Organspende: Erst reparieren, dann transplantieren
Für Menschen, deren Leber nicht mehr funktioniert, ist ein Spenderorgan oft die einzige Chance. Leider gibt es in Deutschland viel zu wenige davon: Hier zu Lande spenden nur knapp zehn Menschen pro Million Einwohner Organe; ob das neue Transplantationsgesetz diesen Wert verbessern wird, ist fraglich. Zudem sind die gespendeten Lebern nicht immer zur Transplantation geeignet: Laut Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation ließen sich 21 Prozent der im Jahr 2018 gespendeten Lebern nicht transplantieren. Ganz konkret wurden 202 Lebern also nicht verpflanzt, sondern nach der Spende entsorgt.
Immer mehr geschädigte Lebern
Woran liegt das? »In der Gesamtbevölkerung nehmen das Durchschnittsalter und der Anteil an übergewichtigen Menschen zu. Das spiegelt sich natürlich auch bei den Organspendern wieder«, erklärt Daniel Seehofer, Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Leipzig. Durch ungesunde Ernährung und den Konsum von Alkohol wird gerade die Leber, unser zentrales Entgiftungsorgan, in Mitleidenschaft gezogen. Zwar muss eine Spenderleber nicht wie die eines kerngesunden 20-Jährigen aussehen, sagt Seehofer, es gibt aber Grenzen: »Ist eine Leber zu über 30 Prozent verfettet, wird es kritisch.«
»Ist eine Leber zu über 30 Prozent verfettet, wird es kritisch«Daniel Seehofer, Universitätsklinikum Leipzig
Nun ist die nicht alkoholische Fettleber in den Industrieländern aber mittlerweile die häufigste Lebererkrankung. Laut Angaben der Deutschen Leberstiftung ist jeder vierte Bundesbürger, der älter als 40 Jahre ist, davon betroffen – Tendenz steigend. Das Fett, das sich in der Leber einlagert, schränkt die Funktion des Organs ein. Es kommt zu Entzündungen, Zellschädigungen und Umbauprozessen – eine Zirrhose oder Leberkrebs kann die Folge sein. Und: Für die Transplantation eignen sich die geschädigten Lebern eben auch nicht mehr.
Vielleicht gibt es aber einen Weg, die Organe zu reparieren und dann doch einsetzen zu können. Das hoffen zumindest Forscher um den Chirurgen Pierre-Alain Clavien vom Universitätsspital Zürich. Sie haben für das »Liver4Life«-Projekt mit Ärzten, Biologen und Ingenieuren des Universitätsspitals, der ETH sowie der Universität Zürich ein maschinelles Durchblutungssystem entwickelt. Damit können menschliche Lebern nicht nur bis zu einer Woche außerhalb des Körpers am Leben erhalten werden: Zugleich reduziert sich der Fettgehalt der Organe und ihr Gewebe regeneriert. Das Verfahren könne die Zahl der transplantierbaren Organe verdoppeln oder gar verdreifachen, schreibt das Team in der Fachzeitschrift »Nature Biotechnology«.
Durchblutung für ein gesundes Spenderorgan
Die Idee einer maschinellen Durchblutung ist nicht neu. In vielen Ländern sei es bereits klinische Routine, die Spenderorgane so aufzubewahren, erklärt der Leipziger Transplantationsmediziner Seehofer. In Deutschland nutze man die so genannte Ex-vivo-Perfusion hauptsächlich, um zu beurteilen, wie gut ein Organ funktioniert. Mit Hilfe der Maschinen kann man beispielsweise die Konzentration von Stoffwechselprodukten messen und kontrollieren, wie viel Gallenflüssigkeit die Leber produziert. Aus den verschiedenen Parametern könne man dann vorhersagen, wie das Organ eine Transplantation übersteht, erklärt Seehofer.
Bislang konnte man eine Leber aber nur für etwa 24 Stunden künstlich am Leben erhalten. Immerhin: Auch in dieser Zeit erholt sich das Gewebe, und gängige Durchblutungsmaschinen reduzieren den Fettgehalt einer gespendeten Leber schon heute. Um neue Leberzellen zu bilden und größere Schäden zu reparieren, genügt ein Tag allerdings nicht.
Die Kunst, eine Leber am Leben zu halten
Das Team um Clavien wollte dieses eintägige Zeitfenster vergrößern. Dabei standen sie zu Beginn ihrer Experimente mit einem künstlichen Durchblutungssystem für Schweinelebern vor zahlreichen Herausforderungen. So will eine Leber zum Beispiel andauernd bewegt werden: Liegt sie über längere Zeit nur in einer Maschine, wird der Druck auf das Lebergewebe an manchen Stellen zu hoch, und die Zellen nehmen Schaden. Bei Menschen wie auch bei Schweinen sorgt die Atmung für diese Bewegung, denn die Leber ist mit dem Zwerchfell verwachsen, das sich mit jedem Atemzug hebt und senkt. So wird das Gewebe auch gleichmäßig durchblutet. Das Team um Clavien simulierte die Verhältnisse im Körper nun, indem es die Organe auf eine Silikonmatte bettete, unter der sich ein Ballon befand, welcher sich 15-mal pro Minute aufblies und entleerte. Das entspricht in etwa dem menschlichen Atemrhythmus.
Außerhalb des Körpers wird für unser Entgiftungsorgan auch die Abfallentsorgung zum Problem. Leberzellen filtern Schadstoffe wie etwa Alkohol oder Medikamente aus dem Blut, wandeln sie um und machen sie damit ungiftig. Damit das funktioniert und das Organ keinen Schaden nimmt, werden wasserlösliche Stoffe über abführende Venen zurück in den Blutkreislauf gespeist und über die Niere ausgeschieden. Wasserunlösliche Verbindungen hingegen gelangen über den Gallengang in den Darm. Im künstlichen Durchblutungssystem integrierten die Forscher stattdessen einen künstlichen Gallengang sowie eine Dialysemembran, die wasserlösliche Stoffe durchlässt – quasi als Ersatz für die Niere.
Funktionieren muss natürlich auch die Durchblutung selbst, die bei der Leber alles andere als simplen Regeln folgt. Im Körper wird das Organ zum einen von sauerstoffreichem Blut versorgt, das unter hohem Druck über die Leberarterie eintritt. Zum anderen bezieht es sauerstoffarmes Blut aus dem Verdauungstrakt. Dieses ist reich an Nährstoffen und gelangt über die Pfortader in unser Entgiftungsorgan. In speziellen Gefäßen der Leber, den so genannten Sinusoiden, mischt sich das ankommende Blut: Hier filtern die angrenzenden Leberzellen Nähr- und Schadstoffe heraus. Das Team um Clavien baute jenes Funktionsprinzip mit Pumpen und Schläuchen nach, um Druck und Sauerstoffkonzentration des Nährmediums genau regeln zu können. Statt echtem Blut verwendete das Forscherteam für die menschlichen Lebern eine Flüssigkeit, die menschliches Blutplasma, rote Blutkörperchen sowie Blutplättchen enthielt. Um das nährstoffreiche Blut aus Magen und Darm nachzubilden, setzten die Forscher der Flüssigkeit in der künstlichen Pfortader verschiedene Nährstoffe sowie ein natürlich vorkommendes Gallensalz zu.
Kühlen repariert nicht – Durchbluten sehr wohl
Beim typischen Organspendeverfahren in Deutschland wird eine Spenderleber nach der Entnahme auf Eis gekühlt – und bleibt dann üblicherweise bis maximal 16 Stunden lang transplantierbar. Dabei wird die Stoffwechselaktivität im Gewebe verlangsamt, um das unvermeidbare Absterben des Organs hinauszuzögern – regenerieren kann sich die Leber so aber sicher nicht. Claviens Team wollte die Stoffwechselaktivität der Leberzellen stattdessen weiterlaufen lassen und stellte die Temperatur des Systems auf 34 Grad Celsius, also leicht unterhalb der menschlichen Körpertemperatur ein. Die meisten Stoffwechselprozesse, die in den Leberzellen ablaufen, werden zudem durch Hormone reguliert: Die Bauchspeicheldrüse schüttet beispielsweise Insulin aus, wenn sich der Blutzuckerspiegel erhöht, also nach dem Essen. Das Hormon bringt die Leberzellen dazu, Zucker aus dem Blut aufnehmen. Um diese natürlichen Regelkreise nicht durcheinanderzubringen, programmierte das Forscherteam die Maschine so, dass sie dem Kunstblut je nach Bedarf Insulin oder seinen Gegenspieler Glukagon zusetzte.
Zahlen & Fakten
Die Leber ist nach der Niere das am zweithäufigsten transplantierte Organ. Insgesamt 872 Lebern wurden hier zu Lande laut Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation im Jahr 2018 transplantiert. Etwa ebenso viele Menschen warteten im selben Jahr vergeblich auf ein passendes Organ. Wenn eine Spenderleber gefunden ist, muss es aber rasch gehen: In Deutschland werden Organe nach der Entnahme auf Eis gelagert. Zehn bis maximal 16 Stunden bis zur Transplantation lassen sich so überbrücken; ein noch ganz neues Verfahren verspricht, menschliche Lebern bald bei minus vier Grad Celsius weitgehend unbeschadet für etwa 20 Stunden vorhalten zu können.Im siebentägigen Testbetrieb lief das Durchblutungssystem schließlich vollautomatisch – ständig anwesendes medizinisches Personal zur Überwachung sei nicht notwendig, schreibt das Team, und es mussten weder Nährflüssigkeiten ausgetauscht noch Blutkomponenten hinzugegeben werden. Das System arbeitet also – aber funktioniert es auch? Clavien und Co testeten dies mit zehn gespendeten menschlichen Organen, die zuvor von europäischen Transplantationszentren abgelehnt worden waren. Alle waren entweder schon zu lange gelagert oder von Beginn an relativ stark geschädigt: Es handelte sich um verfettete Organe oder solche, in welchen Leberzellen vermehrt durch Narbengewebe ersetzt worden waren. Mediziner bezeichnen diese Art der Lebererkrankung als Fibrose. Schreitet die Vernarbung weiter voran, spricht man von einer Leberzirrhose. Das Organ schrumpft und verliert nach und nach an Funktion.
Die einwöchige Prozedur an der Durchblutungsmaschine bekam sechs Organen von zehn offenbar recht gut: Die Wissenschaftler verzeichneten eine Abnahme typischer Entzündungsmarker, und die Zahl der toten Zellen erreichte am siebten Tag ihren niedrigsten Wert. Das überschüssige Fett, das sich in manchen Organen abgelagert hatte, war durch vorhandene Fresszellen beseitigt worden.
Von Fibrose betroffenes Gewebe zu regenerieren, gelang dem Team um Clavien allerdings noch nicht. Außerdem unklar bleibt vor allem auch, ob die Organe nach der Aufbewahrungszeit überhaupt noch richtig funktionieren. Mittels verschiedener Färbungen zeigte das Team um Clavien zwar, dass das Gewebe der meisten Lebern äußerlich intakt war. Zudem produzierten die Zellen weiterhin Gallenflüssigkeit und wichtige Proteine, zum Beispiel Gerinnungsfaktoren. Um sicherzugehen, dass die Lebern funktionieren, müsste man sie aber tatsächlich jemandem transplantieren. Im Tierversuch ist das Team hier schon weiter: Drei zuvor maschinell durchblutete Schweinelebern arbeiteten nach einer Transplantation in Empfängerschweine ähnlich wie Organe, die für einige Stunden auf Eis gekühlt worden waren. Auf Grund ethischer Bestimmungen konnten die Forscher allerdings keine Langzeitdaten erheben, sondern mussten die Tiere drei Stunden nach der Transplantation töten.
Noch kann die Maschine keine Leben retten
»Die Studie der Kollegen aus Zürich ist eine wichtige Vorarbeit«, sagt Seehofer. Im Moment könne man mit der neuen Technologie zwar noch keine Leben retten. Er glaubt aber, dass sie den Weg für weitere Schritte ebnet. Neben der Regeneration von geschädigtem Gewebe könne man das verlängerte Zeitfenster einer stoffwechselaktiven, lebenden Leber in Zukunft möglicherweise sogar nutzen, um die Antigene auf der Oberfläche der Zellen so zu verändern, dass das Organ vom Empfänger nicht mehr abgestoßen wird. Das würde die Risiken der Transplantation verringern und es einfacher machen, ein passendes Spenderorgan für einen Menschen zu finden, der dringend eine neue Leber braucht. Denkbar ist auch, deutlich geschädigte Gewebe außerhalb des Körpers mit Medikamenten zu behandeln und dann dem Spender selbst oder anderen Patienten wieder einzusetzen. Dabei könnte man dann Wirkstoffkonzentrationen verwenden, die wegen starker Nebenwirkungen zu schädlich wären, wenn sie denn Patienten direkt verabreicht würden. Am Ende kann man auf ähnlichen Wegen womöglich auch einmal Krebspatienten behandeln, spekuliert Seehofer.
»Wer Transplantationsmedizin will, muss auch Organspende wollen«Daniel Seehofer, Universitätsklinikum Leipzig
Noch würden allerdings viele Fragezeichen im Raum stehen, sagt der Leipziger Transplantationsmediziner. Schon heute könnte man aber, ganz ohne künstliche Durchblutungssysteme, mehr leberkranken Menschen helfen: durch Organspende. »Es gibt etwa doppelt so viele Menschen, die Organe spenden könnten«, sagt Seehofer. Erst langsam sei die Politik dabei, die Gründe hierfür aufzudecken und mehr Menschen für die Organspende zu gewinnen. Der Gesetzesvorschlag zur Widerspruchslösung hätte ein Schritt in die richtige Richtung sein können – er wurde aber Anfang 2020 vom Bundestag abgelehnt. Seehofer wertet diese Entscheidung als Rückschlag. Doch er hofft, dass sich durch die Diskussion und die kommenden regelmäßigen Erinnerungen künftig mehr Menschen für eine Organspende entscheiden. »Wer Transplantationsmedizin will, muss auch Organspende wollen«, sagt Seehofer. Das müsse in der Bevölkerung ankommen.
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