Artenvielfalt: "Nicht immer ist das Klima schuld"
Die Erderwärmung verändert die Erde auf vielfältige Weise. Es ist aber heikel, lokale Veränderungen bei der Artenvielfalt und in Lebensgemeinschaften direkt mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen, warnen Ökologen nun in "Nature Climate Change". Quirin Schiermeier sprach daher mit Camille Parmesan, der Hauptautorin der Studie und Biologin an der University of Texas in Austin.
Sie behaupten, dass man lokale Rückgänge bei einzelnen Tier- oder Pflanzenarten nicht direkt dem Klimawandel anlasten solle. Derartige Versuche wären irreführend. Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?
Man muss alle Aspekte berücksichtigen, die einen Bestandsrückgang auslösen können – auch den Klimawandel. Das grundsätzliche Ziel ist, Arten und Ökosysteme zu erhalten. Herauszufinden, welcher Anteil am Verschwinden einer Art auf steigende Treibhausgase zurückzuführen ist, hilft dabei nicht weiter – wenn man dies überhaupt bestimmen kann.
Selbstverständlich lassen sich verschiedene ökologische Veränderungen auf klimatische Ereignisse und sogar den Klimawandel zurückführen, vorausgesetzt es gibt entsprechende Langzeitstudien. Will man aber beobachtete Umwälzungen mit dem menschengemachten Klimawandel in Zusammenhang bringen, muss man andere Maßstäbe ansetzen und größere Regionen betrachten – etwa Nordeuropa oder die westlichen Vereinigten Staaten. Je kleiner das Gebiet ist, das man sich anschaut, desto komplizierter wird es, einzelne Ereignisse auf den anthropogenen Klimawandel zurückzuführen.
Es spielt also aus wissenschaftlicher Sicht keine Rolle, mit welchem Prozentanteil der Klimawandel exakt zum Rückgang des Schmetterlings beiträgt. Vielmehr sollte man besser den invasiven Storchenschnabel bekämpfen, die Stickoxidemissionen verringern und neue Naturschutzgebiete einrichten, um der Erderwärmung vorzugreifen. Das heißt, man platziert diese Reservate so, dass die Schmetterlinge sie nach und nach kolonisieren können, wenn sich die klimatischen Bedingungen verschieben.
Wie beeinflusst der Klimawandel Flora und Fauna?
Die Erderwärmung beeinflusst weltweit die Biodiversität. Das Frühjahr beispielsweise zieht nun im Schnitt zwei Wochen früher ein. Fast zwei Drittel aller untersuchten Arten – darunter viele Vögel, Frösche, Schmetterlinge, Bäume und Kräuter – brüten oder blühen zeitiger. Mehr als die Hälfte der Arten reagiert vor Ort. Es gibt eine Übereinstimmung im globalen Muster der mehr als 1700 Arten, die wir untersuchen, die andeutet, dass all diese Veränderungen mit einer einzelnen weltweit gültigen Ursache zusammenhängen – und viel spricht eben dafür, dass es sich dabei um den Klimawandel handelt.
Man kann also exakt sagen, dass etwa die Blüte in Nordeuropa nun zwei Wochen früher einsetzt. Wir können aber nicht sicher belegen, dass die Erderwärmung das lokale Aussterben eines Schmetterlings oder einer Pflanze ausgelöst hat oder dass die Art nach Norden abwandert?
Ja. Phänologische Signale sind eindeutiger als veränderte Verbreitungsgebiete. Pflanzen und Tiere reagieren oft auf steigende Wintertemperaturen – gleich, ob sie sich wegen der Erderwärmung oder der zunehmenden Verstädterung nach oben bewegen.
Vor Ort – etwa einem Nationalpark oder einem Naturschutzgebiet – müssen die Verantwortlichen wissen, wie sie mit einem ganzen Bündel an komplexen Faktoren umgehen; darunter die Zerstückelung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, An- oder Abwesenheit bestimmter Raubtiere und so weiter. Dazu kommt, dass die einzelnen Arten auch unterschiedlich sensibel auf den Klimawandel reagieren. Deshalb sollten wir uns auch nicht zu sehr darauf fokussieren, wie stark eine Spezies allein von diesem einen Faktor betroffen ist. Das wäre eine viel zu enge Sichtweise.
Andere Faktoren schlagen also meist viel stärker zu Buche. Wie sehr der Klimawandel die einzelnen Arten dann noch unter Druck setzen kann, hängt letztlich davon ab, wie stark sie bereits durch diese Ursachen gestresst sind.
Einige Biologen haben kürzlich das Aussterben der Goldkröte Costa Ricas – eine Ikone der dortigen Bergwälder – auf die Erderwärmung zurückgeführt. Geschah dies voreilig?
Nein, ich denke, dass diese Einschätzung in diesem Fall korrekt ist. Die Goldkröte existierte nur im kleinen Nebelwald von Monteverde in Costa Rica und erlitt drei Phasen mit gravierenden Bestandsrückgängen – jedem ging ein sehr trockenes und heißes Jahr voran. Nach dem dritten Einbruch starb die Art aus. Drei Extremjahre führten zum Aussterben – das Klima war folglich der Auslöser.
Ob diese außergewöhnliche Trockenheit jedoch wirklich durch steigende Treibhausgasemissionen ausgelöst wurde, lässt sich jedoch nur mit Blick auf die gesamte Region beantworten. Außerdem muss man sich fragen, ob derartige Dürren durch den Klimawandel wirklich häufiger werden – und wenn ja, um wie viel stärker sie ausfallen. Das klingt nach Erbsenzählerei, doch genau auf diese Unterscheidung kommt es uns an.
Verbreitungsgebiete verschieben sich ebenfalls: Der Seeigel Centrostephanus rodgersii beispielsweise wanderte aus dem sich erwärmenden Meer vor der Festlandsküste Australiens ab und besiedelte die kühleren Gewässer vor Tasmanien. Prinzipiell breiten sich viele Landpflanzen und Insekten polwärts aus oder wandern gänzlich nach Norden ab. Sind das nicht deutliche Belege für den Klimawandel?
Der Seeigel verlagert seinen Verbreitungsschwerpunkt wahrscheinlich wegen der Aufheizung des Meeres, und seine Einwanderung in neue Ökosysteme verwüstete diese. Die Art wäre jedoch vielleicht nie zur Plage geworden, wenn die Menschen nicht zuvor die Hummer an Tasmaniens Küste völlig überfischt hätten – das wissen wir nicht. Hier besteht ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und paralleler Ausbeutung eines Ökosystems.
Das Gleiche trifft auf Korallenriffe zu: Dass viele Riffe nach Hitzeschocks durch überhöhte Wassertemperaturen absterben, könnte auch damit zu tun haben, dass sie zuvor schon durch Umweltverschmutzung, Dynamitfischen, Schäden durch Taucher oder Entwicklungen an Land – Städtebau, Landwirtschaft – vorbelastet waren. Die Todesraten wären womöglich weniger bedrückend, wenn die Riffe nicht ohnehin so stark in Mitleidenschaft gezogen wären. Auch dies werden wir nie mehr herausfinden können.
Manche Menschen möchten alle beobachteten ökologischen Veränderungen bis hinter die Kommastelle genau auf einzelne Ursachen aufteilen. Das ist meiner Meinung nach verschwendete Zeit. Denn in realen Ökosystemen hängt alles mit allem zusammen. Wir können niemals exakt belegen, wie groß der Anteil des Klimawandels tatsächlich ist.
Der Weltklimarat IPCC unterstützt dagegen, dass die Folgen des Klimawandels auf die Biosphäre immer genauer analysiert werden – auch im Hinblick auf den Naturschutz. Lohnt sich das dann überhaupt?
Der IPCC existiert, weil er Wissenschaft in Antworten auf politische Fragen destilliert. Er wird aber zu oft von der Schwarz-Weiß-Sicht der Politiker auf die Welt beeinflusst. Wir müssen die Entscheidungsträger anleiten, dass es nicht immer einfache Antworten gibt, sondern dass sie an Wahrscheinlichkeiten und wechselseitige Beziehungen denken. Das gefällt ihnen nicht, aber so funktioniert eben Wissenschaft.
Bezieht sich Ihre Kritik auch auf Studien, in denen klimatische Extremereignisse wie Hitzewellen, Überflutungen oder Dauerregen auf den Klimawandel zurückgeführt werden sollen?
Nein, unsere Ansätze unterscheiden sich sehr deutlich. Wenn Klimatologen ihre Modelle so sehr verfeinern können, dass sich die Häufung bestimmter Wetterereignisse auf lokaler Ebene mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringen lässt, dann ist das fein. Wir würden davon sogar profitieren.
Biologie und Ökologie unterscheiden sich jedoch völlig von der Klimaforschung. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie komplexer sind, denn die Menschheit schadet der Biosphäre noch weit stärker als nur durch das Kohlendioxid, das sie in die Atmosphäre pumpt. Inwieweit die Erderwärmung der Tier- und Pflanzenwelt schaden kann, hängt davon ab, in welchem Maß sie durch all die anderen negativen Einflüsse schon vorgeschädigt ist.
Frau Parmesan, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Man muss alle Aspekte berücksichtigen, die einen Bestandsrückgang auslösen können – auch den Klimawandel. Das grundsätzliche Ziel ist, Arten und Ökosysteme zu erhalten. Herauszufinden, welcher Anteil am Verschwinden einer Art auf steigende Treibhausgase zurückzuführen ist, hilft dabei nicht weiter – wenn man dies überhaupt bestimmen kann.
Selbstverständlich lassen sich verschiedene ökologische Veränderungen auf klimatische Ereignisse und sogar den Klimawandel zurückführen, vorausgesetzt es gibt entsprechende Langzeitstudien. Will man aber beobachtete Umwälzungen mit dem menschengemachten Klimawandel in Zusammenhang bringen, muss man andere Maßstäbe ansetzen und größere Regionen betrachten – etwa Nordeuropa oder die westlichen Vereinigten Staaten. Je kleiner das Gebiet ist, das man sich anschaut, desto komplizierter wird es, einzelne Ereignisse auf den anthropogenen Klimawandel zurückzuführen.
Wir wissen zum Beispiel, dass die Erderwärmung ein wichtiger Faktor für den gefährdeten Quino-Scheckenfalter (Euphydryas edithaquino) Südkaliforniens ist: Wird sein Lebensraum trockener und wärmer, verhungern die Tiere häufiger, und die Art stirbt lokal leichter aus. Viele Teilpopulationen stehen aber auch unter Druck, weil eine eingeschleppte Pflanzenart – ein Storchenschnabel – aus dem europäischen Mittelmeerraum die Wirtspflanze der Schmetterlingsraupen verdrängt. Die Luftverschmutzung im Raum Los Angeles und San Diego trägt ebenfalls ihren Teil bei, denn die freigesetzten Stickstoffe fördern die Invasion des Storchenschnabels.
Es spielt also aus wissenschaftlicher Sicht keine Rolle, mit welchem Prozentanteil der Klimawandel exakt zum Rückgang des Schmetterlings beiträgt. Vielmehr sollte man besser den invasiven Storchenschnabel bekämpfen, die Stickoxidemissionen verringern und neue Naturschutzgebiete einrichten, um der Erderwärmung vorzugreifen. Das heißt, man platziert diese Reservate so, dass die Schmetterlinge sie nach und nach kolonisieren können, wenn sich die klimatischen Bedingungen verschieben.
Wie beeinflusst der Klimawandel Flora und Fauna?
Die Erderwärmung beeinflusst weltweit die Biodiversität. Das Frühjahr beispielsweise zieht nun im Schnitt zwei Wochen früher ein. Fast zwei Drittel aller untersuchten Arten – darunter viele Vögel, Frösche, Schmetterlinge, Bäume und Kräuter – brüten oder blühen zeitiger. Mehr als die Hälfte der Arten reagiert vor Ort. Es gibt eine Übereinstimmung im globalen Muster der mehr als 1700 Arten, die wir untersuchen, die andeutet, dass all diese Veränderungen mit einer einzelnen weltweit gültigen Ursache zusammenhängen – und viel spricht eben dafür, dass es sich dabei um den Klimawandel handelt.
Man kann also exakt sagen, dass etwa die Blüte in Nordeuropa nun zwei Wochen früher einsetzt. Wir können aber nicht sicher belegen, dass die Erderwärmung das lokale Aussterben eines Schmetterlings oder einer Pflanze ausgelöst hat oder dass die Art nach Norden abwandert?
Ja. Phänologische Signale sind eindeutiger als veränderte Verbreitungsgebiete. Pflanzen und Tiere reagieren oft auf steigende Wintertemperaturen – gleich, ob sie sich wegen der Erderwärmung oder der zunehmenden Verstädterung nach oben bewegen.
Vor Ort – etwa einem Nationalpark oder einem Naturschutzgebiet – müssen die Verantwortlichen wissen, wie sie mit einem ganzen Bündel an komplexen Faktoren umgehen; darunter die Zerstückelung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, An- oder Abwesenheit bestimmter Raubtiere und so weiter. Dazu kommt, dass die einzelnen Arten auch unterschiedlich sensibel auf den Klimawandel reagieren. Deshalb sollten wir uns auch nicht zu sehr darauf fokussieren, wie stark eine Spezies allein von diesem einen Faktor betroffen ist. Das wäre eine viel zu enge Sichtweise.
Andere Faktoren schlagen also meist viel stärker zu Buche. Wie sehr der Klimawandel die einzelnen Arten dann noch unter Druck setzen kann, hängt letztlich davon ab, wie stark sie bereits durch diese Ursachen gestresst sind.
Einige Biologen haben kürzlich das Aussterben der Goldkröte Costa Ricas – eine Ikone der dortigen Bergwälder – auf die Erderwärmung zurückgeführt. Geschah dies voreilig?
Nein, ich denke, dass diese Einschätzung in diesem Fall korrekt ist. Die Goldkröte existierte nur im kleinen Nebelwald von Monteverde in Costa Rica und erlitt drei Phasen mit gravierenden Bestandsrückgängen – jedem ging ein sehr trockenes und heißes Jahr voran. Nach dem dritten Einbruch starb die Art aus. Drei Extremjahre führten zum Aussterben – das Klima war folglich der Auslöser.
Ob diese außergewöhnliche Trockenheit jedoch wirklich durch steigende Treibhausgasemissionen ausgelöst wurde, lässt sich jedoch nur mit Blick auf die gesamte Region beantworten. Außerdem muss man sich fragen, ob derartige Dürren durch den Klimawandel wirklich häufiger werden – und wenn ja, um wie viel stärker sie ausfallen. Das klingt nach Erbsenzählerei, doch genau auf diese Unterscheidung kommt es uns an.
Verbreitungsgebiete verschieben sich ebenfalls: Der Seeigel Centrostephanus rodgersii beispielsweise wanderte aus dem sich erwärmenden Meer vor der Festlandsküste Australiens ab und besiedelte die kühleren Gewässer vor Tasmanien. Prinzipiell breiten sich viele Landpflanzen und Insekten polwärts aus oder wandern gänzlich nach Norden ab. Sind das nicht deutliche Belege für den Klimawandel?
Der Seeigel verlagert seinen Verbreitungsschwerpunkt wahrscheinlich wegen der Aufheizung des Meeres, und seine Einwanderung in neue Ökosysteme verwüstete diese. Die Art wäre jedoch vielleicht nie zur Plage geworden, wenn die Menschen nicht zuvor die Hummer an Tasmaniens Küste völlig überfischt hätten – das wissen wir nicht. Hier besteht ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und paralleler Ausbeutung eines Ökosystems.
Das Gleiche trifft auf Korallenriffe zu: Dass viele Riffe nach Hitzeschocks durch überhöhte Wassertemperaturen absterben, könnte auch damit zu tun haben, dass sie zuvor schon durch Umweltverschmutzung, Dynamitfischen, Schäden durch Taucher oder Entwicklungen an Land – Städtebau, Landwirtschaft – vorbelastet waren. Die Todesraten wären womöglich weniger bedrückend, wenn die Riffe nicht ohnehin so stark in Mitleidenschaft gezogen wären. Auch dies werden wir nie mehr herausfinden können.
Manche Menschen möchten alle beobachteten ökologischen Veränderungen bis hinter die Kommastelle genau auf einzelne Ursachen aufteilen. Das ist meiner Meinung nach verschwendete Zeit. Denn in realen Ökosystemen hängt alles mit allem zusammen. Wir können niemals exakt belegen, wie groß der Anteil des Klimawandels tatsächlich ist.
Der Weltklimarat IPCC unterstützt dagegen, dass die Folgen des Klimawandels auf die Biosphäre immer genauer analysiert werden – auch im Hinblick auf den Naturschutz. Lohnt sich das dann überhaupt?
Der IPCC existiert, weil er Wissenschaft in Antworten auf politische Fragen destilliert. Er wird aber zu oft von der Schwarz-Weiß-Sicht der Politiker auf die Welt beeinflusst. Wir müssen die Entscheidungsträger anleiten, dass es nicht immer einfache Antworten gibt, sondern dass sie an Wahrscheinlichkeiten und wechselseitige Beziehungen denken. Das gefällt ihnen nicht, aber so funktioniert eben Wissenschaft.
Bezieht sich Ihre Kritik auch auf Studien, in denen klimatische Extremereignisse wie Hitzewellen, Überflutungen oder Dauerregen auf den Klimawandel zurückgeführt werden sollen?
Nein, unsere Ansätze unterscheiden sich sehr deutlich. Wenn Klimatologen ihre Modelle so sehr verfeinern können, dass sich die Häufung bestimmter Wetterereignisse auf lokaler Ebene mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringen lässt, dann ist das fein. Wir würden davon sogar profitieren.
Biologie und Ökologie unterscheiden sich jedoch völlig von der Klimaforschung. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie komplexer sind, denn die Menschheit schadet der Biosphäre noch weit stärker als nur durch das Kohlendioxid, das sie in die Atmosphäre pumpt. Inwieweit die Erderwärmung der Tier- und Pflanzenwelt schaden kann, hängt davon ab, in welchem Maß sie durch all die anderen negativen Einflüsse schon vorgeschädigt ist.
Frau Parmesan, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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