Raumfahrtantriebe: Wie kommen wir am schnellsten zum Mars?
Der deutsche Physiker und Ingenieur Hermann Oberth (1894–1989) gilt als prophetischer Initiator der Raumfahrt. Er stellte physikalisch-mathematische Überlegungen an, wie es gelingen könne, den Mond zu erreichen. Mit einer Kanone, wie Jules Verne es in seinem Buch »Von der Erde zum Mond« beschreibt, funktioniere das nicht, erkannte Oberth. Allerdings könne es mit einer Rakete klappen, so der Vordenker der Astronautik. Recht hatte er.
Im Jahr 1969 betraten die ersten Menschen den Mond. Mit einer Trägerrakete hatten sie die Erde verlassen und fünf Tage später mit einer Landefähre auf dem Erdtrabanten aufgesetzt. Die menschliche Neugierde war damit aber längst nicht befriedigt; die Erkundung des Weltalls ist weiterhin in vollem Gang. Und wie Oberth vor etlichen Jahrzehnten, fragen Raumfahrtingenieure und Weltraumforscher des 21. Jahrhunderts: Mit welcher Antriebstechnologie gelangen wir zu dieser oder jener Destination fernab unseres Heimatplaneten?
Einer, der darauf Antworten sucht, ist Martin Tajmar. Der Physikingenieur und Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität Dresden forscht mit seinen Mitarbeitern an neuen Konzepten für Weltraumantriebe. Dabei geht es um hocheffiziente Triebwerke für Satelliten und unbemannte Raumsonden als auch um Ideen für die bemannte Raumfahrt, die als nächstes Ziel den knapp 230 Millionen entfernten Planeten Mars auserkoren hat.
Durch das Sonnensystem segeln
Als Sondenantrieb ist für Tajmar insbesondere eine Technik zukunftsfähig: das so genannte Solarsegel, gemeinhin auch als Sonnensegel bekannt. Bereits Oberth hat diesen Antrieb theoretisch beschrieben; somit ist er älter als das Raumfahrtzeitalter selbst. »Das Besondere an dieser Methode ist, dass man keinen Treibstoff mitnehmen muss«, so Tajmar. Bislang setzt man in der Raumfahrt in erster Linie auf chemische Antriebe. Das Gewicht des Raumgefährts steigt durch den mitgeführten Treibstoff enorm. Seine Menge kann also nicht beliebig vergrößert werden. Das Raumschiff wird daher meist durch eine kurze und heftige Beschleunigungsphase auf seine Endgeschwindigkeit gebracht und wird dann nicht mehr schneller. Licht hingegen, der »Treibstoff« von Solarsegeln, ist zumindest für sonnennahe Missionen unbegrenzt verfügbar. Das Raumschiff erfährt also eine permanente Beschleunigung.
Das Prinzip des Antriebs ist in gewisser Weise vergleichbar mit dem eines Segels hier auf der Erde: Teilchen treffen auf das Segel, werden reflektiert und »schieben« es in eine Richtung. Auf der Erde sind dies Luftmoleküle, beim Sonnensegel Lichtstrahlen von der Sonne oder Photonen, wie Physiker sagen würden. Die unzähligen Ministöße erzeugen in Summe einen stetigen, wenn auch kleinen Vorwärtsschub. Die zu erreichende mögliche Beschleunigung hängt von verschiedenen Parametern ab, insbesondere von der Größe des Segels, dem Gewicht des Raumschiffs und der Strahlungsintensität. Um überhaupt nennenswerte Beschleunigungswerte zu erreichen, sind sehr große und leichte Segelfolien vonnöten.
Verschiedene Missionen hatten zu Testzwecken bereits solare Segel im Einsatz. Eine erste erfolgreiche operationelle Mission führte im Jahr 2010 die japanische Raumfahrtagentur durch: Die Sonde Ikaros (Interplanetary Kite-craft Accelerated by Radiation Of the Sun) wurde mit chemischen Triebwerken auf Kurs zur Venus gebracht und war zusätzlich mit einem 173 Quadratmeter großen, nur wenige Mikrometer dicken Segel ausgestattet, das sich mittels Fliehkräften, entstanden durch die Eigenrotation der Sonde, ausfahren ließ. Selbst bei optimaler Ausrichtung erreichte die Sonde durch das Segel jedoch lediglich eine zusätzliche Antriebskraft von 1,6 Millinewton. Bei einer Gesamtmasse von nur 315 Kilogramm wurde sie dadurch pro Monat rund 40 Kilometer pro Stunde schneller. Nach gut einem halben Jahr Flugzeit passierte die Sonde die Venus.
Entdecker segelen über die Weltmeere oder im Weltall
Auch aktuell gibt Projekte zum Test von Sonnensegeln: So soll etwa noch im Jahr 2018 die Mission Light Sail 2 der Planetary Society starten. Die Beteiligten wollen unter anderem demonstrieren, dass das Segelprinzip schon im niedrigen Erdorbit funktioniert. Eine große Herausforderung besteht bei der Solarsegeltechnik darin, die Folien im Weltraum zu entfalten und zu positionieren. Ähnlich wie bei einem Segelboot kann das Raumgefährt durch die Stellung des Sonnensegels relativ zur Einstrahlrichtung der Photonen durch das Sonnensystem manövriert werden. Mitunter wird deshalb der Vergleich zwischen einstigen und zukünftigen Entdeckern bemüht: Die einen segelten über die Weltmeere, die anderen werden durchs Weltall kreuzen.
Realistisch ist dieses Bild kaum – zumindest nicht nach heutigem Stand der Technik. Die sehr geringe Antriebskraft oder auch Schub genannt ist zwar ausreichend, um im Weltall voranzukommen. Gleichwohl ist sie um ein Vielfaches geringer als etwa bei chemischen Antrieben. »Die Methode ist unschlagbar, wenn Zeit keine große Rolle spielt«, erklärt Tajmar. Das gilt in gewissem Maß für unbemannte Sonden. Bei bemannten Missionen ist aber das Gegenteil der Fall. Einerseits weil Raumfahrer selbstverständlich nicht ewig unterwegs sein können, da ihre Ausdauer nun einmal begrenzt ist. Anderseits – und das ist der ausschlaggebende Faktor – weil die Strahlenbelastung im Weltraum sehr groß ist. Die hohen Werte verträgt der menschliche Körper nur für eine begrenzte Zeit.
»Wenn Astronauten etwa zum Mars fliegen sollen, dann muss man für das große Problem der Strahlenbelastung eine Lösung haben«Stefan Schlechtriem
Für Stefan Schlechtriem, Direktor des Instituts für Raumfahrtantriebe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen und Experte für chemische Raumfahrttriebwerke, ist dieser Punkt sogar eine der drängendsten Fragen der Weltraumforschung. »Wenn Astronauten etwa zum Mars fliegen sollen, dann muss man für das große Problem der Strahlenbelastung eine Lösung haben.« Bislang könne aber niemand sagen, wie lange der menschliche Körper die hohe Dosis an gefährlichen Strahlen im Weltraum verkrafte. Für Schlechtriem ist es in diesem Fall die beste Strategie, zu versuchen, die Reise so kurz wie möglich zu halten.
Mit chemischen Triebwerken, die entweder flüssigen oder festen Treibstoff verbrennen, bräuchte man laut Schlechtriem grob anderthalb Jahre, um den Roten Planeten zu erreichen. Das könnte schon zu lange sein. Der große Vorteil von chemischen Antrieben ist der enorme Schub, den sie generieren. Daher sind sie in der Lage, ein Raumfahrzeug innerhalb kürzester Zeit stark zu beschleunigen. Die derzeit kraftvollsten Raketentriebwerke, die so genannten Feststoffboosterantriebe des Spaceshuttle, erreichen einen Schub von 14,5 Meganewton. Das Flüssigkeitstriebwerk der Saturn V schafft es auf bis zu 6,9 Meganewton.
Ausdauer ist jedoch nicht ihre Stärke: Der Brennstoff ist in der Regel bereits nach einer kurzen, heftigen Beschleunigungsphase, die teilweise nur wenige Sekunden andauert, verbraucht. Fachleute betrachten in diesem Zusammenhang den so genannten spezifischen Impuls. Diese Kenngröße beschreibt die Antriebseffizienz als Verhältnis zwischen Impuls und verbrauchter Treibstoffmasse. Letztere ist bei chemisch basierten Antrieben enorm hoch, wodurch die Effizienz sinkt. Sie erreichen in der Regel einen spezifischen Impuls von mehreren hundert Sekunden. Bei anderen Antriebsmethoden, die deutlich weniger Treibstoff benötigen, kann dieser Wert jedoch im mehrstelligen Tausenderbereich liegen.
»Will man die Erde verlassen, braucht man einen chemischen Antrieb«Stefan Schlechtriem
Auf Grund ihrer gigantischen Schubkraft sind chemische Triebwerke indes prädestiniert dafür, die Erdanziehung zu überwinden und selbst große Massen aus der Erdatmosphäre zu katapultieren. Alle Raketen, die von der Erde aus starten, nutzen chemische Triebwerke. Und für Schlechtriem steht sogar fest: »Will man die Erde verlassen, braucht man einen chemischen Antrieb.«
Volker Kraft ist Mitarbeiter von Schlechtriem und Experte für nukleare Antriebstechnologien in der Raumfahrt. Er sieht eine Möglichkeit darin, die Reisezeit zum Mars zu minimieren, indem man eine Kombination unterschiedlicher Antriebe nutzt. Man habe bereits die halbe Miete, wenn man das Raumschiff in die Umlaufbahn eines Planeten – in diesem Fall der Erde – gebracht habe.
Bereits der Raumfahrtpionier Oberth hat das auf ähnliche Weise formuliert. Chemische Antriebe könnten also dazu dienen, genau dieses wichtige Etappenziel zu erreichen. Anschließend lassen sich dann andere Techniken einsetzen. Heiße Kandidaten für solche Antriebe sind für alle drei Fachleute nukleare Triebwerke. »Wenn man schnell wohin möchte, dann macht man das mit einem nuklearen Antrieb«, meint zum Beispiel Tajmar. Die Energie bezieht man dabei aus Zerfall, Spaltung oder Fusion von Atomkernen.
Ins All dank eines Kernreaktors
Die Idee dieser Antriebstechnik ist zwar noch nicht ganz so alt wie die des Sonnensegels, gleichwohl ist auch sie keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Bereits Ende der 1960er Jahre testeten Ingenieure der NASA im Rahmen des Projekts Rover einen Prototypen, die Nuclear Engine for Rocket Vehicel Application, kurz NERVA.
Ein Kernreaktor diente als Wärmequelle, der Wasserstoffgas auf mehr als 2000 Grad Celsius erhitzte. Das durch eine Düse ausgestoßene Gas erzeugte eine maximale Schubkraft von rund 330 Kilonewton über eine Dauer von mehr als zehn Minuten. Die längste Testphase des Antriebs dauerte fast vier Stunden. Mit ihrem Prototyp konnten die beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler also bereits zeigen, dass mit weniger Treibstoff deutlich längere Beschleunigungsphasen als bei chemischen Antrieben möglich sind. »Ein solches nuklear-thermisches Antriebssystem hätte im besten Fall eine doppelt so hohe Antriebseffizienz wie ein chemisches Raketentriebwerk«, erklärt Tajmar. Die Reisezeit zum Mars ließe sich somit im Vergleich zu Raumschiffen mit chemischen Triebwerken mindestens halbieren.
Eine große Herausforderung für Ingenieure von nuklearen Antriebstechniken sind die radioaktiven Teilchen, die dabei entstehen können: »Das Problem ist, diese Triebwerke auf der Erde zu testen. Eine radioaktive Kontamination kann nicht ausgeschlossen werden«, sagt Kraft. Man müsse also die ausströmenden Gase einfangen und auswaschen, so der Spezialist für nukleare Antriebe. Die Testeinrichtung im Projekt Rover hatte gegen Ende des Versuchsprogramms eine solche Anlage in Betrieb, um radioaktive Stoffe zu entfernen. Aus Kosten- und Sicherheitsgründen wurde Rover jedoch eingestellt.
Sicherheitsrisiko Radioaktivität
Auch heute würde es einen großen Aufwand bedeuten, die geltenden Sicherheits- und Umweltstandards einzuhalten, so Kraft. Zudem brächte der Start einer Rakete mit nuklearen Triebwerken ein hohes Risiko mit sich. Daher wäre für Kraft eine Kombination denkbar: »Bei einer Marsmission könnte man chemisch starten und die Umlaufbahn der Erde erreichen und dann die weitere Reise mit einem nuklearen Antrieb fortführen.« Denn wenn der Reaktor noch nicht in Betrieb war, sind keine hochaktiven Spaltprodukte vorhanden, die im Fall einer Havarie austreten würden. Somit wären hier auf der Erde keine extremen Sicherheitsmaßnahmen notwendig.
Für die Astronauten wiederum wäre die vom Antrieb ausgehende Strahlenbelastung zu vernachlässigen. Einerseits kann man den Reaktor relativ gut abschirmen, und andererseits gilt: »Der Weltraum ist bereits komplett verstrahlt. Hätte man einen strahlenden Reaktor an Bord, wäre die Strahlungsbelastung am Ende für das Personal trotzdem geringer, da sie auf Grund der kürzeren Reise schlichtweg weniger Zeit im Weltraum verbringen«, sagt Tajmar. Nur die entstehende Nachverfallswärme müsste man geeignet abführen. Dafür gebe es aber bereits Ideen, so Tajmar, etwa große Radiatorenflächen, die man im Weltraum ausfaltet und die die Hitze abstrahlen.
Kraft sieht in diesem Zusammenhang auch eine Chance: »Man könnte die Wärme nutzen, um Bordenergiesysteme zu betreiben.« Zudem ließe sich ein nuklearer Antrieb auch so designen, dass man das Kohlenstoffdioxid der Marsatmosphäre als Antriebsgas nutzen könnte. Somit hätte man einen nuklearen Raketenantrieb, mit dem die Astronauten nach ihrem Marsaufenthalt wieder in die Umlaufbahn des Planeten gelangen könnten. Und zu guter Letzt ließe sich mit der Energie des nuklearen Reaktors nach der Ankunft eine Weltraumstation versorgen, erläutert Tajmar.
Experimentiert Roskosmos mit nuklearen Antrieben?
In Zusammenarbeit mit dem privaten Unternehmen BWXT entwickelt die NASA wieder erste Prototypen für nukleare Antriebe. Nach eigenen Angaben tut das auch die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos, und womöglich hat sie im Frühling 2018 bereits Raketen mit nuklearen Triebwerken getestet, wie amerikanische Geheimdienste berichteten. Tajmar spekuliert, dass das ihre Eintrittskarte für eine große, internationale Mission sein könnte, falls es zu dieser kommen sollte. »Die Russen hätten dann eine Technologie, die die anderen nicht haben und wären automatisch mit im Boot.« Er glaubt außerdem, dass China schon bis 2030 über funktionierende nuklear-thermische Antriebe verfügen wird. Laut Presseberichten plant der Hauptauftragnehmer für das chinesische Weltraumprogramm China Aerospace Science and Technology Corporation, kurz CASC, dass er ab dem Jahr 2040 nuklear betriebene Raumschiffe einsatzbereit haben wird.
Für Tajmar sind die nuklearen Antriebe momentan die einzigen, die es Menschen ermöglichen könnten, das Sonnensystem zu erkunden. Für den energieeffizienten Dauerbetrieb könnten jedoch laut ihm und Kraft in Zukunft auch ionenbasierte Triebwerke eine wichtige Rolle spielen. Diese Technik zählt zu der Klasse der elektrischen Antriebe, und verschiedene Satelliten und Raumsonden hatten sie bereits im Einsatz. Der Schub wird in diesem Fall durch einen Rückstoß eines ionisierten Gases generiert. Je nachdem, welche Energiequelle die Gasatome ionisiert und beschleunigt, unterscheidet man zwischen solar-elektrischen und nuklear-elektrischen Versionen. Die Schubkraft ist deutlich geringer als bei chemischen oder nuklearen Antrieben – für einen Start von der Erde sind sie also nicht geeignet.
»Ich möchte mich nicht damit abfinden, dass wir zwar das Sonnensystem erforschen können, aber nichts darüber hinaus«Martin Tajmar
Auf Grund des sehr geringen Treibstoffverbrauchs weisen sie jedoch eine höhere Antriebseffizienz auf: Der spezifische Impuls liegt mitunter bei bis zu 3000 Sekunden. Sie kämen also als sekundäre Triebwerke in Frage – insbesondere für Missionen, bei denen die Dauer nicht im Vordergrund steht. Tajmar könnte sich zum Beispiel vorstellen, dass damit in Zukunft große Frachtschiffe betrieben werden, etwa zwischen Erde und Mars. Kraft betont, dass ein großer Vorteil gegenüber den nuklearen Antrieben darin liege, dass Ingenieure Tests auf der Erde problemlos durchführen können.
Wird die Raumfahrt der nahen Zukunft also mit Antrieben aus dem letzten Jahrhundert auskommen müssen? Immerhin, so Tajmar, sei darunter ja einer mit dem etwa bemannte Reisen zum Mars möglich sind. Dennoch suchen er und seine Mitarbeiter nach bahnbrechenden Alternativen und überprüfen neuartige Theorien. Eine viel versprechende Methode ist ihm allerdings noch nicht untergekommen: »Wir hatten noch nichts in unserem Labor, das einer Überprüfung standgehalten hat.«
Doch Aufgeben kommt für den Weltraumingenieur nicht in Frage: »Ich möchte mich nicht damit abfinden, dass wir zwar das Sonnensystem erforschen können, aber nichts darüber hinaus.« Und auch für Schlechtriem steht fest: »Bei allem, was wir tun, denken wir an zukünftige Missionen, vor allem Explorationsmissionen.« Die heutigen Weltraumforscher handeln also ganz im Sinn von Oberth, der angeblich einst sagte: »Es ist auf der Welt nichts unmöglich, man muss nur die Mittel entdecken, mit denen es sich durchführen lässt.«
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