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Tabak- und Nikotinkonsum: Nikotinbeutel alarmieren Suchtexperten

Mit rauchfreien Produkten wie E-Zigaretten wollen Tabakkonzerne ihr Geschäftsmodell in die Zukunft retten. Im Trend: Nikotinbeutel, die man sich in den Mund schiebt und die mitunter extrem hohe Dosen des Nervengifts enthalten.
Eine Person schiebt sich einen Nikotinbeutel in den Mund. Die Person trägt ein blaues Oberteil. Der Fokus liegt auf den Händen, das Gesicht ist nur teilweise sichtbar.
Nikotinkissen für den oralen Gebrauch lassen sich recht unauffällig konsumieren. Anders als bei Zigaretten entstehen keine penetranten Rauchgerüche, die sofort bemerkt werden – etwa von schulischen Aufsichtspersonen oder Eltern. Das macht diese Produkte für Jugendliche attraktiv. Die Hersteller wissen das natürlich und richten ihre Werbebotschaften gezielt an junge Menschen.

Nur unter einer Bedingung trat Schweden der Europäischen Union 1995 bei: Der »Snus« musste erlaubt bleiben. Das Tabakprodukt für den oralen Gebrauch ist in Skandinavien sehr beliebt. Sein gewerblicher Vertrieb ist in Schweden bis heute per Sonderrecht gestattet, in allen anderen EU-Mitgliedsstaaten aber verboten.

Snus – ausgesprochen mit »ü« – hat in dem skandinavischen Land eine lange Tradition. Schnupftabak galt dort seit der Französischen Revolution als verpönt: Er war zuvor in aristokratischen Kreisen beliebt gewesen, aber ein Luxusprodukt und somit Ausweis gehobener Stellung, was nach der Revolution nicht mehr zeitgemäß erschien. Zudem bemühte sich der schwedische Staat bereits ab dem 17. Jahrhundert darum, das Rauchen einzuschränken. Dies förderte die Suche nach alternativen Tabakprodukten. Wahrscheinlich kamen erstmals Bauern auf die Idee, Tabakblätter aus eigenem Anbau zu mahlen, anschließend mit Wasser, Salz, Pottasche und Beeren oder Blüten zu mischen und das entstehende feuchte Pulver zwischen Oberlippe und Zahnfleisch zu legen. Der Erste, der entsprechende Mixturen industriell herstellte und in Beuteln vertrieb, soll 1822 der Tabakfabrikant Jacob Fredrik Ljunglöf gewesen sein. Er gilt als Erfinder des Snus. Seine vor mehr als 200 Jahren etablierte Marke Ettan (schwedisch für »Nummer eins«) gehört heute zu Swedish Match, einem Unternehmen im Besitz des Konzerns Philip Morris International.

Snus enthält zahlreiche Krebs erregende Stoffe, ist gesundheitsschädlich, für Jugendliche attraktiv, erleichtert den Einstieg in den Tabakkonsum und besitzt ein hohes Suchtpotenzial. Das hat zu seinem Verkaufsverbot in nahezu der gesamten EU geführt. Nun aber sind ähnliche Produkte auch außerhalb Schwedens auf dem Vormarsch – dank des Erfindergeists der Tabakhersteller. An Stelle der verbotenen Tabakbeutel bringen sie seit einigen Jahren tabakfreien Snus auf den Markt, bezeichnet als Nikotinbeutel, Nikotinkissen, White Snus oder »pouches« (vom englischen Wort für »Täschchen«). Weil das Original in Schweden so beliebt sei, gebe es auch anderswo eine Nachfrage danach, behaupten die Hersteller. Kritiker halten ihnen vor, mit diesen Produkten vor allem die strikter werdende Tabakregulierung umgehen zu wollen. Fest steht: Die Erzeugnisse stellen Verbraucherschutzbehörden vor ungekannte Herausforderungen, während Unternehmen und Suchtexperten darüber streiten, ob die Nikotinbeutel zur Rauchentwöhnung beitragen oder, im Gegenteil, Generationen neuer Raucher hervorbringen.

Unklare rechtliche Bewertung

Knifflig scheint bereits die Frage, was genau Nikotinbeutel eigentlich sind. Als tabakfreie Produkte fallen sie in den meisten Ländern nicht unter das Tabakrecht, weshalb entsprechende Werbeverbote und Altersgrenzen nicht greifen. In Deutschland haben sich die Kontrollbehörden darauf verständigt, die Beutel als »neuartige Lebensmittel« einzustufen und sie damit de facto zu verbieten. Denn in der EU müssen neuartige Lebensmittel auf Sicherheit geprüft und zugelassen werden. Algenöl, Pilzauszüge und Mehlwürmer haben das erreicht, Nikotinbeutel hätten auf Grund ihrer gesundheitsschädlichen Nikotindosis allerdings keine Chance.

Mehrere Gerichte bestätigen diese Rechtsauffassung. Unter Juristen bleibt sie dennoch umstritten, Hersteller bezeichnen die Entscheidung als falsch. »Nach unserer Auffassung handelt es sich keinesfalls um Lebensmittel, da sie aus Verbrauchersicht nicht zum Verzehr bestimmt sind«, argumentiert Jan Mücke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE). Ob der deutsche Weg auf Dauer gangbar ist, scheint ungewiss, denn auch die Europäische Kommission legt das EU-Recht anders aus: »Nikotinkissen werden nicht als Lebensmittel eingestuft. Sie entsprechen nicht der Definition von Lebensmitteln«, teilte eine Kommissionssprecherin auf Anfrage mit.

Wie Nikotin im Körper wirkt

Nikotin ist ein pflanzliches Alkaloid. Tabakpflanzen und andere Nachtschattengewächse bilden es und wehren damit Fressfeinde ab. Es wirkt als Nervengift, das in den Neurotransmitterhaushalt eingreift. Nikotin ist der zentrale Wirkstoff von Zigaretten und E-Zigaretten und gehört somit zu den verbreiteten Volksdrogen.

Das Alkaloid koppelt im Körper unter anderem an Rezeptormoleküle im Gehirn sowie auf Ganglien (Knoten) des vegetativen Nervensystems. Relativ geringe Mengen, wie sie etwa beim Rauchen aufgenommen werden, wirken anregend; große Mengen lösen Lähmungserscheinungen aus. Sehr hohe Dosen wirken tödlich – ab welcher Menge, dazu finden sich unterschiedliche Angaben. Einigen Quellen zufolge führt bereits das Verschlucken von 50 Milligramm mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod, das entspräche dem Gehalt von vier bis fünf Zigaretten. Andere Quellen gehen von einer etwa zehnfach höheren letalen Dosis aus.

Nikotin aktiviert das sympathische Nervensystem, was den Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Kurzfristig steigen der Blutdruck und die Herzfrequenz, Wachheit und Lernfähigkeit nehmen zu, der Appetit geht zurück und die Darmaktivität erhöht sich, die Urinproduktion wird gehemmt und die Blutgerinnung gefördert, Angst- und Stressempfindungen lassen nach. Langfristig hat Nikotin ein hohes Suchtpotenzial, da es im Belohnungszentrum des Gehirns die Freisetzung verschiedener Neurotransmitter (Botenstoffe des Nervensystems) triggert – allen voran Dopamin, Gamma-Aminobuttersäure und Glutamat. Bei lang anhaltendem Konsum gewöhnt sich der Organismus an die Wirkung, indem er mehr Nikotinrezeptoren herstellt. Es sind dann höhere Mengen des Stoffs erforderlich, um eine spürbare Wirkung zu erzielen.

2022 analysierten US-Gesundheitswissenschaftler die Situation in 67 Ländern. Sie fanden die »pouches« rechtlich mal als Tabakerzeugnis, in anderen Fällen als Nikotinprodukte, Medikamente oder Giftstoffe eingeordnet – und mancherorts fielen diese Erzeugnisse in überhaupt keine Kategorie. So ist es beispielsweise in Österreich, das den deutschen Weg ablehnt. Das Sozialministerium in Wien begründet das mit einem Grundsatz des EU-Rechts: Lebensmittel sind darin als »sichere und bekömmliche« Waren und als Beitrag zur Gesundheit beschrieben, was sich auf Beutel voller Nervengift nur schwerlich anwenden lässt.

Schrankenlose Werbung

Was zunächst wie eine strengere Haltung anmutet, führt zum Gegenteil: Anders als in Deutschland sind Nikotinbeutel in Österreich legal im Handel. Da sie weder als Tabakprodukt noch als Lebensmittel klassifiziert sind, fallen sie unter kein Gesetz. Regulierungspläne dazu liegen seit mehr als zwei Jahren politisch auf Eis, weshalb es bis heute keine Vorgaben für Inhaltsstoffe oder Verpackungsdesign gibt, ja noch nicht einmal eine gesetzliche Regelung, die eine Höchstgrenze für das enthaltene Nikotin definiert. Zwar verbieten die für den Jugendschutz verantwortlichen Bundesländer nach und nach einen Verkauf an Minderjährige. Der Effekt bleibt jedoch zweifelhaft, schließlich unterliegt die einschlägige Werbung keinen Schranken.

Eine offene schwarze Dose mit mehreren weißen Beuteln, die Nikotin enthalten, auf einer dunklen Oberfläche. Die Beutel sind ordentlich gestapelt und die Dose ist teilweise geöffnet.
Nervengift im Täschchen | Nikotinbeutel, auch »pouches« oder White Snus genannt, bestehen aus Zellulose oder anderem pflanzlichem Material und enthalten Salze, Süß- und Aromastoffe, Zusatzstoffe wie Säureregulatoren, Geschmacksverstärker – und natürlich Nikotin. Insbesondere bei Schwarzmarktware kann der Gehalt dieses Stoffs enorm hoch sein und den einer Zigarette mehrfach übersteigen. Den Konsumentinnen und Konsumenten drohen Vergiftungen.

Die Hersteller wissen diese Lücke zu nutzen. Wie zunächst auch in Deutschland tauchten Nikotinbeutel in Österreich erstmals Ende 2019 auf. Während es hier zu Lande zum Verbot kam, starteten die Hersteller in der Alpenrepublik große Marketingkampagnen. Marken wie »Zyn« (Swedish Match) sind präsent bei Influencern in den Social Media und auf Festivals; »Velo« (British American Tobacco) machte als Sponsor des berühmten Hahnenkamm-Rennens in Kitzbühel von sich reden. Ihre Nikotinbeutel, in denen Zimt-, Minz- oder Limettenaromen für einen angenehmen Geschmack sorgen, positionieren sie als Lifestyle-Produkte. Der größte Vorzug dieser Erzeugnisse: Sie lassen sich immer, überall und unauffällig konsumieren. »Mach’s im Zug«, lautete ein Werbeslogan der Marke Skruf (Imperial Tobacco). Der Spruch »Mach’s vorm Prof« zielte direkt auf Studentinnen und Studenten.

Das verfängt vor allem bei jungen Menschen. Aktuelle Zahlen fehlen, doch Bevölkerungsbefragungen in Österreich im Jahr 2023 hatten ergeben, dass der Anteil täglicher Konsumenten unter den 15-Jährigen mit 3,1 Prozent rund dreimal so hoch lag wie unter älteren Österreichern. Für Deutschland hat der Psychologe Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung Kiel, kürzlich eine Studie vorgelegt, für die im Schuljahr 2022/23 mehr als 12 000 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 10 aus 14 Bundesländern befragt wurden. Gut 5 Prozent von ihnen hatten bereits Nikotinbeutel konsumiert, in der Altersgruppe 16 bis 17 waren es sogar rund 14 Prozent (Schüler) beziehungsweise 10 Prozent (Schülerinnen). Bei einer Onlineumfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) im Jahr 2022 bezeichneten sich zwei Prozent der rund 4000 Befragten als regelmäßige Nutzer – erstaunlich hohe Werte für ein Produkt, das in Deutschland offiziell gar nicht erhältlich ist. Allerdings lässt es sich leicht über ausländische Onlineshops und Social-Media-Händler bestellen. Bis zu 1300 solcher Quellen waren dem BVTE gegen Ende des Jahres 2022 bekannt.

Katrin Schaller, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), beobachtet mit Sorge, dass die Nikotinbeutel an Schulen immer beliebter werden. »Da entsteht eine neue Generation Nikotinabhängiger«, befürchtet sie. »Für die Hersteller ist das natürlich super: Sie gewinnen damit neue Dauerkunden.«

»Extrem hohe Nikotindosen«

Weil tabakfreie Snus erst seit wenigen Jahren auf dem Markt sind, ist ihre gesundheitliche Bewertung noch nicht abgeschlossen. Anders als bei herkömmlichen Zigaretten fällt der Verbrennungsvorgang weg, der viele giftige Stoffe erst hervorbringt. Stattdessen nehmen Konsumierende die Inhaltsstoffe über die Mundschleimhaut auf. Binnen weniger Minuten sorgt das für eine höhere Herzfrequenz, einen steigenden Blutdruck und eine zunehmende Dopaminausschüttung.

Kugel-Stab-Modell eines Nikotin-Moleküls mit der Summenformel C₁₀H₁₄N₂. Kohlenstoffatome sind als schwarze, Wasserstoffatome als weiße, Stickstoffatome als blaue Kugeln dargestellt. Unten links ist die schematische Strukturformel von Nikotin abgebildet.
Nikotin | Kugel-Stab-Modell eines Nikotinmoleküls. Weiß: Wasserstoffatome; schwarz: Kohlenstoffatome; blau: Stickstoffatome. Tabakpflanzen und andere Nachtschattengewächse produzieren diesen Stoff und wehren damit Fressfeinde ab. Seine Strukturformel ist unten links zu sehen.

Die Beutel selbst bestehen aus Zellulose oder anderen Pflanzenfasern. In ihnen stecken Salze, mitunter Wasser, Süßstoffe, Aromen, Zusatzstoffe wie Säureregulatoren sowie Geschmacksverstärker – und natürlich Nikotin. Forschungsteams vom BfR und vom Klinikum der LMU München wiesen in manchen »pouches« mehr als 47 Milligramm des Nervengifts nach. Das seien »extrem hohe Nikotindosen«, urteilten sie angesichts der Tatsache, dass eine klassische Zigarette bis zu 13 Milligramm enthält, von denen beim Rauchen etwa ein bis zwei Milligramm aufgenommen werden. Tobias Rüther, Leiter der Tabakambulanz am Uniklinikum München, zeigte sich überrascht, dass einige Nikotinbeutel zu einer höheren Nikotinaufnahme als Zigaretten führten.

Das BfR bewertet Nikotinbeutel insgesamt zwar als »potenziell risikoärmere Alternative für Zigarettenraucher«, zeigt sich wegen der hohen Nikotinwerte jedoch alarmiert. Gesundheitliche Risiken bestehen aus Sicht der Behörde insbesondere für Kinder, Jugendliche und Nichtraucher, für Schwangere und Stillende sowie für Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine aktuelle Übersichtsstudie deutet darauf hin, dass der Konsum von Nikotinbeuteln zu dauerhaften Veränderungen der Mundschleimhaut führen könnte. Anlass zur Sorge sah das BfR auch auf Grund von Krebs erregenden, tabakspezifischen Nitrosaminen in diesen Produkten.

Für BVTE-Geschäftsführer Mücke ist genau das ein Grund dafür, Nikotinbeutel auf dem deutschen Markt zuzulassen und gesetzlich zu regulieren, etwa mit einer Höchstgrenze für den Nikotingehalt von 20 Milligramm pro Beutel. Bei unkontrolliert online gehandelten Produkten, deren Nikotingehalt sogar bis zu 150 Milligramm erreichen könne, sieht er »erhebliche« Risiken. Auch Philip Morris warnt vor einem »Grau- und Schwarzmarkt« mit Produkten unklarer Herkunft.

Nikotinbeutel als Eingangstor in die Sucht?

Suchtexperten sehen das ganz anders – und die Beutel als Einstiegsmittel in die Abhängigkeit. Auf Grund des hohen Nikotingehalts sei das Suchtpotenzial »extrem hoch«, urteilt DKFZ-Forscherin Schaller. Selbst Lungenärzte sehen den tabakfreien Snus kritisch, obwohl er nicht inhaliert wird. »Sucht hat etwas mit dauerndem Konsum zu tun«, sagt der Göttinger Lungenarzt Stefan Andreas, Sprecher der Sektion Tabakprävention in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. »Wenn der Konsum derart vereinfacht wird, die Produkte im Zug und in der Schule genutzt werden können und die Eltern nichts davon bemerken, ist das Suchtpotenzial viel größer.« Heutige Nutzerinnen und Nutzer von Nikotinbeuteln könnten die Raucher von morgen sein, so seine Befürchtung.

Ob das der Fall ist, ist noch nicht erwiesen. Eine Langzeituntersuchung aus dem Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, der Konsum von (tabakhaltigem) Snus stelle keinen Einstieg ins Zigarettenrauchen dar, sondern erleichtere es im Gegenteil, von den Glimmstängeln wegzukommen. Dass der Anteil täglicher Raucher in Schweden zuletzt nur bei fünf Prozent lag, verglichen mit 18 Prozent in Deutschland, führen Tabakhersteller unter anderem auf den legal erhältlichen Snus zurück. Karin Schaller widerspricht dem energisch. Sie sieht in der niedrigen schwedischen Raucherquote das Ergebnis guter Präventionsarbeit. Stefan Andreas wiederum hat gemeinsam mit dänischen und US-amerikanischen Fachleuten in einer systematischen Übersichtsstudie gezeigt: »Dual User«, die sowohl herkömmliche Zigaretten als auch E-Zigaretten konsumierten, gaben den Konsum seltener ganz auf als Menschen, die nur rauchten. Ähnliches könnte auf die Kombination von Glimmstängeln und Nikotinkissen zutreffen, doch entsprechende Untersuchungsergebnisse liegen noch nicht vor.

Nikotinbeutel im Leistungssport

Die Hersteller spekulieren auf große Umsätze mit den Nikotinbeuteln. Manche Analysten gehen davon aus, dass der globale Markt für tabakfreien Snus bis Anfang der 2030er Jahre von derzeit geschätzten 2 bis 6 auf 27 bis 34 Milliarden US-Dollar wachsen könnte – mit deutlich zweistelligen jährlichen Raten. Ein Treiber dafür ist ausgerechnet der Leistungssport mit seinen prominenten Vorbildern.

Über die Mundschleimhaut gelangt das Nikotin aus den Beuteln schnell ins Gehirn, regt dort die Nerventätigkeit und die Ausschüttung des Hormons Dopamin an. Kurzfristig sorgt das für ein Gefühl der Entspanntheit und eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit, wovon auch Leistungssportler profitieren. Wohl darum enthielten bis zu 15 Prozent der Urinproben, die im Rahmen von Wettkämpfen deutscher Spitzenathleten genommen wurden, Nikotin oder dessen Stoffwechselprodukt Cotinin, wie eine Dissertationsarbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Jahr 2023 belegte. Weil der Konsum herkömmlicher Zigaretten die sportliche Leistung beeinträchtigt, steht zu vermuten, dass die Spitzensportler vor allem zu rauchlosen Nikotinerzeugnissen greifen.

Eine Befragung von mehr als 600 Fußballspielern durch die englische Spielergewerkschaft und die Universität von Loughborough, veröffentlicht im Mai 2024, ergab: Fast jeder Fünfte konsumiert tabakhaltigen Snus oder tabakfreie Nikotinbeutel. Die Nationale Anti-Doping Agentur Austria (NADA Austria) warnte Sportlerinnen und Sportler bereits, nicht nur auf die kurzfristigen Wirkungen solcher Erzeugnisse zu schauen: Nikotin bringe »langfristige gesundheitliche Schäden mit sich«.

Anhand der Erfahrungen in Österreich sieht Waltraud Posch von Vivid, der Fachstelle für Suchtprävention in Graz, jedenfalls »keinerlei Hinweise« darauf, dass Nikotinbeutel dabei helfen könnten, von Tabak und Nikotin wegzukommen. »Viele Kinder und Jugendliche steigen unter anderem damit in den Nikotinkonsum ein«, beobachtet die Soziologin. Ein Rauchstopp mit Hilfe von Ersatzprodukten wiederum könne nur gelingen, wenn der Nikotinanstieg im Blut deutlich langsamer erfolge als bei Zigaretten. Bei den Nikotinbeuteln aber sei enorm schnell eine Wirkung da. »Es ist vor diesem Hintergrund undenkbar, die Beutel zur Entwöhnung einzusetzen.«

Für Posch ist allein der Nikotingehalt schon Grund genug, von tabakfreiem Snus abzuraten. Selbst der Hersteller British American Tobacco warnt auf der Schweizer Website seines Produkts »Velo« vor Erscheinungen wie unregelmäßigem Herzschlag und Ohnmachtsgefühl – bei Produkten wohlgemerkt, die nicht annähernd an die Nikotinwerte von Schwarzmarktware herankommen. Nikotinvergiftungen, sagt Soziologin Posch, habe sie bisher nur von Tabakbauern bei der Ernte gekannt, doch jetzt sei es auch nach dem Konsum von tabakfreiem Snus zu solchen Fällen gekommen. »Durch die Nikotinbeutel sehen wir das nun erstmals bei den Konsumenten in Österreich.«

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  • Quellen

Duren, M. et al.: Nicotine pouches: A summary of regulatory approaches across 67 countries. Tob Control 33, 2024

Hanewinkel, R., Hansen, J.: Konsum von Nikotinbeuteln im Kindes- und Jugendalter. Laryngo-Rhino-Otologie 2024

Ramström, L. et al.: Patterns of smoking and snus use in Sweden: Implications for public health. International Journal of Environmental Research and Public Health 13, 2016

Rungraungrayabkul, D. et al.: What is the impact of nicotine pouches on oral health: A systematic review. BMC Oral Health 24, 2024

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