News: Neuronavigation: Präziser Helfer bei komplizierten Eingriffen
In der Neurochirurgischen Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. med. Rudolf Fahlbusch) wurde kürzlich bei der Operation eines Patienten mit einem Gehirntumor nahe der Region für Bewegungen eine neue Methode erfolgreich eingesetzt. Dabei war es erstmals möglich, nicht nur diese sogenannte motorische Region mit Hilfe von Magnetenzephalographie und neuerdings auch funktioneller Kernspintomographie, die beide Informationen über die Funktion des Gewebes liefern, schon vor der Operation zu lokalisieren, sondern diese Information direkt im Operationsfeld dem Operateur sichtbar und nutzbar zu machen. Diese als funktionelle Neuronavigation in Erlangen erarbeitete Methode konnte bisher bei über 50 Patienten erfolgreich unter Verwendung der Magnetenzephalographie eingesetzt werden.
Wie sich bisher gezeigt hat, erlaubt diese Methode radikalere Eingriffe mit weniger Komplikationen. Jetzt, durch die Einbindung der funktionellen Kernspintomographie, die ähnliche Informationen wie die Magnetenzephalographie für die Identifikation dieser risikobehafteten Hirnstrukturen liefern kann, wird in Zukunft eine breite Anwendung der Methode möglich sein, da die funktionelle Kernspintomographie vielerorts bereits vorhanden ist, nur die Umsetzung und Einbindung der Daten in den Operationssaal nicht möglich war. Auf diese Weise können die Operationsergebnisse bei kompliziert gelegenen Hirntumoren verbessert werden.
Neben dieser funktionellen Neuronavigation werden in Erlangen Operationen bei kompliziert gelegenen Tumoren und zur Entfernung krampfauslösender Herde (Epilepsiechirurgie) durch den intraoperativen Einsatz eines Magnetresonanztomographen der Firma Siemens (Magnetom Open) in Kombination mit zwei Navigationssystemen unterstützt, die so das Operationsfeld für den Chirurgen "durchsichtig" machen.
Zwei Vorteile bietet diese Vorgehensweise für den Patienten: Informationen über die Lage des Operationsfeldes sowie Ort und Ausmaß der nötigen chirurgischen Maßnahmen werden nicht nur zur Vorbereitung des Eingriffes erhoben, sondern für den Chirurgen im Operationssaal direkt sichtbar und nutzbar. Dies ist insbesondere wichtig bei Eingriffen in Regionen des Gehirns, die für das Sprechen und Verstehen oder Bewegungsabläufe verantwortlich sind und in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden sollen. Werden während der Operation neue Meßdaten in das Navigationssystem eingespielt, so erhöht dies noch die Präzision des Eingriffs. Außerdem ist im Verlauf der Operation eine Erfolgskontrolle möglich: Ist der Tumor nicht vollständig entfernt, so kann in der gleichen Operation der Tumorrest schonend entfernt werden; dies nennt man einen "second look".
Zu diesem Zweck wird ein offener Magnetresonanztomograph eingesetzt, der das Operationsfeld für Gehirnchirurgen "durchsichtig" macht. Die Magnetresonanz- oder Kernspintomographie (abgekürzt MR-Technik) als ein Verfahren, das Abbildungen von beliebigen Schichten des Körpergewebes mit hohem Kontrast im Weichteilgewebebereich liefert, ohne auf Röntgenstrahlen zurückgreifen zu müssen, gehört in der Diagnostik bereits vielerorts zum Standardrepertoire. Sie erzeugt Bilder in hoher Auflösung und läßt auch kleine anatomische Strukturen sichtbar werden. Die Bildkontraste lassen sich variieren; die Aufnahmen können so gewichtet werden, daß Flüssigkeiten oder auch Blutansammlungen deutlicher hervortreten oder daß die Form krankhafter Prozesse sich in all ihren Konturen gegen das gesunde Gewebe abzeichnet.
Der Einsatz der MR-Technik während einer Operation – statt, wie üblich, nur zur Vorbereitung und Nachkontrolle – wird in der Erlanger Neurochirurgie durch ein offenes Magnetresonanz-System, ein Magnetom Open der Firma Siemens, ermöglicht. Das Magnetom Open bietet mehr Raum als vorhergehende Meßsysteme und läßt dadurch höhere Bewegungsfreiheit für kleine Eingriffe, die im Inneren des MR-Geräts durchgeführt werden können. Der Patiententisch kann herausgenommen werden, was für den intraoperativen Einsatz der Magnetresonanztomographie unverzichtbar ist. Das System steht der Universitätsklinik seit rund zwei Jahren zur Verfügung. Durch einige Veränderungen wurde das Magnetom Open dem Operationsfeld angepaßt.
Um funktionelle Neuronavigation in Verbindung mit intraoperativen MR-Messungen anwenden zu können, haben die Erlanger Neurochirurgen einen "Twin-OP" aus zwei miteinander verbundenen Operationssälen eingerichtet. Im "konventionellen" Operationsraum können die Chirurgen mit Apparaturen und Werkzeugen arbeiten, die mit den hohen Magnetfeldern, die das MR-Gerät benötigt, nicht verträglich sind. Im MR-Raum ist das Magnetom Open installiert.
Patienten werden zwischen den beiden Räumen auf einem speziell konstruierten Operationstisch hin- und hertransportiert, wenn die Operation mit dem Navigationsmikroskop durchgeführt wird und die intraoperative Resektionskontrolle im MR erfolgen soll. Sorgfältig aufeinander abgestimmten Vorrichtungen und Vorsichtsmaßnahmen sind dafür entwickelt worden, daß der Kopf der Patienten beim Transport keinerlei Erschütterungen ausgesetzt ist und daß keine unerwünschten Wechselwirkungen zwischen dem Magnetresonanztomographen und anderen Instrumenten auftreten. Für die mikrochirurgische Behandlung von Hypophysenadenomen – Zellwucherungen an der Hirnanhangsdrüse – läßt sich der beweglichen Tisch des MR-Systems selbst als OP-Tisch nutzen.
Zwei Vorteile bietet diese Anordnung für die Patienten, die den Transport und das zum Teil zeitintensive Erstellen neuer Bilddaten im Verlauf einer Operation rechtfertigen. Die Situation, die der Operateur vorfindet, stimmt nicht völlig mit dem Bild überein, daß sich aus vorab mit diagnostischen Methoden gesammelten Informationen ergibt. Der Eingriff verändert die Form des Gehirns: Flüssigkeitsverlust läßt das Hirn schrumpfen, das Entfernen von Gewebe führt zu Verlagerungen (sog. "brain-shift"). Werden während der Operation die intraoperativen Bilddaten in das Neuronavigationssystem eingespeist, wird also ein "Update" vorgenommen, so erhöht dies die Sicherheit und Präzision der chirurgischen Maßnahmen.
Läßt die intraoperative Kontrolle erkennen, daß noch Reste eines Tumors im Gehirn verblieben sind, können diese – falls deren Lage es erlaubt – noch in der gleichen Operation navigationsgesteuert entfernt werden. Dies bezeichnet man als "second look". Diese Vorgehensweise empfiehlt sich speziell bei Hirntumoren, die vom umgebenden Gewebe nicht eindeutig abgegrenzt sind, wie bei den niedergradigen Gliomen, d. h. bei Tumoren des Hirngewebes selbst.
Bei über 130 Patienten ist die intraoperative Magnetresonanztomographie zur Resektionskontrolle inzwischen eingesetzt worden. Wie sich bisher gezeigt hat, erlaubt der Einsatz von Bilddaten, die während der Operation gewonnen werden, radikalere Eingriffe mit weniger Komplikationen. Ob damit auch die Langzeitchancen der Patienten steigen, bleibt abzuwarten.
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