Chronobiologie: Schlaf - in der Petrischale isoliert?
Was Schlaf ist, erfährt jeder von uns ein Drittel seines Lebens. Wie Schlaf reguliert wird, weiß noch niemand so richtig. Sicher ist, dass daran im Gehirn gleich mehrere Zentren und unterschiedliche Substanzen beteiligt sind. Schlaf ist somit das Ergebnis einer koordinierten Zusammenarbeit vieler Neurone. James Krueger von der Washington State University in Spokane meint jedoch, dass die Fähigkeit zu schlafen auch eine fundamentale Eigenschaft einzelner Neurone ist. Somit könnte Schlaf schon auf viel lokalerer Ebene im Gehirn beginnen – in wenigen Nervenzellen und unabhängig von höheren Regulationszentren.
Um seine Theorie zu überprüfen, wollte Krueger einzelne schlafende Neurone in der Petrischale untersuchen. Den Zustand "Schlaf" definiert man bisher mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG), welches die gesamte elektrische Aktivität des Gehirns an der Kopfoberfläche aufzeichnet. In der Petrischale kann man die Aktivität der Nervenzellen ebenfalls messen. Dazu setzt man ihnen jedoch keine EEG-Haube mit Elektroden auf, sondern lässt sie zusammen mit Gliazellen auf einer Platte mit Elektroden wachsen, welche die Gesamtaktivität der Zellnetzwerke aufzeichnen. Die Versuche von Krueger ergaben, dass die Zellen nach zirka zwei Wochen ein spontanes, synchrones Aktivierungsmuster zeigen. Es ähnelt dem von Neuronen im Kortex und Thalamus eines intakten Gehirns im Schlaf. Bei diesem typischen "Burst-Pause"-Muster feuern die Nervenzellen synchron, bleiben eine gewisse Zeit lang ruhig, um dann wieder synchron zu feuern. Die Default-Einstellung der Zellen in der Kultur ist daher interessanterweise "schlafen".
Eine schlafregulierende Substanz, der Tumornekrosefaktor (TNF), verstärkte dabei die Anzeichen von Schlaf: Die Aktionspotenziale lagen dichter beieinander, und die EEG-Wellen waren synchroner und stärker. Stimulierten die Forscher ihre Zellen elektrisch, schütteten diese auch selbst TNF aus.
Im Gehirn ist das genauso: Aktive Nervenzellen gießen eine Menge an Substanzen in den extrazellulären Raum. Darunter befinden sich auch solche, die signalisieren, dass die Neurone erschöpft sind, wodurch schlafregulierende Substanzen wie TNF freigesetzt werden. Sie senken die Sensitivität der Neurone, aktivieren die Regulationszentren und fördern somit Schlaf – und das alles in Abhängigkeit von der Aktivität der Neurone.
Schlaf auf zellulärer Ebene
"Während des Schlafs sind fast alle physiologischen Parameter gegenüber dem wachen Zustand verändert", so Krueger. Idealerweise verändert man in wissenschaftlichen Experimenten jedoch nur einen Parameter und beobachtet seinen Einfluss. Was bei einem ganzen Organismus schwierig ist, lässt sich in der Petrischale einfach durchführen. Somit könnte es möglich sein, Schlaf unter kontrollierten Bedingungen auf zellulärer Ebene zu untersuchen, hofft Krueger.
Jan Born, Schlafforscher an der Universität Tübingen, sieht den experimentellen Aufbau kritisch: "Man muss sich völlig darüber im Klaren sein, dass es sich um einen hoch artifiziellen Aufbau handelt. Neurone im Neokortex sind parallel angeordnet, in so genannten Columns. In diesem Dish wuchern die völlig unausgerichtet." Ihre Aktivitätsmuster zeigen jedoch tatsächlich Ähnlichkeiten zu denen im schlafenden Gehirn. Es handle sich aber eben nur um Parallelen, die man nicht überbewerten sollte, so Born: Schlaf betreffe – in der Regel – den ganzen Körper. Somit könne man bei den unterschiedlichen Aktivitätsmustern von isolierten Zellnetzwerken auch nur von schlafähnlichen Zuständen sprechen.
Einzelne Hirnbereiche schlafen
Immerhin kommen diese Zustände aber im intakten Gehirn ebenfalls vor. Je stärker man einen Bereich des Gehirns nutzt, umso erschöpfter ist dieser danach. Infolgedessen ist der Schlaf in einzelnen Hirnregionen unterschiedlich intensiv, je nachdem wie aktiv sie zuvor waren.
Einzelne Hirnregionen können sich auch in einem schlafähnlichen Zustand befinden, obwohl der Organismus noch wach ist. Das ergaben Versuche mit Probanden, die mit einem Hörspiel oder einem Fahrsimulator über 24 Stunden lang wachgehalten wurden: Bei ihnen waren in den entsprechend beanspruchten Hirnregionen lokale schlafähnliche Zustände zu sehen, obwohl sie noch ihre Aufgabe ausführten. Einige Tiere treiben diese lokalen Schlafphänomene sogar auf die Spitze: Delfine zum Beispiel schlafen nur mit einer Hirnhälfte.
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