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Chemische Verfahren: Nicht in Salz gegossen

Bizarr, diese Flüssigkeit, die nie verdampft und beim Mischen von zwei Feststoffen entstehen kann. Die ein extrem stabiles, flexibles Industrie-Lösungsmittel ist; und bei Bedarf nicht nur magnetisch oder elektrisch leitfähig, sondern auch noch umwelt- und ressourcenschonend. Klingt nach etwas viel auf einmal? Tatsächlich stellt sich eine der versprochenen Eigenschaften nun als übertrieben heraus. Zum Nachteil der "ionischen Flüssigkeiten"?
Nomen est Omen, auch bei den "ionischen Flüssigkeiten", einem der Hoffnungsträger auf der steten Suche nach chemisch-industrieller Produktionsinnovation. Es handelt sich bei ihnen auf den ersten Blick schlicht um ein Gemisch aus Ionen – unterschiedlich geladenen Atomen oder Molekülen –, die augenscheinlich in einem flüssigen Aggregatzustand herumsuppen. Hobbychemiker mit verschütteten Grundwissenresten macht diese Eigenschafts-Kombination auf den zweiten Blick allerdings irgendwie nervös. Sollten sich positiv und negativ geladene Teilchen nicht, wie in einem Salzkristall, unbewegt in eine optimale Nischenanordnung gegenseitiger Abstoßung und Anziehung fügen – also fest werden? Flüssigkeitstypisch bewegt zwischen elektrostatisch anziehenden und abstoßenden Bindungspartnern umherzuirren – ist das für so deutlich geladene Teilchen wie Ionen nicht energetisch unmöglich?

Offensichtlich nicht: ionische Flüssigkeiten sind nichts anderes als ein Salz, nur ein flüssiges. Während Kochsalzkristalle aber eben wirklich erst bei extremer Energiezufuhr – dem Erhitzen auf über 800 Grad Celsius – intern beweglich, also flüssig werden, gelingt das bei den Ionischen Flüssigkeiten wegen der strukturellen und chemischen Eigenheiten des Ionen-Gemisches schon bei unter 100 Grad Celsius. Und damit werden die Salzflüssigkeiten zu einem Gebräu mit unschlagbarer Merkmalskombination: mitunter magnetisch, leitfähig, extrem stabil, verschiedenste Stoffe lösend.

Das rückt ionische Flüssigkeiten in den Brennpunkt nachhaltiger, grüner Chemie. Hier wird versucht – und nicht zu Unrecht gefordert – die großindustriell in Massen verbrauchten organischen Lösungsmittel mit weniger giftigen, weil weniger flüchtigen und deutlich sparsamer einsetzbaren Alternativen zu ersetzen. Mit Ionischen Flüssigkeiten kann dies gelingen: Schon die heute verfügbaren Sorten nehmen polare und weniger polare Stoffe auf; und im Prinzip steht auch der gezielt auf einen gewünschten Löslichkeitseffekt zugeschnittenen Produktion unzähliger neuer Varianten Ionischer Flüssigkeiten nichts im Weg. Diese sollten dann leicht zu recyceln sein. Selbst verflüchtigen sich die Lösungsmittel-Innovation nicht, wodurch ein schädlicher Einfluss auf Gesundheit und Umwelt verringert wird.

Die neuen Ergebnisse von Martyn Earle von der Queen's-Universität in Belfast und seinen Kollegen gießen nun allerdings ein wenig Essig in den Wein der ionisch-flüssigen Zukunftsverheißung. Nach den Erkenntnissen der Forscher ist es nämlich mit einer der Kernkompetenzen Ionischer Flüssigkeiten, der Unverdampfbarkeit, gar nicht so weit her.

Die Wissenschaftler beschäftigten sich mit typischen ionischen Flüssigkeiten, die ebenso typische chemische Monsternamen tragen – etwa dem Insidern wohlbekannten, als extrem thermostabil geltenden 1-Hexyl-3-methylimidazolium-Bis(trifluoromethansulfonyl)amid. Trotz seines etwas sperrigen Namens ist es auch nur ein profanes Salz aus einem organischen, stickstoffhaltigen heterozyklischen Kation und einem Trifluormethansulfonat-Anion, nur eben flüssig. Und, wie die Forscher zeigten, als sie es auf nur 170 Grad Celsius bei sehr niedrigem Druck von 0,07 Millibar in einem Kugelrohr-Ofen erhitzten, eben manchmal auch gasförmig – obwohl es als ionische Flüssigkeit doch gar nicht verdampfen sollte. Mit ähnlichen Substanzen erzielten die Forscher reproduzierbar ähnliche Verdampfungsergebnisse.

Was geschieht hier? Wohl gar nichts wirklich Außergewöhnliches, so die Forscher – offenbar hatte nur bislang niemand ausreichend genau untersucht, was beim Erhitzen der ionischen Flüssigkeiten bei unterschiedlichen Bedingungen eigentlich geschehen kann.

Klar war auch schon vorher nur gewesen, dass hohe Temperaturen die Anionen und Kationen der ionischen Flüssigkeit verändern können, wobei dann durch Protonenübergaben oder Alkylierungen zwischen den Salzbausteinen neue, ungeladene Moleküle entstehen – und damit ein Gemisch mit neuen physikalischen Eigenschaften, etwa einem niedrigeren Dampfdruck. Verdampft dies dann, ist allerdings nicht die ursprüngliche Ionische Flüssigkeit gasförmig, sondern allein das durchs Hochkochen entstandene, neue Produkt. Bei Earle und Co aber blieben die Ionen der Flüssigkeit identisch mit den Ionen in Gasphase – die Ionische Flüssigkeit wurde also flugs zum Ionischen Gas.

Je nachdem, ob die Chemiker weltweit Gläser eher halb voll oder halb leer sehen, finden sie dieses Resultat von Earle und Co nun ziemlich doof oder richtig klasse. Für beide Sichtweisen fehlt es nicht an Argumenten: Zum einen sind ionische Flüssigkeiten ja gerade wegen ihrer totalen Unverdampfbarkeit als Lösungsmittel der Zukunft gefeiert worden – das fällt nun flach.

Auf ein besonders spannendes Ergebnis weist aber etwa Peter Wasserscheid von der Universität Erlangen-Nürnberg hin: Earles Team gelang es unter anderem auch, ein Gemisch zweier ionischer Flüssigkeiten durch Destillation zu trennen. Das erhöht die Flexibilität der Salzflüssigkeiten enorm, denn somit kann ein Gemisch aus ionischem Lösungsmittel und einer damit aufgenommenen, schwerlöslichen Substanz durchaus altbewährt destillatorisch separiert werden – vorausgesetzt, man wählt die richtigen Reaktionsbedingungen.

Und was wird nun aus der Hoffnung nachhaltiger, grüner Lösungsmittelchemie? Letztlich ändern die neuen Untersuchungen da nicht viel: der bislang unterschätzte Dampfdruck ionischer Flüssigkeiten unterliegt eben auch nur physikalischen Gesetzen, und wird durch die chemischen Eigenheiten des Anionen-Kationen-Gemisches bestimmt. Unter Normalbedingungen aber bleiben die ionischen Flüssigkeiten zuverlässig flüssig und somit weiträumig einsetzbar. Das wahre Problem der womöglich nachhaltigen Chemiealternative bleibt das alte, auch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nur schwer zu lösende: Ionische Flüssigkeiten unterliegen nicht nur physikalischen, sondern auch ökonomischen Gesetzen – und sind im Regelfall als Alternative schlicht viel zu teuer für einen großindustriellen Einsatz.

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