Welteninsel: NGC 6872 - eine Galaxie mit langen Gezeitenarmen
Im südlichen Sternbild Pfau, 212 Millionen Lichtjahre von uns entfernt, befindet sich die Spiralgalaxie NGC 6872. Ihr auffälligstes Merkmal sind zwei lange Spiralarme, die sich weit in den Raum erstrecken. Ein Forscherteam um Rafael Eufrasio am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, untersuchte diese Welteninsel anhand von Messdaten der Mission GALEX, dem Galaxy Evolution Explorer, nun genauer. Um ein möglichst vollständiges Bild dieser Galaxie zu erhalten, griffen die Forscher zudem auf archivierte Bilder des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO, der Himmelsdurchmusterung 2MASS und des Infrarotsatelliten Spitzer zurück.
In den Bildern von GALEX, die im Ultravioletten aufgenommen wurden, zeigte sich, dass die beiden Spiralarme von NGC 6872 sehr viel länger sind als bislang angenommen. Ihre Spannweite beträgt mehr als 522 000 Lichtjahre, mehr als der fünffache Durchmesser unseres Milchstraßensystems. Verantwortlich für diese ungewöhnliche Form ist die Begleitgalaxie IC 4970, die sich im beigestellten Bild als kleine ovale Scheibe oberhalb der Zentralregion von NGC 6872 zeigt. Sie besitzt nur etwa ein Fünftel der Masse der Hauptgalaxie, wirkt dennoch mit ihrer Schwerkraft auf NGC 6872 ein und verformt die Welteninsel dabei sehr stark. Durch die Wechselwirkung mit den beiden Schwerefeldern wurden große Mengen an Gas und Staub aus NGC 6872 herausgerissen, in denen sich neue, massereiche Sterne bildeten. Diese sind sehr heiß und leuchten bevorzugt im energiereichen ultravioletten Licht, das von GALEX aufgefangen wurde. Sie zeigen sich nicht auf Bildern im sichtbaren und infraroten Licht.
Bei ihrer systematischen Untersuchung von NGC 6872 stießen Rafael Eufrasio und seine Koautoren auf eine weitere Besonderheit, eine vom nordöstlichen Spiralarm losgelöste Wolke aus heißen Sternen, die sich nur im Ultravioletten beobachten lässt. Sie ist im beigestellten Bild mit einem Kreis markiert. Die Forscher vermuten, dass sich hier eine kleine neue Welteninsel bildet, und bezeichnen sie als "Gezeiten-Zwerggalaxie". Normalerweise wachsen Galaxien im Lauf ihrer Existenz durch das Aufsammeln kleinerer Welteninseln in ihrer Nachbarschaft und verleiben sich ihre Masse ein. Hier scheint das Gegenteil abzulaufen.
Bei einer näheren spektralen Charakterisierung der beiden langen Spiralarme von NGC 6872 zeigte sich, dass die Sterne in der Zwerggalaxie und an den Enden der Arme am jüngsten sind. Mit zunehmender Annäherung an das Zentrum von NGC 6872 werden sie dagegen immer älter. Dies deckt sich mit Computersimulationen durch eine Forschergruppe um Cathy Horellou am Onsala Space Observatory in Schweden, die sie bereits 2007 veröffentlichten. Daraus ergibt sich, dass der Begleiter IC 4970 vor rund 130 Millionen Jahren seine dichteste Annäherung an NGC 6872 durchlief. Dabei folgte er einer Bahn in der Scheibenebene der Hauptgalaxie und umrundete sie in ihrer Rotationsrichtung. So entstanden die beiden prägnanten Gezeitenarme.
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