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Sonnensystem: Neues von weit draußen

In kosmischen Zeitmaßstäben kommt vielleicht schon sehr bald ein irdischer Sondenbotschafter in der entfernteste Ecke des Sonnensystems. Auf irdischen Uhren geht bis dahin aber doch noch eine Dekade ins Land - und um Pluto ein paar Geheimnisse zu entreißen, sind Erdlinge auf goldene Gelegenheiten wie jene im letzten Juli angewiesen.
Plutosystem-Fantasie mit Charon
Gelegentlich streiten auch Wissenschaftler haarscharf an den wirklich spannenden Sachen vorbei. Zum Beispiel jüngst beim semantischen Disput um jenes eisige Bröcklein am Rande des Sonnensystems, das sich einer bequemen Schubladen-Einsortierung seit seiner Entdeckung hartnäckig entzieht. Pluto – um ihn geht es hier – ist eben erfrischend anders.

Und das in fast jeder Hinsicht: Als ferner Felsbrocken kreist er in der sonnenfernen Zone, in der sich sonst nur große Gasriesen Planeten nennen dürfen. Um ihn herum saust ein nahezu ebenbürtiger Begleiter namens Charon, was das Ganze zu einer Art Binärsystem macht. Pluto-Charon zieht seine Bahn, meistenteils jenseits aller zentraleren Mitglieder des Sonnensystems, zudem in einer merkwürdig elliptischen Bahn. Aber statt das alles toll zu finden, zofft sich die Fachwelt lieber darüber, ob man Pluto überhaupt Planet nennen darf. Demnächst darf man wohl nicht mehr, sobald das zuständige astronomische Sprachwächtergremium dem System Pluto-Charon den Planetenstatus entzogen haben wird, um es als schlicht als weiteres Objekt des Kuiper-Gürtels einzuordnen. In dieser fernen Region dort draußen sind viele, auch ziemlich plutoähnliche Gebilde unterwegs, die unter dem Namen Trans-Neptun-Objekte firmieren.

Pluto und Charon | Pluto und Charon, aufgelöst vom Hubble Teleskop am 21. Februar 1994: Der Planet – wenn man ihn denn so nennen will – und sein Begleiter waren zum Zeitpunkt der Aufnahme etwa 2,6 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Pluto erscheint übrigens heller als sein immerhin halb so großer Satellit, weil sein Rückstrahlvermögen größer als jenes des Mondes ist.
Während die einen nun noch schlagzeilenbegleitet sortierten, wer zu was gehört und welchen Namen verdient, kuckten andere schon wieder intensiv in Richtung Pluto und Charon. Dort bot sich nämlich am 11. Juli des abgelaufenen Jahres eine sehr seltene Chance, mehr über den fernsten Planeten und seinen großen Mond herauszufinden.

In jener Julinacht um 04.36 Uhr MESZ schob sich nämlich Charon, von dem Paranal-Teleskop in den chilenischen Anden aus betrachtet, wie vorausberechnet für gut 37 Sekunden vor einen kleinen, fernen Hintergrundstern 15. Größe mit dem prosaischen Namen UCAC2 26257135. Derartiges ist sehr selten – zu einer gut dokumentierten Sternbedeckung durch Pluto kam es gerade erst zweimal, 1988 und 2002. Zuvor, 1980, traf schon einmal überraschend der gut 1200 Kilometer breite Schatten von Plutos Mond Charon auf Südafrika.

Wunderbar – aber was bringt es Forscher eigentlich, eine solche Sternbedeckung zu beobachten? Zwei Teams liefern mit ihren Auswertungen Antworten: Eines um Amanda Gulbis vom Massachusetts Institute of Technology [1], das zweite um Bruno Sicardy vom Pariser Observatorium [2]. Insgesamt acht Beobachtungsinstrumente hatten die Gruppen im entscheidenden Augenblick auf das Ereignis gerichtet und damit genau gemessen, wann die Bedeckung des Sterns an unterschiedlichen Orten Südamerikas durch Charon begann, endete und wie sie verlief.

Kombiniert aus den Daten ließ sich nun die genaue Größe des Plutomondes bestimmen – er weist einen Radius von mindestens 602 bis höchstens 614 Kilometern auf. Ungenau, merkt Sikardy an, könne diese Messung nur sein, wenn ein mehr als zehn Kilometer hoch herausragender Charon-Berg einer Sichtlinie zum Sternuntergang im Weg gewesen wäre – unwahrscheinlich. Der Mond ist mit seiner achtfachen Plutomasse im Übrigen genau 1,71 Mal so dicht wie Wasser und besteht demnach wohl zur je zur Hälfte aus Eis und Fels.

Wie abrupt bei einer Bedeckung der Hintergrundstern verschwindet, lässt für genaue Beobachter auf der Erde aber noch weitere aufschlussreiche Rückschlüsse zu. Zum Beispiel über die umgebende Atmosphäre vom Objekt, dessen Horizont das ferne Sternlicht verschluckt: Verlischt der Stern so plötzlich, als wäre er ausgeknipst worden, dann fehlt eine Gashülle um den verdeckenden Himmelskörper – dimmt sein Licht eher allmählich gegen Null, dann liegt dies an lichtbrechenden Atmosphärengasen. Letzteren Fall konnte man etwa 1988 am Pluto beobachten.

Und Charon? Auch bei dem etwa halb plutogroßen Mond deuteten erste Analysen auf eine Gashülle. Nun aber konnten weder Gulbis noch Sicardys Team nennenswerte Atmosphärenspuren finden – offenbar ist der ferne Mond, wenn überhaupt, nur von einer extrem dünnen Gashülle umgeben, die dann aus Stickstoff oder aus reinem Methan bestehen müsste. Nachdem Gase sich von Charon jedoch theoretisch extrem schnell in den Weltraum verflüchtigen müssten, sollten dann irgendwo auf seiner Oberfläche bislang nicht nachgewiesene, größere Methan-Eis oder Stickstoff-Quellen für steten Nachschub sorgen.

Solche Vorkommen aber sind nicht nachgewiesen. Und außerdem ist selbst der sonnenferne Charon dafür auch wohl nicht kalt genug, wie ein drittes Team von Plutosystem-Analytikern um Mark Gurwell von der Harvard-Universität mit Hilfe des Submillimeter Arrays auf Hawaii nachwies [3]. Interessant ist für sie vor allem der Vergleich von Mond und, nun ja, Planet, der bislang wegen der großen Nähe der Objekte zueinander und ihrer Entfernung von der Erde nicht möglich gewesen war. Aus den Beobachtungsdaten ergeben sich nun minus 220 Grad Celsius auf Charon – aber noch um zehn Grad schattigere Minusgrade auf Pluto. Warum das?

Es liegt eben an dem abkühlenden Effekt verdampfenden Stickstoffs, meinen die Forscher: Eine nicht geringe Portion der wenigen Sonnenstrahlen, die Plutos Oberfläche erreichen, sublimiert das auf Pluto in größeren Mengen lagernde Stickstoff-Eis zu Gas, statt den Boden ein wenig aufzuwärmen. Pluto kühlt sich also ganz ähnlich wie wir Säugetiere unsere Haut beim Verdampfen von Schweiß. Das allerdings wird nur noch so lange so weiter gehen, bis der sich von der Sonne gerade entfernende Pluto noch ausreichend Strahlung abbekommt – am sonnenfernen Abschnitt seiner Reise im Sonnensystem dürfte die saisonabhängige Atmosphäre gänzlich eingefroren und abgedampft sein.

Vor dem Start: Die erste Sonde zum Pluto | Montiert auf seiner Atlas-V-Trägerrakete harrt die Pluto-Sonde New Horizon am Cape Canaveral der Dinge, die da kommen werden. Ihr Starfenster zum Pluto wird erst Mitte Februar enden – startet sie früher als am 3. Februar, so verkürzt dies ihre Reise um Jahre.
Bis dahin soll das System Pluto-Charon übrigens noch irdischen Besuch erhalten: Wenn die gerade auf einer Nasal-Startrampe aufgebaute Raumsonde New Horizons wie geplant vor dem 3. Februar startet, kann sie den entfernten Felsbrocken bis zum Jahr 2015 erreicht haben – dann wohl noch zumindest mit den Resten seiner einfrierenden Gashülle. Eines der geplanten zukünftigen Experimente soll ihr dann auch gewidmet sein: Um ihre Zusammensetzung zu analysieren, soll ein Radiosignal von der Sonde durch die Atmosphäre zur Erde gesendet werden. Dieses nach Empfang zu untersuchen, dürfte uns dann noch weitaus mehr verraten als die am 11. Juli aufgefangenen Lichtwellen des fernen Sternchens UCAC2 26257135.

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