Neuroplastizität: Auf Mutterschaft getrimmt
Ein Kind zu erwarten, ist ein einschneidendes Erlebnis. So verändert sich während der Schwangerschaft der Körper zum Teil massiv, beispielsweise wachsen Bauch und Busen. Neben solchen offensichtlichen Erscheinungen ist aber auch das Gehirn der werdenden Mutter betroffen. Bildgebungsstudien der letzten Jahre zeigten übereinstimmend: Während der Schwangerschaft und in der Zeit nach der Geburt kommt es im zentralen Nervensystem der Frau zu größeren Umbauten. Doch wie genau diese aussehen und was sie bewirken, fördert die Forschung erst allmählich zu Tage.
Die erste detaillierte Analyse dazu erschien 2017, und die Ergebnisse erreichten sogar die Schlagzeilen der »New York Times«. Ein Team um Elseline Hoekzema, Susanna Carmona und Oscar Vilarroya von der Autonomen Universität Barcelona blickte mittels Magnetresonanztomografie (MRT) in das Gehirn von 25 kinderlosen Frauen und dann später erneut, nachdem diese zum ersten Mal entbunden hatten. Zum Vergleich scannten die Fachleute etwa im gleichen zeitlichen Abstand das Denkorgan der Väter sowie 20 weiterer Teilnehmerinnen, die keine Schwangerschaft durchliefen. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Die frischgebackenen Mütter hatten nach der Entbindung weniger graue Substanz (siehe »Kurz erklärt«) in mehreren Hirnregionen – und das auch noch zwei Jahre später. Die betroffenen Areale sind vor allen an der sozialen Kognition beteiligt, genauer gesagt der »Theory of Mind«, also der Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt anderer Menschen hineinzuversetzen (siehe »Wandel im sozialen Hirn«).
Die Veränderungen waren so deutlich, dass die Wissenschaftler allein an den MRT-Bildern erkennen konnten, welche Frauen schwanger gewesen waren. »Die Studie bewies erstmals, dass Schwangerschaft lang anhaltende Veränderungen in der Hirnanatomie der Mutter bewirkt«, erklärt die Neurowissenschaftlerin Magdalena Martínez-García, die mittlerweile an der University of California in Santa Barbara forscht. Gemeinsam mit der Gruppe um Oscar Vilarroya und Susanna Carmona durchleuchtete sie nochmals das Denkorgan derselben Probandinnen von damals: Bei manchen Müttern waren die Veränderungen noch sechs Jahre nach der Entbindung sichtbar.
Allerdings verglich man in diesen Studien lediglich die Hirnanatomie vor und nach der Schwangerschaft. Wäre es demnach möglich, dass allein schon die Geburt an sich solche Umbauten verursacht? »Natürlich war unsere Hypothese, dass die Schwangerschaft die Veränderungen auslöst, aber wir hatten dazu noch keine empirische Evidenz«, berichtet Martínez-García. Daher führte sie unter anderem mit Susanna Carmona 2024 eine weitere Untersuchung durch. Das Team scannte 110 Mütter während der späten Phase ihrer Schwangerschaft sowie nach der Geburt (siehe »Schwanger ins MRT?«). Wie sich zeigte, hatten die Frauen bereits während der Schwangerschaft graue Substanz eingebüßt, doch gewannen sie diese in vielen Hirnregionen nach der Niederkunft bis zu einem gewissen Grad zurück. Die Dynamik war je nach Hirnnetzwerk und Geburtsform unterschiedlich stark ausgeprägt. So erreichte das Gehirn von Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden hatten, schneller wieder eine höhere Kortexdichte als das derjenigen, die eine vaginale Geburt erlebten. Eventuell bewirken also die ersten Stadien der Entbindung mit starken hormonellen Veränderungen einen weiteren Abbau der Hirnrinde.
Eine gewisse Signatur bleibt
Dass dieser Zustand sogar noch länger anhalten könnte als gedacht, fanden Forscher der Monash University in Melbourne 2020 heraus. Sie untersuchten die Hirnanatomie von Müttern zu einem viel späteren Zeitpunkt in deren Leben, nämlich Alter von durchschnittlich 73 Jahren. Das Verblüffende: Die Hirnrinde war auch noch zu diesem Zeitpunkt dünner als bei Frauen, die keine Kinder geboren hatten. »Einmal eine Mutter – immer eine Mutter«, meint Joseph Lonstein. Der Professor für Verhaltensneurowissenschaften an der Michigan State University erforscht die Neurobiologie des Elternseins. Er fügt hinzu: »Zumindest eine Spur davon, was nützlich war als Mutter, bleibt.« Der Volumenverlust wird zwar insgesamt nach der Entbindung ausgeglichen, aber nicht in allen Regionen gleichermaßen, so dass noch eine gewisse »Signatur« zurückbleibt.
»Unsere Forschung wird oft falsch verstanden und der Verlust an grauer Substanz als etwas Negatives aufgefasst«Magdalena Martínez-García, Neurowissenschaftlerin
Eine Schwangerschaft ist für das Gehirn also nicht folgenlos. Doch weshalb kommt es zu einem solchen teils tief greifenden Wandel? »Unsere Forschung wird oft falsch verstanden und der Verlust an grauer Substanz als etwas Negatives aufgefasst«, sagt Martínez-García. Das sei so nicht korrekt – bisher konnte kein Zusammenhang zwischen dem Abbau und kognitiven Verschlechterungen festgestellt werden. Stattdessen seien die neuronalen Veränderungen eher im Licht der neuen Aufgaben zu sehen, die eine Mutterschaft mit sich bringt.
»Sowohl bei Frauen als auch bei weiblichen Labortieren erfährt das Belohnungssystem einen Neustart. Der Fokus der Mutter liegt dadurch vermehrt auf ihren Nachkommen«, erklärt Lonstein. »Das ist wichtig, damit sie sensibel auf ihre Sprösslinge reagiert und sie gegenüber anderen Signalen aus der Umgebung priorisiert.« Funktionelle Bildgebungsstudien mit frischgebackenen Müttern stützen die These. Demnach wird das Belohnungssystem aktiv, wenn die Frauen Kinder bloß hören oder sehen. Und je stärker die Dopaminantwort, desto enger ist die Mutter-Kind-Bindung.
Kurz erklärt: Graue Substanz
Die graue Substanz umfasst diejenigen Teile des Zentralnervensystems, die sich überwiegend aus Zellkörpern von Neuronen zusammensetzen – sie bilden die Hirnrinde sowie die Kernregionen. Im Gegensatz dazu besteht die weiße Substanz vornehmlich aus Nervenzellfortsätzen, die von einer fetthaltigen Myelinschicht umgeben sind und daher weiß erscheinen.
Schwangerschaftshormone aktivieren bei Nagetieren einen neuronalen Schaltkreis, der als »maternal caregiving circuit« bekannt ist. Der Regelkreis aktiviert letztlich das Belohnungssystem und damit mütterliches Verhalten, welches das Überleben und die Gesundheit der Nachkommen sicherstellt: Nestbau, Abschlecken der Jungen, Zurückholen der Jungtiere ins Nest sowie Laktation. Bei Menschen ist »mütterliches Verhalten« schwieriger zu klassifizieren, zudem beeinflussen kulturelle Einflüsse, was als mütterlich betrachtet wird. »Mütterliches Verhalten« wird oft mittels standardisierter Fragebogen und Beobachtungen erfasst, etwa bei spielerischen Interaktionen.
Je stärker der Abbau, desto enger die Bindung
Dabei stellten die Wissenschaftler um Susanna Carmona fest, dass das Ausmaß der Mutter-Kind-Bindung mit der Stärke des neuronalen Umbaus einhergeht. Auch eine etwaige Feindseligkeit der Frau gegenüber dem Neugeborenen sowie die soziale Selektivität, zum Beispiel die Präferenz für nahe Freunde und Familie, hingen von den Hirnveränderungen ab. »Je größer der Abbau an grauer Substanz, desto stärker ist die mütterliche Bindung an das Kind«, erklärt Martínez-García. »Wichtig ist: Wir sehen keinen Zusammenhang mit ihrer Fähigkeit, sich um das Kind zu kümmern. Das ist etwas, was auch alle Väter und Mütter, die nicht geboren haben, lernen können«, fügt sie hinzu.
In wenigen Hirnregionen ist das Gegenteil nachweisbar, hier geht eine Volumenvergrößerung mit einer festeren Bindung zum Neugeborenen einher. Das ist etwa im Mittelhirn der Fall, das heißt im Hypothalamus, in der Amygdala und im Globus pallidus: Je mehr graue Substanz nach der Geburt hinzukommt, desto häufiger schrieben Mütter ihren Babys positive Adjektive zu. Im Unterschied dazu fand man bei Frauen, deren Nucleus accumbens während der Schwangerschaft besonders stark geschrumpft war, eine erhöhte Aktivierung des Belohnungssystems als Reaktion auf Babyfotos. Die strukturellen Veränderungen könnten folglich eine neuronale Anpassung sein, durch die Mütter sensibel auf das Neugeborene reagieren.
Schwanger in den MR-Scanner?
Eine Kernspin- oder Magnetresonanztomografie (MRT) in der Schwangerschaft ist wahrscheinlich weder für Mutter noch Kind gefährlich. Denn hierbei werden keine ionisierenden Strahlen verwendet, wie es bei einer Röntgenuntersuchung oder einer Computertomografie der Fall ist. Einige Mediziner äußern jedoch die Sorge, dass das Ungeborene durch die lauten Klopfgeräusche und die entstehenden Gewebeerwärmungen geschädigt werden könnte. Auf Grund der dünnen Studienlage empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz, dass Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel nur nach sorgfältiger Abwägung eine MRT verordnet bekommen sollen. Zudem dürfen Schwangere grundsätzlich keine Kontrastmittel erhalten, da dies das Risiko einer Fehlgeburt erhöht.
Außerdem beschrieben alle MRT-Studien zu dem Thema Veränderungen im so genannten Default Mode Network (DMN), auch Ruhezustandsnetzwerk genannt. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Hirnarealen, die beim Nichtstun aktiv und beim Lösen von Aufgaben stillgelegt werden. Wenn wir etwa tagträumen, regt sich das DMN besonders stark – ruft der Chef an, schaltet es sich ab. Zu beteiligten Regionen gehören der mediale präfrontale Kortex, der Präcuneus, Teile des Gyrus cinguli sowie des Scheitellappens und der Hippocampus. Dieser Regelkreis ist zudem der Schlüssel zur Selbstreflexion und zu unserem »inneren Narrativ«, was wiederum wichtig ist für unser Selbstverständnis sowie das Interagieren mit anderen. Laut manchen Studien ist das DMN darüber hinaus zuständig für unsere Fähigkeit zur Empathie, womit die Veränderungen während Schwangerschaft und Geburt das Mitgefühl gegenüber dem Baby beeinflussen könnten.
Dass das DMN eine entscheidende Rolle dabei spielen könnte, das weibliche Gehirn auf Mutterschaft zu trimmen, zeigte bereits die Studie von 2017: Verringerungen in der grauen Substanz in diesem Netzwerk gingen mit einer gesteigerten Hirnaktivität beim Betrachten von Fotos weinender Babys einher. Auch war die Mutter-Kind-Bindung umso stärker, je weniger Volumen hier gemessen wurde. In einer weiteren Untersuchung von Elseline Hoekzema fand sich eine erhöhte Konnektivität innerhalb des DMN bei Schwangeren. Das ging mit der Tendenz der Frau einher, den Fötus als eine Person mit eigenen Bedürfnissen zu sehen.
»Je größer der Abbau an grauer Substanz, desto stärker ist die mütterliche Bindung an das Kind«Magdalena Martínez-García, Neurowissenschaftlerin
»Die Anpassungen im Default Mode Network könnten bedeuten, dass sich die neuronale Repräsentation des Selbst während der Schwangerschaft verändert«, erklärte Elseline Hoekzema in einem Interview mit »Scientific American« im Jahr 2022. Joseph Lonstein betont ebenfalls die Bedeutung der Selbstrepräsentation. »Die Veränderungen betreffen vor allem Regionen, die für das Verständnis des Selbst und des Anderen wichtig sind. Das ist für Mütter essenziell, um zu begreifen, wer sie im Verhältnis zu sich selbst und zu anderen sind, einschließlich ihres Babys. So können sie verstehen, was ihr Baby braucht und will.«
Magdalena Martínez-García analysierte 2024 ebenfalls, welche Veränderungen im DMN vor sich gehen. Obwohl sich neben dem Default Mode Network auch andere Hirnnetzwerke umstrukturierten, kehrte allein das Ruhezustandsnetzwerk nicht in seine Ausgangslage von vor der Schwangerschaft zurück.
Auf Effizienz getrimmt
Auf den ersten Blick erscheint es drastisch, dass Schwangere graue Substanz verlieren. Vermutlich ist das aber positiv zu werten: als ein gewisses Feintuning, das die Funktion des Gehirns durch das Konzentrieren auf das Wesentliche verbessert. »Mehr ist nicht immer besser«, erklärt Lonstein. »Eine Verfeinerung der existierenden Systeme ist vermutlich besser als eine Überproliferation. Das Gehirn arbeitet so effizienter.«
Die Veränderungen in der Schwangerschaft könnten damit denen ähneln, die wir während der Pubertät durchlaufen. Denn auch bei Teenagern reduziert sich die graue Substanz, und viele Nervenverbindungen gehen in dieser Zeit verloren. Im Endeffekt beschleunigt sich so allerdings die Informationsverarbeitung im Gehirn. In einer Studie verglichen Martínez-García und ihre Kollegen die Gehirne von Mädchen im Teenager-Alter und von Müttern. »Wir waren überrascht, wie ähnlich die Vorgänge waren. Wir sahen dieselben Muster für strukturelle Veränderungen«, so die Neurowissenschaftlerin.
»Rein von der Technologie ist es aber noch nicht möglich, zelluläre Details beim Menschen zu erfassen«, sagt Lonstein. Anders bei Ratten und Mäusen: Hier zeige sich ebenfalls eine Reduktion des Hirnvolumens beziehungsweise der grauen Substanz während der Tragezeit. Etwa im Hippocampus, dem einzigen Areal, in dem sogar noch beim erwachsenen Menschen nachweislich neue Nervenzellen entstehen. »Auch das wird als Feintuning angesehen«, erklärt der Forscher. Bei den Nagetieren entstehen rund um die Geburt in manchen Hirnregionen neue Neurone, etwa in der subventrikulären Zone der seitlichen Ventrikel. Auch im Riechkolben von Ratten werden während der Tragezeit neue Zellen gebildet, die jedoch einige Wochen nach dem Werfen des Nachwuchses wieder verschwinden. Vermutlich fördert dies das Erkennen der Jungen am Geruch.
Und das Erscheinungsbild einiger Nervenzellen verändert sich ebenfalls, wie Studien an Nagetieren nahelegen. »Wenn man als Neuron ›besser‹ werden möchte, so ist ein Weg dahin, die Information besser einzufangen«, erklärt Lonstein. »Dendriten sind die Kontaktpunkte, um Information aufzunehmen. Mittels Pruning, also des Abbaus von Dendriten, kann die individuelle Zelle verfeinern, wie sie Information erhält und verarbeitet.« Genauso ist die Synapse, der Ort der Signalübertragung, solchen Anpassungen unterworfen.
Veränderung auf allen Ebenen
Auch Gliazellen verändern sich während der Tragezeit von Nagern, beispielsweise die Mikroglia, die Immunzellen des Gehirns. Diese beseitigen Mikroorganismen, zellulären »Müll« sowie abgestorbene Neurone und sind gleichzeitig die Hauptquelle von Immunbotenstoffen, die Entzündungen fördern. Trächtige Ratten haben weniger Mikroglia in ihrem Gehirn, ein Trend, der sich am Ende der Laktation umkehrt. Susanna Carmona schreibt dazu: »Angesichts der gut erforschten Rolle aktivierter Mikroglia bei der Schmerzüberempfindlichkeit könnte deren Abbau als Schmerzdämpfer fungieren und so das mütterliche Gehirn auf das extreme Ereignis der Wehen vorbereiten.«
Insgesamt zeigt die Forschung an Nagetieren, dass sich schwangerschaftsbedingt die Neurogenese und die Immunfunktion des Gehirns verändern, Dendriten länger werden, die Myelinisierung der Axone angeregt und die synaptische Übertragung reguliert wird. »Wir sehen Veränderungen auf allen Ebenen, von der Größe des Kortex bis hin zu den verschiedenen Teilbereichen der Nervenzelle«, fasst Lonstein zusammen.
»Schwangerschaftshormone machen jemanden nicht plötzlich zur besten Mutter der Welt«Joseph Lonstein, Neurowissenschaftler
Die Schwangerschaft ist eine Zeit eines massiven hormonellen Wandels. Das Level an Steroidhormonen ist dann sehr hoch, aber sobald die Plazenta entfernt ist, fallen die Spiegel rasch. Die Botenstoffe wirken auch auf das Gehirn, denn hier sind viele passende Rezeptoren vorhanden. Damit liegt der Schluss nahe, dass das Auf und Ab der Hormone zum Umbau des Nervensystems beiträgt. »Wir waren nicht sonderlich überrascht, einen so dynamischen Verlauf im Gehirn zu finden: Es beginnt mit einem Volumenverlust, der sich dann teilweise wieder ausgleicht, vielleicht, weil die Schwangerschaftshormone und Hormone im Wochenbett die Geschehnisse koordinieren«, sagt Martínez-García. Diese Hypothese müsse allerdings noch bestätigt werden.
Fundament der Fürsorge
Doch nur auf die Hormone lässt es sich nicht reduzieren, denkt Joseph Lonstein. »Ich glaube, ihre Rolle wird überbetont. Tatsächlich gibt es ein Labormodell, bei dem mütterliches Verhalten ganz ohne Hormone stattfindet.« Ratten, die selbst noch keine Jungen haben, ignorieren Jungtiere meistens. Wenn sie aber über Tage hinweg mit Nachwuchs zusammen sind, zeigen sie mitunter ein hohes Maß an mütterlichem Verhalten: Sie fangen an, die Jungen ins Nest zu holen und sie warm zu halten.
Bei Menschen gibt es Parallelen. »Wir müssen anerkennen, dass viele Leute sich exzellent um Kinder kümmern, obwohl sie gar nicht geboren oder zumindest nicht kürzlich geboren haben – Väter, Adoptiveltern, Pflegeeltern, Großeltern. Sie alle erfahren nicht die hormonellen Veränderungen der Schwangerschaft«, gibt Joseph Lonstein zu bedenken. Damit seien die Botenstoffe für die Veränderungen und das mütterliche Verhalten nicht notwendig, weder beim Menschen noch bei Labortieren. »Sie können helfen, ein Fundament der Fürsorge zu schaffen. Aber es gibt viele weitere Faktoren. Schwangerschaftshormone machen jemanden nicht plötzlich zur besten Mutter der Welt.« Stattdessen könnten Erfahrung und Hormone zusammenwirken, was dann zu den erwähnten Hirnveränderungen führt, vermutet Lonstein. »Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es jetzt herauszufinden, wie diese Faktoren zusammenspielen.«
Woche für Woche
Ein Team um Laura Pritschet von der University of California in Santa Barbara konnte 2024 erstmals die wöchentlichen Hirnveränderungen im Lauf einer Schwangerschaft erfassen. Dazu scannte es eine 38-jährige Erstgebärende insgesamt 26-mal im MR-Tomografen – angefangen drei Wochen vor der Empfängnis durch In-vitro-Fertilisation bis zwei Jahre nach der Geburt. Die Fachleute erkannten eine weitläufige Volumenreduktion der grauen Substanz, die auch noch Jahre nach der Entbindung fortbestand. Der Verlust schritt im Verlauf der Schwangerschaft voran und ging mit einem dramatischen Anstieg von Sexualhormonen einher. Darüber hinaus schrumpften subkortikale Strukturen wie der Thalamus und der Hippocampus. Die Ventrikel hingegen nahmen im Volumen zu (siehe »Schrumpfende Kerne«).
Dagegen stieg während des ersten und zweiten Trimesters die Integrität vieler Faserverbindungen (weißer Substanz) vorübergehend (siehe »Gut verdrahtet«) – dadurch kommt es laut den Autoren zu einer verbesserten Kommunikation zwischen bestimmten Arealen. Betroffen war unter anderem der okzipitofrontale Fasziculus (braun), der wichtig für die semantische Sprachverarbeitung ist, sowie der kortikospinale Trakt (blau), der die willentlichen Bewegungen steuert.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.