.
»Das Ergebnis verdeutlicht einmal mehr, wie schwierig es ist, zu bestimmen, was etwas zu einem ›Quant‹ macht«Xhek Turkeshi, Physiker
Damit haben Niroula und seine Kollegen und Kolleginnen einen neuen Weg gefunden, um magische Zustände zu erzeugen. »Allerdings beruht dieser Zustand auf zufälligen Fehlern und unterliegt damit nicht der Kontrolle des Experimentators«, schreibt Turkeshi. »Die Herausforderung besteht darin, den Zustand in einen Zustand zu verwandeln, der für Quantenberechnungen nützlich ist.« Dies könne gelingen, wenn man andere Stabilisierungscodes betrachtet.
Dennoch betont der Physiker, dass die neueste Arbeit der Forschenden überaus wichtig ist. »Das Ergebnis von Niroula und Kollegen verdeutlicht einmal mehr, wie schwierig es ist, zu bestimmen, was etwas zu einem ›Quant‹ macht. Vor einem Jahrhundert, bei der Geburt der Quantenmechanik, war diese Frage eine philosophische, aber jetzt ist sie mit Messungen untersuchbar.«
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