Jahresrückblick: Neue Wege
Auch im Jahr 2008 stand ein Thema im Fokus biologisch-medizinischer Forschung: Stammzellen. Die Hoffnung verdichtet sich, dass sich hier ein ethisch unbedenklicher Weg zu ihrer Gewinnung öffnet.
Man nehme vier Gene mit den kryptischen Namen Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc, baue sie in eine schlichte Körperzelle ein – und fertig ist die Wunderwaffe: "Induzierte pluripotente Stammzellen", der biologisch-medizinische Hit des Jahres 2007 hat auch 2008 seinen steilen Erfolgskurs fortgesetzt.
Ob die kurz iPS genannten Zellen tatsächlich die in sie gesetzten Hoffnungen einst erfüllen werden, ist zwar immer noch nicht abschließend geklärt; die diesjährigen Erkenntnisse sehen jedoch viel versprechend aus. Bevor iPS ihren Siegeszug antraten, setzten Forscher auf das so genannte therapeutische Klonen mittels embryonaler Stammzellen: Wie beim berühmten Klonschaf Dolly soll ein Körperzellkern in eine entkernte menschliche Eizelle verpflanzt werden; aus dem daraus entstehenden Embryo lassen sich dann die begehrten Stammzellen entnehmen, die sich in alle gewünschten Gewebetypen verwandeln können.
Der Vorteil: Aus diesen Stammzellen gezüchtete Neurone könnten etwa einem Parkinsonpatienten, der den Zellkern gespendet hat, zurückimplantiert werden, ohne eine Abstoßung durch das Immunsystem befürchten zu müssen. Der Nachteil: Dieses Verfahren ist in Deutschland wie in den meisten Ländern verboten – schließlich wird menschliches Leben künstlich produziert, um es unmittelbar darauf wieder zu vernichten.
Unbedenkliche Alleskönner
Die Alternative zeichnete sich im November 2007 ab, als es erstmals gelang, iPS aus menschlichen Körperzellen herzustellen. Der Trick: Die vier eingeschleusten Gene Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc kodieren für gleichnamige Transkriptionsfaktoren, die wiederum die Zelle umprogrammieren und in ihren embryonalen Zustand zurückversetzen. Ein Embryo entsteht dabei nicht; iPS sind ethisch unproblematisch.
Einige Wermutstropfen bleiben allerdings. Denn mindestens einer der vier Transkriptionsfaktoren gilt als kanzerogen, und als Gentaxi, das die fremden Gene einschleust, verwenden die Forscher bislang Retroviren, die ebenfalls Krebs auslösen können. Aber auch hier kamen die Forscher weiter: Das Team um Konrad Hochedlinger von der Havard Medical School setzte auf Adenoviren, während der iPS-Pionier Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto Plasmide, also kurze DNA-Ringe, als Transportmittel nutzte. Allerdings erwiesen sich beide Methoden als nicht so effektiv wie die retrovirale Einschleusung.
Vielleicht bringt das Jahr 2009 hier den Durchbruch – das Thema Klon- und Stammzellforschung wird sicherlich die Gemüter noch weiter bewegen. Es hat auch im zurückliegenden Jahr den Bundestag beschäftigt, der am 11. April darüber zu entscheiden hatte, ob die Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes gekippt werden soll. Sie wird – zum Teil: Die Abgeordneten billigten die einmalige Verschiebung des Stichtags vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007. Das bedeutet, dass hiesige Forscher jetzt auch mit jüngeren embryonalen Stammzellen, die vor diesem Datum im Ausland hergestellt wurden, experimentieren dürfen.
Aus für Rassenmedizin
Neben den Stammzellforschern konnten dieses Jahr auch die Genetiker einige Erfolge vorweisen. Sie entzifferten die Genome des Schnabeltiers (Ornithorhynchus anatinus), der Malariaerreger Plasmodium vivax und P. knowlesi, der niederländischen Forscherin Marjolein Kriek – die damit zum ersten Mal das Erbgut einer Frau der Wissenschaft zugänglich machte – sowie des DNA-Pioniers James Watson. Dessen Genom entlarvte zugleich eine medizinische Hypothese als Mythos: Eine "rassenbasierte" Medizin, nach der Menschen je nach ethnischer Abstammung auf Grund unterschiedlichen Genpools unterschiedlich medikamentös behandelt werden sollten, funktioniert nicht. Denn schon die DNA-Sequenzen von James Watson und Craig Venter unterscheiden sich trotz gleicher Hautfarbe bereits so stark, dass nach Ansicht der Forscher nur eine "personalisierte" Medizin, die den individuellen Gen-Kode berücksichtigt, Sinn machen könnte.
Doch nicht nur bei psychischen Krankheiten mischen unsere Gene mit, sondern auch in der Liebe: Schwedische Forscher spürten dieses Jahr im menschlichen Erbgut eine Variante namens "334" auf, die anscheinend mit beeinflusst, ob Männer in einer glücklichen Partnerschaft leben.
Genetiker interessieren sich jedoch nicht nur für einzelne Genbausteine. Sie wollen auch die komplette genetische Klaviatur von Krankheiten, also deren "Genom", ergründen. Auch hier gelang 2008 ein entscheidender Fortschritt: Von zwei der bösartigsten Krebsformen – dem Glioblastom im Gehirn sowie dem Bauchspeicheldrüsenkrebs – sind jetzt die wichtigsten Mutationen bekannt, die diese Krankheiten auslösen.
Impfen gegen Krebs
Die Krankheit Krebs stand auch im Fokus des diesjährigen Nobelpreises für Medizin oder Physiologie: Der Heidelberger Virologe Harald zur Hausen wies mit seiner Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Viren ausgelöst werden kann, den Weg zur ersten Krebsimpfung – eine nach wie vor heiß umstrittene Auszeichnung, die sogar in Bestechungsvorwürfe gegenüber dem Nobelpreiskomitee gipfelte.
Teilweise nach Deutschland ging 2008 auch der Alternative Nobelpreis: Die Right-Livelihood-Stifung ehrte die Kölner Ärztin und Gründerin der Hilfsorganisation "medica mondiale" Monika Hauser für ihr Engagement für vergewaltige Frauen in Kriegsgebieten.
Dass auch Viren "krank" werden können, berichtete im August ein französischen Team. Sie entdeckten in unmittelbarer Nähe eines Mimivirus – das bislang größte bekannte Virus – winzige Viruspartikel. "Sputnik", so tauften die Forscher das Virus-Virus, scheint sich tatsächlich auf Kosten seines "Wirts" zu vermehren.
Freier Wille ade!
2008 war auch das Wahljahr des US-Präsidenten. Hat das etwas mit Biologie zu tun? Durchaus, meinen amerikanische Politikwissenschaftler. Sie hatten zufällig aus dem Telefonbuch der amerikanischen Stadt Lincoln ausgewählte Bürger nach ihrer Weltanschauung befragt und kleine Psychotests mit ihnen veranstaltet. Ergebnis: Diejenigen, die auf emotional aufwühlende Fotos besonders heftig reagierten, neigten eher zu konservativen Ansichten. Dagegen vertraten die weniger schreckhaften Personen eher liberale Positionen. Demnach könnten unsere politischen Entscheidungen tatsächlich biologische Wurzeln haben.
Dem Diktat unserer Hirnzellen unterliegen wir auch beim Weingenuss: Wer glaubt, einen edlen Cabernet Sauvignon zu schlürfen – obwohl er mit einem billigen Fusel abgespeist wird –, dessen Belohnungszentren im Gehirn feuern freudig drauf los. Die Sinnesareale lassen sich allerdings nicht hinters Licht führen.
Der Trick klappt übrigens auch mit Placebos: Eine vermeintlich teure Pille lindert Schmerz deutlich besser als ein preisgünstiges Produkt. Diese marktwirtschaftlich und pharmazeutisch wichtige Entdeckung würdigte die Organisation "Improbable Research" mit dem diesjährigen, nicht ganz ernst gemeinten "Ig-Nobelpreis für Medizin".
Kuhkompass
Beim Blick ins Gehirn scheuen Biologen auch vor kleinen Köpfen nicht zurück. So entdeckten sie bei der Sumpfammer, einem unscheinbaren Singvogel Nordamerikas, Hirnzellen, die bislang nur Primaten zugesprochen wurden: Spiegelneurone. Zumindest regen sich in der Hirnstruktur namens HVC (Higher Vocal Center), die als neuronale Schaltstelle des Vogelgesangs gilt, bestimmte Nervenzellen auch dann, wenn das Tier das Gezwitscher eines Artgenossen lediglich hört. Das HVC lässt sich sogar gezielt durch neugierige Vogelkundler abkühlen. Ergebnis der Prozedur: Der Vogel – in diesem Fall ein Zebrafink – singt langsamer.
Ähnlich verblüffend ist die diesjährige Entdeckung bei einem kleinen, kotenden Würmchen. Der bestens untersuchte Nematode Caenorhabditis elegans sollte eigentlich kaum noch Überraschungen bergen, doch offensichtlich setzt er auf einen Botenstoff des Nervensystems, den Neurobiologen bisher nicht im Visier hatten: Wasserstoff. Es zeigte sich, dass der Fadenwurm immer dann sein Geschäft erledigte, wenn sich Protonen zwischen Darmwand und Muskelzellen anreichern.
Abschied und Erinnerung
Ebenfalls gewürdigt wurde dieses Jahr Albert Hofmann. Der Schweizer Chemiker, der vor 65 Jahren einen Stoff namens Lysergsäurediethylamid synthetisierte – besser bekannt unter dem Kürzel LSD – starb am 29. April im Alter von 102 Jahren. Und auch von dem weniger bekannten Erfinder der Einwegspritze, dem neueeländischen Apotheker und Tierarzt Colin Murdoch, musste die Welt am 4. Mai Abschied nehmen.
Ihren 30. Geburtstag konnte dafür Louise Brown, das erste Retortenbaby der Welt, am 25. Juli feiern. Ein zehnjähriges Alter erreichte am 1. Oktober das Potenzmittel Viagra, und auf stolze 50 Jahre blickte eine Woche später der Herzschrittmacher zurück.
Ein besonderes Jubiläum feierte die Biologie am 1. Juli 2008: Vor 150 Jahren geriet eine damals heftig umstrittene Idee zum ersten Mal an das Licht der Öffentlichkeit. 1858 lauschte das erstaunte Publikum im ehrenwerten Versammlungssaal der Londoner Linnean Society den Ausführungen, die Alfred Russel Wallace und Charles Darwin unabhängig voneinander entwickelt hatten.
Das Jahr 2009 wird ganz im Zeichen Darwins stehen: Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, erblickte der große Naturforscher das Licht der Welt, und ein halbes Jahrhundert später, am 24. November 1859, veröffentlichte er seine revolutionäre Evolutionstheorie, welche die biologische Forschung auch in Zukunft maßgeblich prägen wird.
Ob die kurz iPS genannten Zellen tatsächlich die in sie gesetzten Hoffnungen einst erfüllen werden, ist zwar immer noch nicht abschließend geklärt; die diesjährigen Erkenntnisse sehen jedoch viel versprechend aus. Bevor iPS ihren Siegeszug antraten, setzten Forscher auf das so genannte therapeutische Klonen mittels embryonaler Stammzellen: Wie beim berühmten Klonschaf Dolly soll ein Körperzellkern in eine entkernte menschliche Eizelle verpflanzt werden; aus dem daraus entstehenden Embryo lassen sich dann die begehrten Stammzellen entnehmen, die sich in alle gewünschten Gewebetypen verwandeln können.
Der Vorteil: Aus diesen Stammzellen gezüchtete Neurone könnten etwa einem Parkinsonpatienten, der den Zellkern gespendet hat, zurückimplantiert werden, ohne eine Abstoßung durch das Immunsystem befürchten zu müssen. Der Nachteil: Dieses Verfahren ist in Deutschland wie in den meisten Ländern verboten – schließlich wird menschliches Leben künstlich produziert, um es unmittelbar darauf wieder zu vernichten.
Unbedenkliche Alleskönner
Die Alternative zeichnete sich im November 2007 ab, als es erstmals gelang, iPS aus menschlichen Körperzellen herzustellen. Der Trick: Die vier eingeschleusten Gene Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc kodieren für gleichnamige Transkriptionsfaktoren, die wiederum die Zelle umprogrammieren und in ihren embryonalen Zustand zurückversetzen. Ein Embryo entsteht dabei nicht; iPS sind ethisch unproblematisch.
Doch klappt das auch mit Zellen von Kranken? Es klappt, wiesen zwei Arbeitsgruppen im August dieses Jahres nach: Aus Körperzellen von Patienten, die unter so verschiedenen Krankheiten litten wie amyotrophe Lateralsklerose, Diabetes, Morbus Parkinson oder Down-Syndrom, ließen sich die gewünschten iPS-Linien herstellen.
Einige Wermutstropfen bleiben allerdings. Denn mindestens einer der vier Transkriptionsfaktoren gilt als kanzerogen, und als Gentaxi, das die fremden Gene einschleust, verwenden die Forscher bislang Retroviren, die ebenfalls Krebs auslösen können. Aber auch hier kamen die Forscher weiter: Das Team um Konrad Hochedlinger von der Havard Medical School setzte auf Adenoviren, während der iPS-Pionier Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto Plasmide, also kurze DNA-Ringe, als Transportmittel nutzte. Allerdings erwiesen sich beide Methoden als nicht so effektiv wie die retrovirale Einschleusung.
Vielleicht bringt das Jahr 2009 hier den Durchbruch – das Thema Klon- und Stammzellforschung wird sicherlich die Gemüter noch weiter bewegen. Es hat auch im zurückliegenden Jahr den Bundestag beschäftigt, der am 11. April darüber zu entscheiden hatte, ob die Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes gekippt werden soll. Sie wird – zum Teil: Die Abgeordneten billigten die einmalige Verschiebung des Stichtags vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007. Das bedeutet, dass hiesige Forscher jetzt auch mit jüngeren embryonalen Stammzellen, die vor diesem Datum im Ausland hergestellt wurden, experimentieren dürfen.
Aus für Rassenmedizin
Neben den Stammzellforschern konnten dieses Jahr auch die Genetiker einige Erfolge vorweisen. Sie entzifferten die Genome des Schnabeltiers (Ornithorhynchus anatinus), der Malariaerreger Plasmodium vivax und P. knowlesi, der niederländischen Forscherin Marjolein Kriek – die damit zum ersten Mal das Erbgut einer Frau der Wissenschaft zugänglich machte – sowie des DNA-Pioniers James Watson. Dessen Genom entlarvte zugleich eine medizinische Hypothese als Mythos: Eine "rassenbasierte" Medizin, nach der Menschen je nach ethnischer Abstammung auf Grund unterschiedlichen Genpools unterschiedlich medikamentös behandelt werden sollten, funktioniert nicht. Denn schon die DNA-Sequenzen von James Watson und Craig Venter unterscheiden sich trotz gleicher Hautfarbe bereits so stark, dass nach Ansicht der Forscher nur eine "personalisierte" Medizin, die den individuellen Gen-Kode berücksichtigt, Sinn machen könnte.
In die gleiche Kerbe schlugen Münchener Max-Planck-Forscher, die dieses Jahr zeigten, dass ein einziger Erbfaktor darüber entscheiden kann, wie Patienten auf Psychopharmaka reagieren: Das Gen ABCB1 kontrolliert den Molekültransport durch die Blut-Hirn-Schranke. Ist nur ein Genbaustein verändert, sprechen Depressionspatienten mehr als doppelt so gut auf Antidepressiva an.
Doch nicht nur bei psychischen Krankheiten mischen unsere Gene mit, sondern auch in der Liebe: Schwedische Forscher spürten dieses Jahr im menschlichen Erbgut eine Variante namens "334" auf, die anscheinend mit beeinflusst, ob Männer in einer glücklichen Partnerschaft leben.
Genetiker interessieren sich jedoch nicht nur für einzelne Genbausteine. Sie wollen auch die komplette genetische Klaviatur von Krankheiten, also deren "Genom", ergründen. Auch hier gelang 2008 ein entscheidender Fortschritt: Von zwei der bösartigsten Krebsformen – dem Glioblastom im Gehirn sowie dem Bauchspeicheldrüsenkrebs – sind jetzt die wichtigsten Mutationen bekannt, die diese Krankheiten auslösen.
Impfen gegen Krebs
Die Krankheit Krebs stand auch im Fokus des diesjährigen Nobelpreises für Medizin oder Physiologie: Der Heidelberger Virologe Harald zur Hausen wies mit seiner Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Viren ausgelöst werden kann, den Weg zur ersten Krebsimpfung – eine nach wie vor heiß umstrittene Auszeichnung, die sogar in Bestechungsvorwürfe gegenüber dem Nobelpreiskomitee gipfelte.
Die zweite Hälfte des Medizinnobelpreises 2008 teilen sich zwei Franzosen für ihre Forschungen an einer besonders tückischen Krankheit, die dieses Jahr "Jubiläum" feiern konnte: Vor 25 Jahren, am 20. Mai 1983, beschrieben Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi ein Virus, das später unter dem Kürzel HIV traurige Berühmtheit erlangen sollte. Ihr schärfster Konkurrent bei der Jagd nach dem Aids-Erreger, der Amerikaner Robert Gallo, ging bei der noblen Ehrung leer aus.
Teilweise nach Deutschland ging 2008 auch der Alternative Nobelpreis: Die Right-Livelihood-Stifung ehrte die Kölner Ärztin und Gründerin der Hilfsorganisation "medica mondiale" Monika Hauser für ihr Engagement für vergewaltige Frauen in Kriegsgebieten.
Doch zurück zu HIV: Ein genaueres Bild vom "Stammbaum" des Erregers gelang dieses Jahr einer amerikanischen Forschergruppe. Wie Genanalysen ergaben, entstand die für den Menschen tödliche Variante früher als bislang angenommen. Demnach könnte sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Mensch mit HIV infiziert haben.
Dass auch Viren "krank" werden können, berichtete im August ein französischen Team. Sie entdeckten in unmittelbarer Nähe eines Mimivirus – das bislang größte bekannte Virus – winzige Viruspartikel. "Sputnik", so tauften die Forscher das Virus-Virus, scheint sich tatsächlich auf Kosten seines "Wirts" zu vermehren.
Freier Wille ade!
2008 war auch das Wahljahr des US-Präsidenten. Hat das etwas mit Biologie zu tun? Durchaus, meinen amerikanische Politikwissenschaftler. Sie hatten zufällig aus dem Telefonbuch der amerikanischen Stadt Lincoln ausgewählte Bürger nach ihrer Weltanschauung befragt und kleine Psychotests mit ihnen veranstaltet. Ergebnis: Diejenigen, die auf emotional aufwühlende Fotos besonders heftig reagierten, neigten eher zu konservativen Ansichten. Dagegen vertraten die weniger schreckhaften Personen eher liberale Positionen. Demnach könnten unsere politischen Entscheidungen tatsächlich biologische Wurzeln haben.
Verfügen wir überhaupt über einen freien Willen? Auch daran rütteln Wissenschaftler schon länger, wie etwa der Berliner Hirnforscher John-Dylan Haynes. Seine Arbeitsgruppe wies bei Probanden, die willkürlich einen Knopf drückten, Hirnaktivitäten nach – und zwar bis zu sieben Sekunden, bevor sie sich bewusst dafür entschieden hatten. Bislang gingen Wissenschaftler von einem neuronalen Vorlauf von nur wenigen Millisekunden vor bewussten Entscheidungen aus.
Dem Diktat unserer Hirnzellen unterliegen wir auch beim Weingenuss: Wer glaubt, einen edlen Cabernet Sauvignon zu schlürfen – obwohl er mit einem billigen Fusel abgespeist wird –, dessen Belohnungszentren im Gehirn feuern freudig drauf los. Die Sinnesareale lassen sich allerdings nicht hinters Licht führen.
Der Trick klappt übrigens auch mit Placebos: Eine vermeintlich teure Pille lindert Schmerz deutlich besser als ein preisgünstiges Produkt. Diese marktwirtschaftlich und pharmazeutisch wichtige Entdeckung würdigte die Organisation "Improbable Research" mit dem diesjährigen, nicht ganz ernst gemeinten "Ig-Nobelpreis für Medizin".
Kuhkompass
Beim Blick ins Gehirn scheuen Biologen auch vor kleinen Köpfen nicht zurück. So entdeckten sie bei der Sumpfammer, einem unscheinbaren Singvogel Nordamerikas, Hirnzellen, die bislang nur Primaten zugesprochen wurden: Spiegelneurone. Zumindest regen sich in der Hirnstruktur namens HVC (Higher Vocal Center), die als neuronale Schaltstelle des Vogelgesangs gilt, bestimmte Nervenzellen auch dann, wenn das Tier das Gezwitscher eines Artgenossen lediglich hört. Das HVC lässt sich sogar gezielt durch neugierige Vogelkundler abkühlen. Ergebnis der Prozedur: Der Vogel – in diesem Fall ein Zebrafink – singt langsamer.
Dass Vögel über einen magnetischen Sinn verfügen, gilt als alter Hut. Bei Kuh Elsa auf Bauer Dachsenhubers Sommerweide würde man das aber wohl kaum vermuten. Doch genau das glaubt ein deutsch-tschechisches Team nachgewiesen zu haben. Die Forscher hatten per Internet Satellitenbilder grasender Tierherden ausgewertet und waren dabei auf eine statistisch signifikante Nord-Süd-Ausrichtung von Kühen und Rehen gestoßen, die auf eine Orientierung nach dem Erdmagnetfeld hindeutet.
Ähnlich verblüffend ist die diesjährige Entdeckung bei einem kleinen, kotenden Würmchen. Der bestens untersuchte Nematode Caenorhabditis elegans sollte eigentlich kaum noch Überraschungen bergen, doch offensichtlich setzt er auf einen Botenstoff des Nervensystems, den Neurobiologen bisher nicht im Visier hatten: Wasserstoff. Es zeigte sich, dass der Fadenwurm immer dann sein Geschäft erledigte, wenn sich Protonen zwischen Darmwand und Muskelzellen anreichern.
Möglich gemacht haben diese Entdeckung eines ungewöhnlichen Neurotransmitters ein Japaner und zwei US-Amerikaner, die den diesjährigen Chemie-Nobelpreis einheimsten: Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien hatten das Potenzial einer Substanz erkannt, die in der Qualle Aequorea victoriae schlummerte. Mit dem grün fluoreszierenden Protein GFP lassen sich zellbiologische Vorgänge elegant sichtbar machen – auch bei einem kotenden Würmchen.
Abschied und Erinnerung
Ebenfalls gewürdigt wurde dieses Jahr Albert Hofmann. Der Schweizer Chemiker, der vor 65 Jahren einen Stoff namens Lysergsäurediethylamid synthetisierte – besser bekannt unter dem Kürzel LSD – starb am 29. April im Alter von 102 Jahren. Und auch von dem weniger bekannten Erfinder der Einwegspritze, dem neueeländischen Apotheker und Tierarzt Colin Murdoch, musste die Welt am 4. Mai Abschied nehmen.
Ihren 30. Geburtstag konnte dafür Louise Brown, das erste Retortenbaby der Welt, am 25. Juli feiern. Ein zehnjähriges Alter erreichte am 1. Oktober das Potenzmittel Viagra, und auf stolze 50 Jahre blickte eine Woche später der Herzschrittmacher zurück.
Ein besonderes Jubiläum feierte die Biologie am 1. Juli 2008: Vor 150 Jahren geriet eine damals heftig umstrittene Idee zum ersten Mal an das Licht der Öffentlichkeit. 1858 lauschte das erstaunte Publikum im ehrenwerten Versammlungssaal der Londoner Linnean Society den Ausführungen, die Alfred Russel Wallace und Charles Darwin unabhängig voneinander entwickelt hatten.
Das Jahr 2009 wird ganz im Zeichen Darwins stehen: Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, erblickte der große Naturforscher das Licht der Welt, und ein halbes Jahrhundert später, am 24. November 1859, veröffentlichte er seine revolutionäre Evolutionstheorie, welche die biologische Forschung auch in Zukunft maßgeblich prägen wird.
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