Supernova-Überreste: Neuer Ansatz für Jagd nach kosmischem Teilchenbeschleuniger
Fast genau hundert Jahre ist es her, dass Victor Hess die vorwiegend aus Protonen bestehende kosmische Teilchenstrahlung entdeckte, die aus den Tiefen des Weltraums auf die Erde trifft. Die energiereichsten Teilchen dabei stammen von außerhalb unseres Sonnensystems, und für einige davon wiederum werden als Quelle so genannte Supernova-Überreste angenommen.
Supernovae sind gigantische Sternexplosionen am Ende des Lebens bestimmter Sterne. Dabei werden große Teile der Sternatmosphäre nach außen geschleudert und bilden einen so genannten Supernova-Überrest, der sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdehnt. Wo das herausgeschleuderte Material auf die umgebende interstellare Materie trifft, bilden sich Stoßwellen aus – Regionen, in denen sich Dichte und Temperatur abrupt ändern, ähnlich den Schockwellen des Überschnallknalls, wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht.
Die expandierenden, hochenergetischen Stoßwellen sind naheliegende Kandidaten für kosmische Teilchenbeschleuniger, die hochenergetische Teilchenstrahlung produzieren. Jetzt haben Forscher um die serbische Astronomin Sladjana Nikolić (Max-Planck-Institut für Astronomie) erstmals Hinweise darauf gefunden, dass in den Schockregionen in der Tat Protonen beschleunigt werden. Bei diesen Protonen handelt es sich noch nicht um die kosmische Teilchenstrahlung selbst, sondern um Vorläuferteilchen ("seed particles"), die anschließend durch Wechselwirkung mit der Stoßfront auf die erforderlichen hohen Energien beschleunigt werden und als Teilchenstrahlung hinaus in den Raum fliegen können.
Nikolić erklärt: "Dies ist das erste Mal, das wir die physikalischen Prozesse in und um die Stoßregion genauer untersuchen konnten. Wir haben dabei Hinweise auf die Existenz einer erwärmten Region direkt vor der Stoßwelle gefunden, wie sie den gängigen Modellen nach notwendig ist, damit überhaupt kosmische Teilchenstrahlung entstehen kann. Außerdem wurde diese Region offenbar auf genau jene Weise erwärmt, wie man es erwarten würde, wenn dort Protonen existieren, welche die Energie aus direkt hinter der Schockfront gelegenen Regionen in die Bereiche direkt vor der Stoßfront transportieren."
Die Untersuchung basiert auf Analysen, die Nikolić als Teil ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Heidelberg durchführte. Entscheidend für die neuen Ergebnisse war, dass Nikolić und ihre Koautoren eine neuartige Beobachtungstechnik namens Integralfeldspektroskopie (integral field spectroscopy) einsetzten. Diese Technik erlaubt es, die Zusammensetzung des Lichts für eine Vielzahl verschiedener Bildpunkte im Bildfeld des Teleskops gleichzeitig zu bestimmen. Sie wurde hier zum ersten Mal auf einen Supernova-Überrest angewandt. Nikolić und ihre Kollegen nutzten den Spektrografen VIMOS am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile, um für mehr als 100 Punkte in einem kleinen Teilbereich der Stoßfront der Supernova SN1006 gleichzeitig das Spektrum zu bestimmen. Die rund anderthalbjährige Analyse der Daten ergab detaillierte Informationen, insbesondere über die Temperaturen vor und hinter der Stoßfront.
Kevin Heng von der Universität Bern, Kobetreuer von Nikolićs Doktorarbeit, sagt: "Wir sind besonders stolz darauf, dass wir die Integralfeldspektroskopie in eher unorthodoxer Weise eingesetzt haben – üblicherweise beobachtet man damit weit entfernte Galaxien. Die Genauigkeit, die wir dabei erreicht haben, stellt alle vorangehenden Studien in den Schatten." Wichtig sind die jetzt veröffentlichten Ergebnisse auch als Wegbereiter für zukünftige Untersuchungen. Nikolić erklärt: "Dies hier war ein Pilotprojekt. Das Licht, das wir von dem Supernova-Überrest auffangen, ist ungleich schwächer als bei den üblichen Zielobjekten für solche Instrumente. Jetzt, wo wir wissen, was machbar ist, sind eine Vielzahl interessanter Nachfolgeprojekte in den Bereich des Möglichen gerückt."
MPIA / Red.
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