Orogenese: Neue tibetanische Weisheiten
Der Himalaja und die Hochebene Tibets bilden ein im wahrsten Sinne des Wortes herausragendes Ziel: Alljährlich machen sich Millionen Pilger, zehntausende Touristen und auch ein paar Forscher auf den manchmal durchaus beschwerlichen Weg in diese Bergwelten. Und alle hoffen auf neue Erkenntnisse und vielleicht auch Erleuchtung.
Zu den größten Heiligtümern für gläubige Tibeter zählen Berge wie der Kailash über dem Tibetischen Plateau oder der Namco-See, der sich direkt auf der Hochebene erstreckt. Für die Anhänger des Lamaismus – der tibetischen Variante des Buddhismus – manifestiert sich in diesen Naturdenkmälern ein göttlicher Wille, dem Pilger näher kommen können, wenn sie den Berg oder den See ein- oder mehrfach umkreisen: Ein Zugewinn an spiritueller Weisheit ist dabei durchaus inklusive.
Gewässer und Berge Tibets können aber auch ganz profan der Wissenschaft einen Zugewinn an Weisheit liefern, sofern sich Forscher ihnen mit adäquaten Methoden – und natürlich dem nötigen Respekt vor religiösen Tabus – nähern. David Rowley von der Universität Chicago und Brian Currie von der Miami-Universität in Ohio hielten sich an beides, um näheren Aufschluss zum Aufstieg und Wachstum des Tibetischen Hochplateaus zu gewinnen.
Die vielfach als Dach der Welt bezeichnete Hochebene im Zentrum Asiens erstreckt sich zwischen den Gebirgszügen des Himalajas im Süden und dem Kunlun Shan im Norden in Lagen jenseits der 4000-Meter-Marke. Seine Entstehung verdankt das Plateau der Plattentektonik, die vor etwa 50 Millionen Jahren Asien und Indien kollidieren ließ. Dabei falteten sich nicht nur die zahlreichen zerklüfteten Bergwelten Zentral- und Südasiens auf, sondern es hob sich ebenso die vergleichsweise flache, teils rundhügelige Landschaft des heutigen Tibets empor. Der Zusammenstoß zweier Welten hatte neben den offensichtlichen geologischen zugleich subtilere, aber im Endeffekt ebenso weitreichende klimatische Folgen: Das Aufsteigen des Plateaus wirkte fortan als klimatische Barriere für atmosphärische Höhenströmungen und gilt als Auslöser für die Entstehung des indischen Sommermonsuns.
Zu wissen wann, wie und wie schnell sich der Himalaja, der Hindukusch und Tibet herausmodelliert haben und sich verändern, könnte folglich auch für die Erklärung des Klimas der Vergangenheit von Interesse sein: Stichwort Eiszeiten. Um entsprechende Zeitdaten zu bekommen, haben Rowley und Currie aus tibetanischen Seesedimenten, in Süßwasserseen gebildeten Kalkgesteinen sowie Karbonaten aus fossilen Böden Proben entnommen und sie auf die Zusammensetzung ihrer Sauerstoffisotope untersucht.
Im Mittelpunkt der Analysen stand das Verhältnis von 18O zu 16O – also von schwerem Sauerstoff zu normalem. Es ist quasi der chemische Fingerabdruck vergangenen Regens und Schnees, der auf dem Plateau niedergegangen ist. Im Vergleich zu den entsprechenden Isotopengehalten im Meer gibt er indirekt die Höhenlage an, in der die Niederschläge einst fielen. Denn je höher der Wasserdampf im Gebirge aufsteigt, bevor er wieder ausfällt, desto geringer wird sein Gehalt an 18O. Die von diesen Wässern gelösten und danach wieder ausgefallenen Karbonate verarmen an diesem Isotop im Vergleich zu Kalkgesteinen aus tieferen Lagen.
Systematisch betrieben lässt sich mit dieser so genannten Paläo-Altimetrie die Höhenentwicklung einigermaßen akkurat nachzeichnen. Nach Angaben der beiden Wissenschaftler ist sie zudem besonders gut für Höhenlagen zwischen drei- und fünftausend Metern geeignet – mithin genau der Bereich des Tibetischen Plateaus. Die Auswertung der beiden Geologen lassen nun aufhorchen: So entstand die Hochebene wohl bereits vor vierzig bis fünfzig Millionen Jahren und damit ziemlich zu Beginn des interkontinentalen Zusammenstoßes von Indien und Asien. Vor 35 Millionen Jahren hat Tibet dann seine ungefähre jetzige Lage in etwa 4000 Metern über dem Meer erreicht. Seitdem bleibt die Region jedoch stabil: kein Höhenwachstum mehr, aber auch kaum eine Abnahme.
Stattdessen dehnte sich die Ebene während all der Jahre zunehmend nach Norden hin aus und vergrößerte so das Dach der Welt. Diese Erkenntnisse werfen jedoch eine bisher populäre Theorie der Gebirgsbildung und Plattentektonik über den Haufen: Nach ihr führt die Kollision zweier kontinentaler Platten an der Kontaktstelle zu einer Verdickung von Erdkruste und dem darunter liegenden Oberen Erdmantel. Im gleichen Maße, wie sich an der Oberfläche ein Gebirge aufwölbt, wächst an seiner Unterseite im zäh viskosen Erdmantel eine Art Gegenanker heran. Er wirkt dem Höhentrend des aufstrebenden Junggebirges entgegen und bremst dessen Aufstieg. Gleichzeitig besiegelt dieser Wurzel durch ihr eigenes Wachstum aber auch ihr eigenes Ende, denn die Schwerkraft zieht sie, sobald sie einen kritischen Wert überschreitet, unerbittlich in die Tiefe.
Dort wird dieser "Anker" dann im unteren Erdmantel aufgeschmolzen, während sein Widerpart an der Oberfläche – seiner Last entledigt – geardezu nach oben "stürmt" – bis sich ein neues Gegengewicht in der Tiefe ausgebildet hat. Auch unter Tibet soll dieser Prozess vor acht bis zehn Millionen Jahren stattgefunden und die Ebene entsprechend weiter angehoben haben.
Die Ergebnisse von Rowley und Currie untermauern allerdings ein anderes Modell. Diesbezüglich deformierte die Kollision immer nur die Kruste, nicht aber den Mantel, der in diesem Fall folglich nur indirekten Einfluss auf die Geschehnisse hatte. Die untersten Bereiche der Erdkruste bleiben dadurch aber vergleichsweise schwach, und jede weitere Höhenzunahme an der Ober- verursacht zunehmenden geotektonischen Stress an der Unterseite: Sie wird in diesem Bereich ebenfalls viskos und leichter beweglich. Statt Bewegungen in die Höhe förderte sie im Laufe der weiteren Plattenbewegung von Indien nach Asien hinein das Wachstum von Tibet in die Breite.
Die beiden Geologen wollen zukünftig noch ältere Gesteine auf dem Hochplateau unter die Lupe nehmen, um vielleicht Einblicke in die Geburtsphase von Himalaja und Tibet zu gewinnen. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Frage nach einer möglichen Schlüsselfunktion radioaktiver Elemente in der Erdkruste. Denn ab einem kritischen Schwellenwert könnte ihr Zerfall und die dabei erzeugte Hitze das Tiefengestein zusätzlich schwächen und damit die Orogenese beeinflussen. Auch für Reisende in Sachen Wissenschaft könnte Tibet zukünftig also noch viele neue überraschende Weisheiten bereithalten.
Gewässer und Berge Tibets können aber auch ganz profan der Wissenschaft einen Zugewinn an Weisheit liefern, sofern sich Forscher ihnen mit adäquaten Methoden – und natürlich dem nötigen Respekt vor religiösen Tabus – nähern. David Rowley von der Universität Chicago und Brian Currie von der Miami-Universität in Ohio hielten sich an beides, um näheren Aufschluss zum Aufstieg und Wachstum des Tibetischen Hochplateaus zu gewinnen.
Die vielfach als Dach der Welt bezeichnete Hochebene im Zentrum Asiens erstreckt sich zwischen den Gebirgszügen des Himalajas im Süden und dem Kunlun Shan im Norden in Lagen jenseits der 4000-Meter-Marke. Seine Entstehung verdankt das Plateau der Plattentektonik, die vor etwa 50 Millionen Jahren Asien und Indien kollidieren ließ. Dabei falteten sich nicht nur die zahlreichen zerklüfteten Bergwelten Zentral- und Südasiens auf, sondern es hob sich ebenso die vergleichsweise flache, teils rundhügelige Landschaft des heutigen Tibets empor. Der Zusammenstoß zweier Welten hatte neben den offensichtlichen geologischen zugleich subtilere, aber im Endeffekt ebenso weitreichende klimatische Folgen: Das Aufsteigen des Plateaus wirkte fortan als klimatische Barriere für atmosphärische Höhenströmungen und gilt als Auslöser für die Entstehung des indischen Sommermonsuns.
Zu wissen wann, wie und wie schnell sich der Himalaja, der Hindukusch und Tibet herausmodelliert haben und sich verändern, könnte folglich auch für die Erklärung des Klimas der Vergangenheit von Interesse sein: Stichwort Eiszeiten. Um entsprechende Zeitdaten zu bekommen, haben Rowley und Currie aus tibetanischen Seesedimenten, in Süßwasserseen gebildeten Kalkgesteinen sowie Karbonaten aus fossilen Böden Proben entnommen und sie auf die Zusammensetzung ihrer Sauerstoffisotope untersucht.
Im Mittelpunkt der Analysen stand das Verhältnis von 18O zu 16O – also von schwerem Sauerstoff zu normalem. Es ist quasi der chemische Fingerabdruck vergangenen Regens und Schnees, der auf dem Plateau niedergegangen ist. Im Vergleich zu den entsprechenden Isotopengehalten im Meer gibt er indirekt die Höhenlage an, in der die Niederschläge einst fielen. Denn je höher der Wasserdampf im Gebirge aufsteigt, bevor er wieder ausfällt, desto geringer wird sein Gehalt an 18O. Die von diesen Wässern gelösten und danach wieder ausgefallenen Karbonate verarmen an diesem Isotop im Vergleich zu Kalkgesteinen aus tieferen Lagen.
Systematisch betrieben lässt sich mit dieser so genannten Paläo-Altimetrie die Höhenentwicklung einigermaßen akkurat nachzeichnen. Nach Angaben der beiden Wissenschaftler ist sie zudem besonders gut für Höhenlagen zwischen drei- und fünftausend Metern geeignet – mithin genau der Bereich des Tibetischen Plateaus. Die Auswertung der beiden Geologen lassen nun aufhorchen: So entstand die Hochebene wohl bereits vor vierzig bis fünfzig Millionen Jahren und damit ziemlich zu Beginn des interkontinentalen Zusammenstoßes von Indien und Asien. Vor 35 Millionen Jahren hat Tibet dann seine ungefähre jetzige Lage in etwa 4000 Metern über dem Meer erreicht. Seitdem bleibt die Region jedoch stabil: kein Höhenwachstum mehr, aber auch kaum eine Abnahme.
Stattdessen dehnte sich die Ebene während all der Jahre zunehmend nach Norden hin aus und vergrößerte so das Dach der Welt. Diese Erkenntnisse werfen jedoch eine bisher populäre Theorie der Gebirgsbildung und Plattentektonik über den Haufen: Nach ihr führt die Kollision zweier kontinentaler Platten an der Kontaktstelle zu einer Verdickung von Erdkruste und dem darunter liegenden Oberen Erdmantel. Im gleichen Maße, wie sich an der Oberfläche ein Gebirge aufwölbt, wächst an seiner Unterseite im zäh viskosen Erdmantel eine Art Gegenanker heran. Er wirkt dem Höhentrend des aufstrebenden Junggebirges entgegen und bremst dessen Aufstieg. Gleichzeitig besiegelt dieser Wurzel durch ihr eigenes Wachstum aber auch ihr eigenes Ende, denn die Schwerkraft zieht sie, sobald sie einen kritischen Wert überschreitet, unerbittlich in die Tiefe.
Dort wird dieser "Anker" dann im unteren Erdmantel aufgeschmolzen, während sein Widerpart an der Oberfläche – seiner Last entledigt – geardezu nach oben "stürmt" – bis sich ein neues Gegengewicht in der Tiefe ausgebildet hat. Auch unter Tibet soll dieser Prozess vor acht bis zehn Millionen Jahren stattgefunden und die Ebene entsprechend weiter angehoben haben.
Die Ergebnisse von Rowley und Currie untermauern allerdings ein anderes Modell. Diesbezüglich deformierte die Kollision immer nur die Kruste, nicht aber den Mantel, der in diesem Fall folglich nur indirekten Einfluss auf die Geschehnisse hatte. Die untersten Bereiche der Erdkruste bleiben dadurch aber vergleichsweise schwach, und jede weitere Höhenzunahme an der Ober- verursacht zunehmenden geotektonischen Stress an der Unterseite: Sie wird in diesem Bereich ebenfalls viskos und leichter beweglich. Statt Bewegungen in die Höhe förderte sie im Laufe der weiteren Plattenbewegung von Indien nach Asien hinein das Wachstum von Tibet in die Breite.
Die beiden Geologen wollen zukünftig noch ältere Gesteine auf dem Hochplateau unter die Lupe nehmen, um vielleicht Einblicke in die Geburtsphase von Himalaja und Tibet zu gewinnen. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Frage nach einer möglichen Schlüsselfunktion radioaktiver Elemente in der Erdkruste. Denn ab einem kritischen Schwellenwert könnte ihr Zerfall und die dabei erzeugte Hitze das Tiefengestein zusätzlich schwächen und damit die Orogenese beeinflussen. Auch für Reisende in Sachen Wissenschaft könnte Tibet zukünftig also noch viele neue überraschende Weisheiten bereithalten.
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