Genanalyse: Nicht alle Wikinger waren blonde Skandinavier
Die allgemein als Wikinger benannten Gruppen in Nordeuropa waren genetisch nicht nur Skandinavier, und sie sahen auch nicht alle typisch nordisch aus. Das ist das Ergebnis von genetischen Analysen der Überreste von mehr als 300 Menschen der Wikingerzeit. Bei der jetzt in »Nature« veröffentlichten Studie handle es sich um »die bisher umfangreichste DNA-Analyse an Wikingern«, sagt Erstautor Ashot Margaryan von der Universität Kopenhagen in einer Pressemitteilung.
Insgesamt sequenzierten er und sein Team die vollständigen Genome von 442 Männern, Frauen und Kindern, die zwischen 2400 v. Chr. und 1600 n. Chr. gelebt hatten. Die Fundorte reichen von Grönland und Irland im Westen bis nach Russland im Osten. Was die Gruppe überraschte: Knochen von den schottischen Orkney-Inseln wiesen keine der typischen Gensignaturen der Nordmänner auf, die Toten waren vielmehr Einheimische gewesen. Offenbar hatten sie als »Wikinger« gelebt und waren als solche begraben worden. Der Wikingerkultur anzugehören, war demnach nicht auf Menschen begrenzt, die skandinavische Vorfahren hatten.
Und auch die aus skandinavischen Regionen stammenden Menschen der Wikingerzeit sahen den neuen Befunden zufolge nicht so aus, wie man sie sich lange vorstellte. Einige hatten kein blondes, sondern dunkles Haar. Gene aus Asien und Südeuropa hatten schon vor der Wikingerepoche Spuren im skandinavischen Erbgut hinterlassen. »Es war nicht vorherzusehen, dass es vor und während der Wikingerzeit einen bedeutsamen Genfluss nach Skandinavien aus Südeuropa und Asien gab«, sagt Eske Willerslev, Direktor am Zentrum für Geogenetik der Universität Kopenhagen.
Wie die neuen Genanalysen zeigen, reisten die Seefahrer vom Gebiet des heutigen Dänemarks Richtung England, aus dem heutigen Schweden bis ins Baltikum und aus dem heutigen Norwegen Richtung Irland, Island und Grönland. »Unsere Abstammungsanalyse ist konsistent mit den Mustern, die Historiker und Archäologen dokumentiert haben«, heißt es in der Studie der Forscher. Offenbar waren die Wikinger teils im engen Familienverbund unterwegs: Die Genanalysen von 34 Skeletten aus Gräbern in Estland spürten vier Brüder auf, die Seite an Seite begraben waren. Auch die übrigen ähnelten einander genetisch so sehr, dass sie alle aus demselben Ort in Schweden gestammt haben dürften.
Ein Beispiel für Angehörige der Wikingerkultur ohne skandinavisches Erbgut fanden die Forschenden auf den Orkney-Inseln: Dort wurden zwei Einheimische mit typischen Wikingerschwertern und anderen charakteristischen Beigaben begraben. Es könne sich um die frühesten bekannten Genome von Pikten handeln, die jemals untersucht wurden, erläutert der an der Studie beteiligte dänische Archäologe Søren Sindbæk. Die Pikten waren ein Keltisch sprechendes Volk, das während des Frühmittelalters auf dem Gebiet des heutigen Schottlands lebte. Sindbæk schließt daraus: »Die Identität der Wikinger war nicht begrenzt auf Menschen skandinavischer Herkunft.«
Das Wort Wikinger stammt vom skandinavischen Begriff »vikingr« und bedeutet »Seekrieger« oder »Seeräuber«. Die Wikingerzeit erstreckte sich von den ersten dokumentierten Überfällen um 750 bis 1050. Im Erbgut der heutigen Briten stecken den Angaben der Forscher zufolge schätzungsweise noch bis zu sechs Prozent Wikinger-DNA, in dem der Schweden ungefähr zehn Prozent.
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