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Fortpflanzung: Neuer Anführer löst bei trächtigen Dscheladas Fehlgeburt aus

Junger Dschelada
Zwei Weibchen beim Grooming | Dscheladas ziehen sich für die Nacht auf Felsen und Klippen zurück. Die reinen Pflanzenfresser leben im äthiopischen Hochland und ernähren sich fast ausschließlich von Gräsern.

Bei verschiedenen Arten bezahlen Jungtiere einen Wechsel des Anführers mit dem Tod: Um seine Ansprüche zu sichern, lässt der neue Chef nur eigenen Nachwuchs zu. In Laborexperimenten beobachteten Forscher außerdem, dass ein fremdes Männchen sogar den Abbruch einer bestehenden Schwangerschaft auslösen kann. Der Nachweis aus freier Wildbahn fehlte allerdings – bis Jacinta Beehner von der University of Michigan und ihre Kollegen das Lieben und Leben von Dscheladas in Äthiopien über Jahre beobachteten und nun auswerteten.

1959 hatte Hilda Margaret Bruce bei Hausmäusen beschrieben, dass Mäusemütter in spe eine Fehlgeburt erleiden, wenn sie einem fremden Männchen ausgesetzt werden. Dieser "Bruce-Effekt" wurde nachfolgend in weiteren Experimenten und auch für andere Tierarten bestätigt. Bei wild lebenden Populationen ist der Effekt jedoch schwer nachzuweisen, weshalb bislang der Verdacht bestand, es könnte sich um ein Laborartefakt handeln.

Dscheladagruppe | Dscheladas, die auch Blutbrustpaviane genannt werden, leben in Gruppen von einem Männchen und bis zu zwölf Weibchen zusammen. Der Chef der Gruppe wechselt etwa alle drei Jahre. Meist tötet er nach der Machtübernahme alle Sprösslinge des Vorgängers.

Diese Unsicherheit konnten Beehner und ihre Mitarbeiter zumindest für Dscheladas (Theropithecus gelada) ausräumen. Die Forscher hatten im Simien Mountains National Park in Äthiopien 21 Gruppen über fünf Jahre beobachtet und neben der Populationsentwicklung auch Hormondaten aufgezeichnet. Dscheladagruppen bestehen aus einem Männchen und bis zu zwölf Weibchen. Die Anführer wechseln etwa alle drei Jahre.

Die Zahlen zum Nachwuchs sprechen bereits deutlich für einen Bruce-Effekt: In den ersten sechs Monaten nach einem Wechsel des dominanten Männchens sank die Geburtenrate in den Gruppen drastisch: Während in Gruppen ohne Anführertausch 36 Jungtiere zur Welt kamen, waren es bei den Weibchen mit neuem Chef gerade noch zwei (in den Monaten zuvor gab es keine signifikanten Unterschiede). Ab dem siebten Monat jedoch schnellte die Geburtenrate plötzlich auf das Doppelte der Vergleichsgruppen.

Mutter mit Jungtier | Dscheladas stillen ihre Jungen bis zu zwei Jahren, entsprechend lang ist der Abstand zwischen zwei Geburten. Bei einem Anführerwechsel etwa alle drei Jahre ist daher schneller Nachwuchs mit dem neuen Chef die beste Überlebensgarantie für den Sprössling.

Die Hormonwerte unterstützen die These, dass dahinter "gezielte" Fehlgeburten stecken: Von 60 hormonell festgestellten Schwangerschaften endeten neun verfrüht, also mit einem Abort. Acht davon ereigneten sich bei Weibchen innerhalb von zwei Wochen nach einem Anführerwechsel.

Angesichts des hohen Tötungsrisikos für den Nachwuchs rechne es sich für die werdenden Mütter, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden, argumentieren die Forscher: So sparen sie sich die gefährliche Geburt und aufwändige Aufzucht eines Jungtiers, das höchstwahrscheinlich nicht lange überleben wird. Noch dazu sind sie dadurch schnell wieder empfangsbereit für Sprösslinge des neuen Anführers. Unmittelbar nach dem Wechsel und bei einer erwarteten "Amtszeit" von etwa drei Jahren sind deren Überlebenschancen ungleich höher – zumal zwischen zwei Geburten bei Dscheladas im Schnitt zwei Jahre liegen.

Huckepack | Noch in Sicherheit: Solange sein Vater der Chef in der Gruppe ist, hat dieses vier Monate alte Jungtier gute Überlebenschancen.

Offen bleibt, was die Fehlgeburt auslöst. Bei Nagetieren wurden Pheromone als Signalgeber nachgewiesen: Sie steigern die Ausschüttung von Gonadotropin, was seinerseits die Freisetzung von Prolaktin hemmt, das während der Schwangerschaft und der Stillzeit normalerweise in erhöhten Konzentrationen vorliegt. Die Wissenschaftler halten es aber auch für möglich, dass der physiologische Stress durch das neue Männchen und die drohende Gefahr des Infantizids zum Abort führen.

  • Quellen
Science 10.1126/science.1213600, 2012

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