Nordkoreas Atombomben: Neutronenschub durch Kernfusion
Nordkoreas Atomtest im Januar 2016 löste vor allem Rätselraten aus. Aktuelle Äußerungen des Staatschefs Kim Jong-Un über neue, miniaturisierte Atomsprengköpfe für Langstreckenraketen stützen jedoch einen Verdacht, den Fachleute schon seit einer Weile hegen: Womöglich war der Test kein Fehlschlag. Für eine echte Wasserstoffbombe, die Kernfusion zur Freisetzung von Energie nutzt, war die freigesetzte Energie zu klein – aber durch die Kombination von Kernfusion und Kernspaltung in Atombomben kann man auch andere Effekte erzielen.
Die extreme Steigerung der Sprengkraft in einer Wasserstoffbombe ist nur eine Variante dieses Zusammenspiels, doch die Multimegatonnenbomben des Kalten Kriegs wurden längst abgeschafft. Sie waren aus dem Dilemma heraus entstanden, dass man Ziele mit Interkontinentalraketen zunächst nur auf einige Kilometer genau treffen konnte, aber trotzdem zerstören wollte.
Megatonnen sind Mega-out
Mit Kernfusion kann jedoch auch der Zündprozess einer Atombombe durch das so genannte Boosting verbessert werden. Dadurch kann man kleinere Bomben bauen, die auch für Trägerraketen und andere Waffen geeignet sind. Diesen Prozess könnten die Nordkoreaner vor einigen Wochen womöglich getestet haben – und er passt zu den Angaben des Regimes, das schon letztes Jahr miniaturisierte Sprengköpfe entwickelt haben wollte.
Boosting würde das möglich machen. Der Prozess kommt in fast allen modernen Atombomben seit den 1950er Jahren zum Einsatz. Das Resultat dieser Entwicklungen waren Sprengköpfe wie der US-amerikanische W80, der bei einem Gewicht von 130 Kilogramm eine einstellbare Sprengkraft zwischen 5 und 150 Kilotonnen erreichen kann. Die Hiroschima-Bombe "Little Boy" wog dagegen – ohne Boosting – noch 4400 Kilogramm und hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen.
Was genau in Nordkorea getestet wurde, ist unbekannt. Es gibt keine Möglichkeit, den genauen Funktionsmechanismus eines Sprengkopfs aus seismischen Daten herauszulesen. Aber aus der gleich bleibenden Sprengkraft zu schließen, dass es keine Verbesserungen der Technik gegeben hat, wäre ein Fehler. Die Nordkoreaner mögen nach westlichen Maßstäben materiell eingeschränkt sein, aber dumm sind sie nicht. Und sie haben Zugang zu Technik, von denen Ingenieure der 1950er Jahre nicht zu träumen wagten.
Neutronen per Direkteinspritzung
Eine solche Technik ist das Boosting. Man bringt dazu eine kleine Menge Fusionsbrennstoff – Tritium und Deuterium – in den Sprengkopf einer normalen Atombombe ein. Schon eine Energiefreisetzung von einigen hundert Tonnen TNT-Äquivalent reicht aus, um die Fusionsreaktion zu starten, das geschieht also noch vor dem Höhepunkt der Kernspaltung. Die Fusionsenergie selbst ist unerheblich, aber die zusätzlich freigesetzten Neutronen kommen genau zum richtigen Zeitpunkt. Um möglichst viel Uran oder Plutonium zu spalten, müssen auf dem Höhepunkt der Kettenreaktion möglichst viele Neutronen vorhanden sein. Die zusätzlichen Neutronen aus der Kernfusion heizen jetzt die Kettenreaktion noch weiter an. Bevor der Sprengkopf endgültig auseinanderfliegt, werden damit noch mehr Atome als sonst gespalten – und so viel höhere Energien freigesetzt.
Auf diese Weise kann man nicht nur Bomben konstruieren, die beim gleichen Aufbau eine höhere Sprengkraft haben. Es können auch viel kompaktere Bomben mit weniger Volumen und geringerem Gewicht gebaut werden. Anders als bei den ersten Atombomben ohne Kernfusion muss nicht mehr der gesamte Sprengkopf so weit komprimiert werden, dass die gesamte Kettenreaktion sofort stattfinden kann. Es reicht aus, wenn die Grenze zur Zündung der Fusionsreaktion erreicht wird, die dann den Rest der Spaltung in Gang setzt. Dadurch wird wesentlich weniger spaltbares Material für einen funktionsfähigen Sprengkopf benötigt.
Lange Zeit vermuteten Fachleute, dass die nordkoreanischen Atombomben noch zu groß und zu schwer für den militärischen Einsatz seien. Eine Miniaturisierung der Sprengköpfe hatte für Nordkorea deshalb wohl oberste Priorität. Der Test eines solchen Miniaturisierungsverfahrens durch Kernfusion könnte beim Atomtest im Januar das Ziel gewesen sein – und dann wären Diktator Kims jüngste Äußerungen über Atomsprengköpfe auf Raketen womöglich mehr als reine Prahlerei: Als man ähnliche Technologien in den 1950er Jahren in den USA und der Sowjetunion entwickelte, entstanden schon bald darauf sehr viel kleinere Sprengköpfe, die auch auf kleineren Flugzeugen und Raketen stationiert werden konnten.
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