Mitmach-Astronomie: Neutronensterne in der Rechnerwolke
"Unsere Suche war nur dank der großen Rechenkraft möglich, die uns die Einstein@Home-Freiwilligen zur Verfügung gestellt haben", sagt Benjamin Knispel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Erstautor der Veröffentlichung, die jetzt in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist. "Durch die Beteiligung der Öffentlichkeit haben wir in der Milchstraße 24 neue Pulsare entdeckt, die zuvor übersehen wurden, einige davon besonders interessante Exemplare."
Aufwendige Suche nach kosmischen Leuchttürmen
Pulsare sind die Überreste von Explosionen massereicher Sterne. Die stark magnetisierten und extrem dichten Neutronensterne rotieren schnell um die eigene Achse und strahlen entlang der Magnetfeldachse kegelförmig Radiowellen ab – ähnlich dem Scheinwerfer eines Leuchtturms. Trifft dieser Radiowellenkegel die Erde, lässt sich der Pulsar beobachten.
Um die schwachen Signale neuer Pulsare aufzuspüren, sind große Radioteleskope notwendig. Knispel und seine Kollegen durchsuchten Daten der Parkes Multi-beam Pulsar Survey, die in den Jahren 1997 bis 2001 mit der 64-Meter-Antenne des Parkes-Observatoriums im Südosten Australiens aufgenommen und bereits mehrfach mit zunehmender Empfindlichkeit durchsucht wurden. "Die Suche nach neuen Radiopulsaren ist sehr rechenaufwendig. Um die a priori unbekannten Eigenschaften wie die Entfernung und die Periode der Eigendrehung genau zu bestimmen, müssen wir große Parameterbereiche sehr fein durchsuchen", so Knispel.
Pulsarsuche mit Bürgerbeteiligung
Bei Einstein@Home "spenden" jede Woche im Durchschnitt rund 50 000 Freiwillige aus aller Welt brachliegende Rechenkraft auf ihren insgesamt rund 200 000 Computern. Zusammen werfen sie so eine Rechenkraft von rund 860 TeraFlop pro Sekunde die Waagschale und würden Einstein@Home so einen Platz unter den schnellsten Rechnern der Welt sichern. Für die Suche in den Parkes-Daten brauchten die vernetzten Rechner so nur acht Monate, während ein einzelner CPU-Kern dafür 17 000 Jahre gebraucht hätte.
Entscheidend für die Entdeckung der zwei Dutzend Pulsare war aber nicht nur die enorme Rechenleistung von Einstein@Home, sondern auch die Entwicklung neuer Methoden, um die Ergebnisse nachzubereiten. In den Messdaten finden sich häufig menschengemachte Störsignale, die Pulsaren ähneln. Mit ihren neuen Verfahren gelang es den Astronomen, auch in Anwesenheit der Störsignale Pulsare zu entdecken, die zuvor verdeckt worden wären.
Ungewöhnliche Exemplare im Zoo der Pulsare
Die Astronomen nutzten die Radioteleskope bei Parkes, am Jodrell-Bank-Observatorium und bei Effelsberg zu Folgebeobachtungen, um ihre Entdeckungen genauer zu charakterisieren. "Es gibt verschiedene Arten von Pulsaren, ganz ähnlich den verschiedenen Tierarten in einem Zoo. Einige sind häufiger anzutreffen als andere, von denen manchmal nur eine Handvoll bekannt ist", erklärt Ralph Eatough, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn und Zweitautor der Veröffentlichung.
Für die Astronomen besonders interessant sind Pulsare in Doppelsternsystemen. Denn sie ermöglichen Einblicke in ihre Entstehungsgeschichte oder können als Prüfstände für Einsteins Relativitätstheorie dienen. Doch sie aufzuspüren ist noch schwieriger als die Suche nach einzelnen Pulsaren, die wegen der unbekannten Eigenschaften der Himmelskörper schon aufwendig genug ist. Denn ein Pulsar in einem Doppelsternsystem hinterlässt in den Daten komplexere Spuren, so dass der Rechenaufwand wächst und die Kapazitäten der Computercluster an den beiden beteiligten Max-Planck-Instituten übersteigt.
Unter den 24 nun mit Einstein@Home entdeckten Pulsaren befinden sich sechs dieser ungewöhnlichen Exemplare, die in Doppelsternsystemen einen gemeinsamen Massenschwerpunkt mit ihrem Partner umkreisen. Diese Objekte entstehen häufig nur unter besonderen astrophysikalischen Umständen, die die Forscher so genauer rekonstruieren können. Einer der entdeckten Pulsare hat eine ungewöhnlich lange Umlaufperiode von rund 940 Tagen – die viertlängste aller bekannten Systeme. Er könnte sich in Zukunft als Prüfstand für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erweisen.
Von den Parkes-Daten zur Pulsar-Population der Milchstraße
Andere der nun entdeckten Pulsare scheinen ihre Radioemission für einige Minuten oder Stunden abzuschalten. "Dieses Phänomen wurde bereits zuvor beobachtet, es ist jedoch noch nicht vollständig verstanden. Weitere Untersuchungen können unser Verständnis der Vorgänge im Magnetfeld der Pulsare verbessern, die zur Entstehung der Radiostrahlung führen", so Eatough.
Neben diesen besonderen Objekten ist für Astronomen auch die Entdeckung der "normalen" Pulsare wichtig. Die Parkes Multi-beam Pulsar Survey wird häufig als Referenz für Computersimulationen der gesamten Pulsar-Population unserer Galaxie genutzt. Erst wenn alle in den Beobachtungsdaten verborgenen Pulsare entdeckt wurden, lassen sich präzise Schlüsse auf die Gesamtheit der Pulsare in unserer Milchstraße ziehen.
Ein Rechenmodell für die Zukunft
"Unsere Entdeckungen beweisen, dass verteilte Rechenprojekte wie Einstein@Home eine sehr wichtige Rolle in der modernen datenbasierten Astronomie spielen", sagt Bruce Allen, Direktor von Einstein@Home und Direktor am AEI. "Wir erwarten, dass verteiltes Rechnen für die astronomische Datenanalyse zukünftig noch wichtiger werden wird. Bei Einstein@Home sind wir außerdem bestens auf die zunehmende Mobilität der Rechenkraft vorbereitet", so Allen. Denn seit kurzem können Freiwillige nicht nur die Rechenkraft auf ihren Computern zur Verfügung stellen, sondern auch mit ihren Android-Smartphones und -Tablets bei der Suche nach unbekannten Radiopulsaren helfen.
In einem der nächsten Projekte möchten wir die Rechenkraft von Einstein@Home nutzen, um neu gewonnene Daten unseres hochempfindlichen Radioteleskops bei Effelsberg nach Pulsaren in extrem engen Doppelsternsystemen zu durchsuchen", sagt Michael Kramer, Direktor am MPIfR. Solche Systeme ermöglichen Tests der allgemeinen Relativitätstheorie, weil sich deren Effekte bei zwei sehr schweren Objekten, die in dichtem Abstand umeinander kreisen, besonders deutlich zeigen. Michael Kramer ist auf die Suche schon gespannt: "Wer weiß, welche Überraschungen dabei auf uns warten."
AEI / Red.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.