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Neutronensterne: Kilonova in 3-D

Beim Verschmelzen zweier Neutronensterne werden enorme Energiemengen freigesetzt und in Form einer Kilonova sichtbar. Astrophysiker haben nun zum ersten Mal eine Simulation der Kilonova AT2017gfo durchgeführt, in welcher der Strahlungstransport während des Ereignisses dreidimensional berechnet wird. Dadurch wurde klar, dass ein auffällig kugelsymmetrisches Lichtsignal erzeugt werden kann, selbst wenn die Materie stark asymmetrisch ausgestoßen wurde.
Künstlerische Darstellung der Überreste einer Neutronensternverschmelzung. Das ausgestoßene Material zeigt sich in Form einer ausgedehnten, leuchtenden Hülle. In zwei entgegengesetzten Richtungen sind auch Stoßfronten sichtbar, wenn Material mit hohen Geschwindigkeiten auf das umgebene Gas trifft.
Die künstlerische Darstellung zeigt die Überreste einer Neutronensternverschmelzung in einem Doppelsystem. Das sorgt nicht nur für einen Helligkeitsausbruch im Visuellen, sondern kann auch im Gamma-, Radio- und Infrarotbereich beobachtet werden. Zudem werden Gravitationswellen emittiert.

Eine Kilonova bezeichnet die Lichtemission als Folge der Verschmelzung von zwei Neutronensternen in einem Doppelsternsystem. Dabei prallen die Sternüberreste mit etwa 25 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aufeinander und werfen neutronenreiches Material – von der Menge ein paar Prozent der Sonnenmasse – mit bis zu 50 Prozent der Lichtgeschwindigkeit aus. Von dem kosmischen Zusammenstoß selbst geht jedoch kein Licht aus. Vielmehr ist es das ausgeworfene Material, das zu leuchten beginnt. Durch die extremen Bedingungen mit Temperaturen von etwa drei Milliarden Grad und hohen Neutronendichten findet dort der schnelle Neutroneneinfangprozess (r-Prozess) statt, der innerhalb von Sekundenbruchteilen die schweren Elemente jenseits von Eisen produziert, darunter Gold, Platin und Uran. Die erzeugten schweren Atomkerne sind radioaktiv, und ihre Zerfälle setzen Energie frei, wodurch das ausgestoßene Material aufgeheizt wird und zu leuchten beginnt. Der rapide Helligkeitsabfall, der bei Kilonovae beobachtet wird, erklärt sich hierbei auf natürliche Art durch die schnell abnehmenden radioaktiven Zerfälle sowie die hohe Expansionsgeschwindigkeit der Wolke: Deren Material dünnt immer weiter aus und wird durchlässiger für Licht, das immer einfacher entkommen kann. Dieses Szenario passt ausgezeichnet zu den Beobachtungen von AT2017gfo.

Die Kilonova AT2017gfo

Der 17. August 2017 ist für Astronomen auf der ganzen Welt in die Geschichte eingegangen, denn um 14:41 Uhr deutscher Zeit wird mit den Gravitationswellendetektoren LIGO (USA) und Virgo (Italien) eine besondere Gravitationswelle registriert. Gravitationswellen von verschmelzenden Schwarzen Löchern wurden bereits mehrmals gemessen, doch dieses Mal ist etwas anders: Das Signal hält anstatt eines Sekundenbruchteils für etwa 100 Sekunden an. Schnell wird klar, dass hier zwei Neutronensterne verschmolzen sind.

Fast zeitgleich mit den Gravitationswellen konnte auch ein kurzer Gammastrahlenausbruch mit den Satelliten Fermi (NASA) und INTEGRAL (ESA) festgestellt werden. Beide Signale kamen aus der gleichen Richtung am Himmel und wurden sehr wahrscheinlich durch ein gemeinsames Ereignis verursacht. Der genaue Ursprungsort wurde mit Hilfe einer Himmelsdurchmusterung gesucht, bei der viele kleine Teleskope mit größeren Gesichtsfeldern nach einer neuen Lichtquelle Ausschau hielten. Knapp elf Stunden später wurde im Sternbild Wasserschlange ein Transient – also ein kurzzeitiges Ereignis – in der linsenförmigen Galaxie NGC 4993 entdeckt, die etwa 130 Millionen Lichtjahre entfernt liegt. Die neue Lichtquelle (AT2017gfo) veränderte sich dabei auf noch nie dagewesene Weise. Ihre Helligkeit nahm innerhalb von wenigen Tagen ab, während sich die Farbe immer weiter ins Rote und Infrarote wandelte.

Umfangreiche Beobachtungen

Neben der Lichtkurve, also der zeitlichen Entwicklung der Leuchtkraft, wurden zahlreiche optische und infrarote Spektren der Kilonova beobachtet. Die frühen Phasen, bis etwa drei Tage nach dem Verschmelzen der Neutronensterne, sind durch ein charakteristisches Schwarzkörperspektrum dominiert, das von einem Gas mit einer Temperatur zwischen 3000 und 5000 Kelvin abgegeben wird. Zusätzlich sind Absorptions- und Emissionsmerkmale in Form von P-Cygni-Profilen erkennbar, die von der expandierenden Hülle verursacht werden und Rückschlüsse auf deren Geschwindigkeit sowie chemische Zusammensetzung zulassen. Prinzipiell kann man so nachweisen, dass Zusammenstöße von Neutronensternen tatsächlich für das Entstehen der schwersten Elemente im Universum verantwortlich sind. Bisher konnten aber nur Signaturen mittelschwerer Elemente, wie etwa Strontium, gefunden werden.

Dreidimensionale Simulationen

Im Rahmen unserer Arbeit am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt haben wir eine Reihe neuartiger Simulationen zum Strahlungstransport durchgeführt, die mehrere wichtige Verbesserungen in der Methodik gegenüber früheren Studien enthalten. In denen wurde das Dichteprofil der ausgestoßenen Materie, also die Dichte als Funktion des Abstands zum Ort der Neutronensternverschmelzung, durch eine einfache analytische Funktion, etwa eine Potenzfunktion, beschrieben, die in allen Richtungen gleich aussieht. Für die neuen Simulationen wurde hingegen auf hydrodynamische Simulationen des Verschmelzungsvorgangs zurückgegriffen. Das Verschmelzen der beiden Neutronensterne wurde für eine Dauer von 20 Millisekunden simuliert, wobei etwa 0,005 Sonnenmassen neutronenreiches Material durch den Zusammenstoß herausgeschleudert werden. Dies stellt ein genaueres und realistischeres Ausgangsmodell dar und ist insbesondere nicht auf eine kugelsymmetrische eindimensionale Beschreibung beschränkt. Von Kernkollaps-Supernovae ist beispielsweise bekannt, dass sie eine signifikante Asymmetrie aufweisen und ein akkurates Modellieren des Strahlungstransports in nur einer Dimension nicht möglich ist. Zusätzlich zu den mehrdimensionalen Effekten im Zuge des Strahlungstransports verwenden unsere neuartigen Modelle ein vollständiges Reaktionsnetzwerk, das eine genaue Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und der freigesetzten Zerfallsenergie an jedem Ort des Modells und zu jeder Zeit erlaubt. Zudem werden über 40 Millionen Spektrallinien berücksichtigt, über die Atome mit Licht durch Absorption, Emission und Streuung interagieren können. Nur durch Letzteres lässt sich in Modellspektren nachweisen, welche Elemente für die Absorptions- und Emissionsmerkmale verantwortlich sind.

Aus den Simulationen ergeben sich viele neue Erkenntnisse. Zunächst verlief die zeitliche Entwicklung der berechneten Spektren wesentlich schneller als bei der beobachteten Kilonova AT2017gfo. Dies lässt sich auf die geringere Gesamtmasse an simuliertem ausgestoßenem Material im Vergleich zu AT2017gfo zurückführen, wodurch Strahlung im Modell schneller nach außen diffundieren kann. Des Weiteren liefern die Simulationen eine Bestätigung dafür, dass in den Spektren Signaturen der Elemente Strontium, Yttrium, Zirkonium und Cerium enthalten sind (siehe »Beobachtung und 3-D-Modell«). Eine solche Vermutung wurde bereits in früheren Arbeiten aufgestellt. Betrachtet man die Simulationen senkrecht zur Bahnebene der ursprünglichen Neutronensterne, wenn ein Beobachter also auf den Nord- oder Südpol des Systems schauen würde, so zeigen sich P-Cygni-Profile, wie sie auch in AT2017gfo zu finden sind. Dabei handelt es sich jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Überlagerung von Signaturen mehrerer Elemente, was den Identifizierungsprozess erheblich erschwert.

Beobachtung und 3-D-Modell | Die Grafiken zeigen den Vergleich der beobachteten spektralen Strahlungsflussdichte (graue Kurve) zu zwei Zeitpunkten nach dem Ausbruch mit den Berechnungen des 3-D-Modells (schwarze Kurve, die sich aus farbig schattierten Elementen zusammensetzt). Der Blickwinkel des Beobachters liegt dabei nahe dem Pol, weil hier die Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Modell am größten ist. Die Entfernung von AT2017gfo wurde berücksichtigt, um die Flussdichten vergleichbar zu machen. Die Form des Spektrums kann grundsätzlich gut reproduziert werden, allerdings entwickelt sich das Modell deutlich schneller, so dass es in der Grafik zeitlich verschoben wurde. Die unterschiedlichen Farben im Modellspektrum zeigen, mit welchen Elementen das Licht zum letzten Mal interagiert hat, bevor es aus dem ausgestoßenen Material der Verschmelzung in Richtung des Beobachters entkommen ist. Dazu zählen Strontium (Sr), Yttrium (Y), Zirkonium (Zr) und Cerium (Ce). Es gilt 1 Ångström = 10–10 Meter.

Unterschiede ergeben sich auch, wenn man die dreidimensionalen Verschmelzungsmodelle räumlich mittelt und den Strahlungstransport damit in einer Dimension durchführt. Zwar sind die Lichtkurven sehr ähnlich, die eindimensionalen Spektren weisen jedoch keine der Merkmale der Kilonova AT2017gfo auf. Daraus lässt sich schließen, dass viele quantitative Resultate, die aus eindimensionalen Simulationen gewonnen wurden, mit Vorsicht zu genießen sind. Die 3-D-Struktur hat zur Folge, dass das ausgeworfene Material in verschiedenen Richtungen unterschiedlich durchlässig für Licht ist (siehe »Kartenprojektion«). Bei einer solchen realistischen Massenverteilung findet die Strahlung immer Lücken mit niedriger optischer Dichte – hoher Durchlässigkeit –, durch die sie einfacher und schneller entkommen kann. Diese Effekte sind bei einer kugelsymmetrischen Materieverteilung nicht zu erwarten.

Kartenprojektion | Die kugelförmige Explosion von AT2017gfo wurde hier mittels Mollweide-Projektion auf eine ovale Karte projiziert. Die Strahlungsintensität, die den Beobachter im Modell nach etwa 1,3 bis 1,7 Tagen erreicht, ist von Blau nach Gelb farblich codiert. Blaue Bereiche nahe dem Äquator weisen darauf hin, dass das Material hier wenig durchlässig für Strahlung ist. Bei den hellen gelben Regionen nahe den Polen ist die Durchlässigkeit höher, das heißt, die Strahlung kann entlang dieser Pfade besser aus dem Material entweichen und mit höherer Intensität beim Beobachter ankommen. Dieses Verhalten tritt in eindimensionalen Modellen nicht auf, weil die Durchlässigkeit überall gleich ist.

Von Spektren zu Massenverteilungen

In einer in der Fachzeitschrift »Nature« erschienenen Arbeit kam man zu dem Ergebnis, dass Kilonovae eine hohe Kugelsymmetrie aufweisen, obwohl das ursprüngliche Doppelsternsystem achsensymmetrisch war. Zu dieser Erkenntnis kam man durch das Auswerten der beobachteten Spektren von AT2017gfo, mit denen die Ausbreitungsgeschwindigkeit des ausgestoßenen Materials in zwei Richtungen bestimmt wurde: Zum einen wurde aus dem P-Cygni-Profil bei einer Wellenlänge von 810 Nanometern im Infraroten die Geschwindigkeit des ausgestoßenen Materials in Richtung des Beobachters gemessen. Zum anderen wurde die Geschwindigkeit senkrecht zum Beobachter mit der Methode der expandierenden Photosphäre berechnet. Dabei wird aus der beobachteten Helligkeit und der mit Hilfe des Spektrums bekannten Temperatur des Materials der Radius der Photosphäre, also der sichtbaren Oberfläche der expandierenden Hülle, gewonnen. Beide Geschwindigkeiten waren erstaunlich ähnlich und weisen daher auf eine hohe Kugelsymmetrie hin.

In einer Folgearbeit haben wir eine ähnliche Analyse für unsere Simulationen vorgenommen. Mit dieser Methode bestimmten wir, an welcher Stelle Licht zuletzt von Atomen absorbiert, emittiert und gestreut wurde, bevor es in Richtung des Beobachters entkommt. Es zeigte sich, dass in jeder Beobachtungsrichtung Licht aus verschiedenen Orten ankommt und damit Asymmetrien in der Materieverteilung geglättet werden (siehe »Richtungsabhängigkeit«). Ein ähnliches Bild ergibt sich bezüglich der Expansionsgeschwindigkeiten in Richtung eines Beobachters und senkrecht zu einem Beobachter. So folgte, dass beide Geschwindigkeitskomponenten, die aus den Spektren des asymmetrischen 3-D-Modells berechnet wurden, ähnlich groß sind. Das lässt den Schluss zu, dass selbst stark asymmetrische Materieverteilungen ein sphärisch anmutendes Lichtsignal erzeugen können.

Richtungsabhängigkeit | Im Modell lässt sich zurückverfolgen, wo die Strahlung zum letzten Mal mit der ausgestoßenen Materie interagiert hat – durch Absorption, Emission oder Streuung –, bevor sie einen Beobachter erreicht und von ihm gemessen werden kann. Die Grafiken zeigen das für einen Beobachter mit Blick auf den Polbereich (Pfeil im linken Diagramm) und mit Blick in Äquatornähe (Pfeil im rechten Diagramm) der Kilonova. Dabei wird deutlich, dass jeden Beobachter Strahlung aus unterschiedlichsten Regionen der expandierenden Hülle erreicht, nicht nur aus Schichten in seiner direkten Blickrichtung. Dadurch können Kilonovae aus jeder Blickrichtung ähnlich aussehen, selbst wenn das Material asymmetrisch ausgeworfen wurde. Für den Beobachter mit Blick auf den Nordpol kommt so die meiste Strahlung aus Material, das sich mit etwas über 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit in seine Richtung bewegt. Ein kleiner Teil der Strahlung kommt jedoch auch von Material, das sich nahe dem Südpol mit ungefähr 45 Prozent der Lichtgeschwindigkeit weg bewegt.

Die hier vorgestellten Simulationen zum Strahlungstransport verdeutlichen, dass für ein genaues Verständnis der physikalischen Prozesse bei einer Verschmelzung von Neutronensternen 3-D-Effekte unabdingbar sind. Nur so können charakteristische Merkmale, die von der Blickrichtung eines Beobachters abhängen, reproduziert werden. Eindimensionale Modelle können eine deutlich höhere Symmetrie der Massenverteilung vortäuschen als tatsächlich vorhanden ist.

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  • Quellen

Collins, C. et al.: Towards inferring the geometry of kilonovae. Eingereicht bei Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2023 [arXiv:2309.05579]

Nomoto, N. et al.: Lanthanide features in near-infrared spectra of kilonovae. The Astrophysical Journal 939, 2022 [arXiv:2206.04232]

Shingles, L. J. et al.: Self-consistent 3D radiative transfer for kilonovae: Directional spectra from merger simulations. The Astrophysical Journal Letters 954, 2023 [arXiv:2306.17612]

Sneppen, A. et al.: Spherical symmetry in the kilonova AT2017gfo/GW170817. Nature 164, 2023 [arXiv:2302.06621]

Smartt, S. J. et al.: A kilonova as the electromagnetic counterpart to a gravitational-wave source. Nature 551, 2017 [arXiv:1710.05841]

Watson, D. et al.: Identification of strontium in the merger of two neutron stars. Nature 574, 2019 [arXiv:1910.10510]

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