Artbildung: Neue Nische, neue Art
Eine Verwandte der Kirschfruchtfliege ist auf höchst ungewöhnlichem Wege entstanden: Sie hat sich nicht, wie sonst im Tierreich üblich, durch Aufspaltung einer Stammart gebildet, sondern als Nachkomme von Eltern unterschiedlicher Artzugehörigkeit, die miteinander Hybriden zeugen können. Da diese Sprösslinge ausschließlich eine eigene Wirtspflanze besiedeln, pflanzen sie sich nicht mehr mit den auf anderen Pflanzenwirten lebenden Angehörigen der Elternarten fort und haben sich darum zu einer eigenen Spezies entwickelt.
Die Fruchtfliegen (Tephritidae) aus der Gattung Rhagoletis sind hoch spezialisierte Fruchtparasiten, die auf jeweils eigene, Beeren tragende Wirtspflanzenarten beschränkt sind: Sie paaren sich auf den Büschen und legen ihre Eier in die Beeren, wo sie sich zu Larven entwickeln. Vor der Verpuppung verlassen die Larven die Beeren und überwintern im Boden, bevor sie im Frühjahr als neue Erwachsenengeneration schlüpfen.
Durch diese enge Bindung an die Wirtspflanze vermischen sich die einzelnen Populationen normalerweise nicht und genießen daher den Status eigenständiger Arten innerhalb eines so genannten Spezieskomplexes – einer Gruppe sehr eng verwandter Spezies, die sich untereinander teilweise noch fortpflanzen können, sollten sie denn doch einmal zufällig aufeinander treffen. Die daraus entstehenden Nachkommen sind aber in der Regel konkurrenzschwächer als ihre "reinrassigen" Verwandten und haben damit deutlich verringerte Überlebenschancen.
Der entscheidende Punkt für das Überleben der neuen Rhagoletis-Art war, dass Ende des 18. Jahrhunderts eine nicht heimische Geißblatt-Variante in Nordamerika eingeführt wurde, die sich Ende der 1880er Jahre als Zier- und Wildpflanze etablierte, berichten Dietmar Schwarz von der Penn-State-Universität und seine Kollegen. Sie bot den Hybriden einen neuen, noch nicht besetzten Lebensraum als Wirtspflanze und ermöglichte ihnen so das Dasein neben den Besiedlern anderer Beeren tragender Sträucher. Die Forscher hatten genetische Merkmale aller in Frage kommenden Rhagoletis-Vertreter verglichen und dabei R. mendax und R. zephyria als Elternspezies ausgemacht.
Da hoch spezialisierte Parasiten einen großen Teil aller Tierarten ausmachen, vermuten die Forscher, dass dieser Weg der Artbildung weitaus häufiger sein könnte als bislang vermutet. Im Pflanzenreich sind zu eigenen Spezies gewordene Hybride dagegen häufig.
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