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Radioastronomie: »Wir hören praktisch ein Flüstern«

Pulsare enthüllen das Gravitationswellen-Hintergrundrauschen des Kosmos. Im Interview erklärt der Radioastronom Michael Kramer, wie das funktioniert – und was er damit finden will.
Konzentrischer Wellenzug, der aus Punkten aufgebaut ist.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Kollision von extrem massereichen Schwarzen Löchern niederfrequente Gravitationswellen erzeugt, die eine Art Hintergrundrauschen im Universum darstellen.

Wenn sich superschwere Schwarze Löcher umkreisen, erzittert die Raumzeit. Niederfrequente Gravitationswellen durchdringen das Universum. Es ist ein unhörbares Brummen im Nanohertzbereich. So besagt es die gängige Theorie. Jetzt sind Forschungsgruppen aus Europa, Nordamerika, Australien, China und Indien dem Nachweis einen großen Schritt näher gekommen und haben am 29. Juni ihre Ergebnisse veröffentlicht. Zu ihnen gehört Michael Kramer. Der Professor für Astrophysik ist einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn. Im Interview erzählt er von verschmelzenden Galaxien und dem Aufbäumen der Raumzeit.

»Spektrum.de«: Herr Kramer, Sie suchen nach niederfrequenten Gravitationswellen. Heißt das, es gibt auch bei Gravitationswellen ein Spektrum, wie wir es von elektromagnetischen Wellen kennen?

Michael Kramer: Ganz korrekt. Genauso wie das elektromagnetische Spektrum erstreckt sich auch das Spektrum der Gravitationswellen über sehr viele Größenordnungen. Und jede Quelle erzeugt Gravitationswellen mit charakteristischen Frequenzen. Da haben wir zum Beispiel den Bereich zwischen mehreren hundert bis einigen tausend Hertz, die man momentan mit den bodengebundenen Detektoren wie LIGO in den USA, KAGRA in Japan oder Virgo in Italien messen kann. Diese Wellen zeugen im Wesentlichen vom letzten Moment sterngroßer Objekte, die miteinander verschmelzen. Kleinere Schwarze Löcher mit mehreren zehn Sonnenmassen zum Beispiel. Oder Neutronensterne mit bis zu zwei Sonnenmassen. Die Gravitationswellen sind hier das letzte Aufbäumen der Raumzeit im Augenblick der Verschmelzung. Und weil die Massen relativ klein sind, passiert das sehr schnell. Deshalb sehen wir diese Ereignisse in einem sehr hochfrequenten Bereich. Wir erwarten aber auch Quellen mit Frequenzen im Milli- oder Mikrohertzbereich. Wir glauben, dass diese ausgesendet werden, wenn sich zum Beispiel Weiße Zwerge gegenseitig umkreisen oder wenn kleinere Sterne in Schwarze Löcher hineinstürzen. Solche Signale sind auf der Erdoberfläche nicht nachzuweisen, da die seismischen Bewegungen unseres Planeten die Messungen stören. Deshalb muss man dafür in den Weltraum gehen. Das ist das Hauptziel des Weltrauminterferometers LISA, das nach 2035 starten soll. Mit unserer Methode untersuchen wir Gravitationswellen mit Frequenzen im Nanohertzbereich, also milliardstel Hertz. Und am untersten Ende des Gravitationswellenspektrums, im Attohertzbereich, erwarten wir zum Beispiel die Gravitationswellen, die noch vom Urknall herrühren. Dafür gibt es noch keinen direkten Detektor, aber man kann nach Signaturen in der kosmischen Hintergrundstrahlung suchen.

Und von welchen Quellen gehen die Gravitationswellen aus, nach denen Sie suchen?

Unsere Messmethode ist besonders für die Gravitationswellen extrem massereicher Schwarzer Löcher empfindlich. Solche mit mehreren Milliarden Sonnenmassen. Das sind die größten Schwarzen Löcher, die wir im Universum kennen. Und wir erwarten mindestens eines davon im Zentrum einer jeden Galaxie. Wir glauben, dass die heutigen Galaxien dadurch entstanden sind, dass kleinere Galaxien sich zu größeren verschmolzen haben. Diese wiederum zu noch größeren. Und so fort. Jedes Mal, wenn zwei Galaxien miteinander verschmelzen, dann bilden die beiden Schwarzen Löcher im Zentrum ein Paar. Sie umkreisen einander. Zumindest für eine gewisse Zeit. Wann immer aber sich zwei Schwarze Löcher umkreisen, senden sie Gravitationswellen aus. Da wir davon ausgehen, dass dies der Standardprozess bei der Entstehung von Galaxien ist, sollten diese Vorgänge sehr häufig im Universum auftreten. Deshalb erwarten wir, dass sich die Gravitationswellen all dieser Ereignisse überlagern und sich sogar jetzt noch durch das Universum ausbreiten.

Michael Kramer | Der Radioastronom ist Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und Professor für Astronomie.

Und wie spüren Sie diese auf?

Dazu nutzen wir Pulsare. Das sind sehr schnell rotierende Überreste massereicher Sterne, die hauptsächlich aus Neutronen bestehen. Sie erzeugen eine intensive Radiostrahlung, die sie wie ein Leuchtturm in sehr regelmäßigen Abständen mit der Präzision von Atomuhren ins Universum senden. Die Radiowellen können wir mit unseren Teleskopen als Pulse messen. Wandert nun eine Gravitationswelle durch den Strahl eines Pulsars, verändert sich die Raumzeit. Und damit variiert auch die Laufzeit des Signals vom Pulsar bis zur Erde. Wie sehr, hängt unter anderem davon ab, wo der Pulsar relativ zur Gravitationswelle steht. Und durch das Vergleichen von zwei oder mehr Pulsaren können wir im Prinzip den Ort der Quelle herausfinden. Das Ganze nennen wir dann Pulsar Timing Array, wobei sich dieses Array eben auf das Netzwerk von Pulsaren bezieht. In Europa schauen wir uns 25 Pulsare an. Alle paar Tage messen wir mit den fünf Radioteleskopen und vergleichen die Ankunftszeiten miteinander.

Sie haben bereits Virgo angesprochen. Und LIGO, das Experiment, das im Jahr 2016 als Erstes die erdgebundene Messung von Gravitationswellen bekannt gegeben hat. In Ihrer Veröffentlichung sind Sie hingegen vorsichtiger. Warum sprechen Sie nicht direkt von einer Detektion?

Wir wollen eine bestimmte Signalstärke sehen, um ein Ergebnis zweifelsfrei als Gravitationswelle zu bezeichnen. Das LIGO-Team detektiert ein Signal in einem Bruchteil einer Sekunde. Und bei der ersten Detektion war das eben ein sehr starkes Signal. Man konnte den Ausschlag des Detektors mit bloßem Auge sehen. Im großen Unterschied dazu baut sich das Signal bei uns langsam auf. Wir sehen noch keine einzelne Quelle. Was wir momentan erkennen, ist vermutlich die Überlagerung von sehr vielen verschiedenen Quellen, die gleichzeitig Gravitationswellen aussenden. Wir hören praktisch ein Flüstern. Mit der Verbesserung unserer Empfindlichkeit hoffen wir, aus dem Flüstern verschiedene Stimmen herauszuhören und damit letztlich auch die einzelnen Quellen zu sehen. Da dieses Signal andauernd vorhanden ist, können wir es dadurch verstärken, dass wir einfach länger zuhören. Die Eigenschaften unserer Messwerte sind bis jetzt genau so, wie wir es von einem Gravitationswellensignal erwarten würden. Es baut sich langsam auf, und es gibt ein Korrelationsmuster am Himmel. Hinzu kommt, dass sich unsere Publikationen mit denen der Kollegen im Rest der Welt decken. Sie sehen genau das Gleiche. In unabhängigen Datensätzen. Unabhängig ausgewertet. Die Überzeugung ist also sehr groß, dass wir Gravitationswellen sehen. Allerdings gibt es genügend Beispiele aus der Vergangenheit, wo sich eine bekannt gegebene Detektion im Nachhinein als etwas ganz anderes herausstellte. Ich glaube, wir haben unsere Lektion gelernt, und wir wollen sehr vorsichtig formulieren, was wir sehen. Deshalb scheuen wir noch davor zurück, es eine Detektion zu nennen. Aber wir denken, dass die Resultate so aufregend sind, dass wir damit nicht länger hinter dem Berg halten können.

Es gibt ja weltweit einige Teams, die Pulsar Timing Array nutzen. Was macht die europäische Kollaboration so besonders?

Unser Datensatz in Europa ist mit fast 25 Jahren nicht nur der längste, der jetzt veröffentlicht wurde. Er ist auch der dichteste Datensatz, wenn es darum geht, wie oft wir uns einen Pulsar angeschaut haben. Unsere Kollaboration zur Detektion von Gravitationswellen, das European Pulsar Timing Array (EPTA), besteht formal seit dem Jahr 2006. Wir arbeiten aber tatsächlich bereits seit Mitte der 1990er Jahre sehr erfolgreich zusammen. Die ersten Experimente, deren Daten jetzt auch in unserer Veröffentlichung enthalten sind, haben wir 1995 gemacht. Damals war ich in Effelsberg noch Doktorand. Die Messdaten der fünf über Europa verteilten Radioteleskope kombinieren wir miteinander. Dadurch können wir herausfinden, ob vielleicht ein Instrument in einem Teleskop falsch eingestellt ist oder ob eine Uhr falschlag. Das gibt uns eine größere Redundanz und die Möglichkeit, systematische Fehler zu finden und auszumerzen. Andere Pulsar-Timing-Array-Kollaborationen haben das nicht. In Australien gibt es nur das Parkes-Teleskop, das als Einziges an den Messungen beteiligt ist. In China wird das Teleskop FAST genutzt. Und in Nordamerika gab es früher neben dem Green-Bank-Observatorium zwar noch das Arecibo-Teleskop, aber das ist ja vor ein paar Jahren kollabiert.

Sie haben in Europa nicht nur fünf Teleskope zur Verfügung, Sie können diese auch zusammenschalten.

Das ist richtig. Vor einigen Jahren habe ich einen ERC-Grant für ein Projekt eingeworben, bei dem wir zum ersten Mal die fünf Teleskope in Europa zu einem 200 Meter großen Teleskop zusammengeschaltet haben. Wir nannten es das Large European Array for Pulsars. Wir stellten damals Doktoranden und Postdocs ein und schickten sie zu den verschiedenen Teleskopen in Europa. Auf diese Weise haben wir mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort eine gemeinsame Infrastruktur aufgebaut. Durch das Zusammenschalten erhöhen wir die Empfindlichkeit enorm. Und diese superempfindlichen Daten sind jetzt das Rückgrat des europäischen Datensatzes. Der Grant ist zwar schon seit 2015 beendet, aber die Zusammenarbeit und die Vorteile dieser Methode haben sich so bewährt, dass wir dieses Experiment tatsächlich bis heute fortsetzen. Einmal im Monat schalten wir nach wie vor die Teleskope zusammen.

»Gravitationswellen können uns mehr darüber verraten, wie das Universum aussieht und wie es funktioniert«

Wie wird es jetzt mit Ihren Experimenten weitergehen?

Wir haben eine sehr enge, sehr unterstützende Zusammenarbeit in Europa. Und wir hoffen, eine solche Kooperation auch über die gesamte Welt hinzubekommen. Im nächsten Schritt wollen wir die Daten aller Kollaborationen gemeinsam auswerten. Da freuen wir uns schon drauf. Und ich glaube, wir können gerade mit der Kombination von verschiedenen Daten über den Himmel hinweg auch jene Sicherheit erreichen, die wir brauchen, um es eine Detektion zu nennen. Zudem fiebern wir der Fertigstellung einiger neuer Teleskope entgegen. Dem Square Kilometre Array (SKA) in Südafrika zum Beispiel. Mit dem werden wir dann so viel Empfindlichkeit haben, dass wir Gravitationswellen nicht nur detektieren, sondern mit ihnen auch Physik betreiben können.

Und was genau erhoffen Sie sich, von Gravitationswellen zu lernen?

Gravitationswellen sind eine neue Informationsquelle. Sie können uns mehr darüber verraten, wie das Universum aussieht und wie es funktioniert. Anders als die meisten elektromagnetischen Wellen haben Gravitationswellen die Eigenschaft, durch alles hindurchzugehen. Deshalb hat man mit ihnen die Möglichkeit, an Informationen zu kommen, die uns sonst nicht erreichen würden. Aber wirklich Physik können wir erst betreiben, wenn wir das Gravitationswellenereignis gleichzeitig mit elektromagnetischen Teleskopen nachverfolgen. Entdeckt man zum Beispiel mit einem Gravitationswellendetektor das Verschmelzen zweier Neutronensterne, dann müssen wir mit Teleskopen in allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums hinschauen. Nur so können wir auch die anderen Aspekte des Verschmelzens untersuchen – die Explosion zum Beispiel. Oder das Entstehen neuer Elemente. Wir können uns ebenso anschauen, wie Schwarze Löcher verschmelzen. Welche dynamischen Prozesse da herrschen. Welche Rolle Reibungsverluste von Gas und Sterneninteraktion spielen. Für mich am spannendsten ist aber, dass wir dann den Bogen zu den Kollegen schlagen können, die sich mit der Evolution und Entwicklung von Galaxien beschäftigen. Denen könnten unsere Daten dann wichtige Hinweise liefern. Wir als Pulsarforscher würden also ein komplett anderes Forschungsfeld bereichern. Und das finde ich faszinierend.

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