Neutrinos: IceCube liefert mehr Geisterteilchen
Viele Monate waren "Ernie" und "Bert" allein: zwei enorm energiereiche Neutrinos, die vermutlich von außerhalb des Sonnensystems den Weg zur Erde fanden. Seit einer Supernova vor 25 Jahren waren sie die einzigen extrasolaren Geisterteilchen, von denen Forscher mit einiger Sicherheit sagen konnten, dass sie nicht aus der Sonne oder aus Prozessen in der Atmosphäre stammten. Nun haben die Wissenschaftler der IceCube-Kollaboration, die Entdecker von "Ernie" und "Bert", ihren Datensatz noch einmal genauer analysiert. Und siehe da: Sie haben darin gleich 26 weitere Signale entdeckt, die jeweils von einem Neutrino – einem elektrisch neutralen Elementarteilchen mit geringer Masse – außerhalb des Sonnensystems stammen könnten.
Als bei der ersten öffentlichen Auswertung der Daten im Frühjahr nur "Ernie" und "Bert" aufgetaucht waren, hatten sich die Forscher erstaunt gezeigt, dass von außerhalb des Sonnensystems nur so wenige Neutrinos zur Erde dringen. Eigentlich müssten sie in der Milchstraße in großer Anzahl erzeugt werden – beispielsweise in den Schockfronten von Supernova-Explosionen, die für viele Jahre durch den interstellaren Raum rasen und dabei viele Teilchen auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigen. Ob die in solchen Regionen angeschubsten Atomkerne ihren Weg früher oder später zur Erde finden und in Form der kosmischen Strahlung auf die Atmosphäre einprasseln, ist eine der zentralen Fragestellungen der modernen Astrophysik.
Anders als Atomkerne und Elektronen werden Gammastrahlen und Neutrinos nicht von magnetischen Feldern in der Milchstraße abgelenkt: Sie deuten direkt zum Ort ihrer Entstehung und verraten Forschern daher, was rund um ausgebrannte Sterne vor sich geht. IceCube soll unter anderem solche Neutrinos auffangen: Der Detektor besteht aus 5160 Photomultiplier-Röhren, die zwischen 1450 und 2450 Meter tief im Boden der Antarktis vergraben sind. Trifft ein Neutrino mit einer Energie von mehr als 30 Billionen Elektronvolt auf das Eis zwischen den Röhren, werden dabei andere Elementarteilchen erzeugt, die von den im Eis vergrabenen Detektoren nachgewiesen werden können.
Wie schon bei ihrer Entdeckung von "Ernie" und "Bert" werteten die Forscher die Daten von 662 Messtagen aus. Dank eines neuen Analyseverfahrens konnten sie nun auch Neutrinos mit einer geringeren Energie aufspüren, als jene zirka 1000 Billionen Elektronenvolt, die den beiden Star-Neutrinos zugeordnet werden. 26 weitere Signale in den Detektoren könnten demnach von anderen extrasolaren Neutrinos stammen, schreiben die IceCube-Wissenschaftler. Etwa bei zehn von ihnen handelt es sich allerdings vermutlich um eine falsche Fährte: Sie könnten aus der Erdatmosphäre stammen, von so genannten Muonen, die in den Detektor fallen, oder von Neutrinos, die in Kernreaktionen zwischen kosmischer Strahlung und Luftmolekülen entstanden sind.
Mehr als die Hälfte der 26 Neutrinos stammt demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit von außerhalb unseres Sonnensystems – woher genau, vermögen die Forscher aber nicht zu sagen. Sie können die Richtung, aus der die Neutrinos in den Detektor fielen, nur ungenau rekonstruieren. Es sei möglich, dass einige von ihnen aus einer Region im galaktischen Zentrum stammen, schreiben die Forscher vorsichtig. Aber insgesamt sei man nicht in der Lage, eine eindeutige Quelle zu identifizieren. Ob Neutrinos verraten können, wo die kosmische Strahlung herkommt, bleibt somit weiter offen. Aber immerhin gibt es jetzt eine ganze Sesamstraße von ihnen, mit der Forscher spielen können.
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