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News: Nobelpreis für Medizin oder Physiologie 1999

Die Nobelversammlung am Karolinischen Institut hat beschlossen, den Nobelpreis des Jahres 1999 für Medizin oder Physiologie Günter Blobel zu verleihen für seine Entdeckung, daß Proteine eingebaute Signale haben, die ihren Transport und ihre Lokalisierung in der Zelle steuern.
Woher weiß ein neu gebildetes Protein in einer Zelle, in welchem der vielen Reaktionsräume es seine Aufgabe erfüllen soll? Wie gelangt es durch eine oder gar mehrere Membranen dorthin? Die Beantwortung dieser Fragen ist zum großen Teil dem Zell- und Molekularbiologen Günter Blobel zu verdanken. Das von ihm entdeckte Prinzip der Signalsequenz wurde mittlerweile vielfach bestätigt und bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren nachgewiesen.

Ein erwachsener Mensch besteht aus ungefähr 100 Billionen Zellen. Jede einzelne davon enthält etwa eine Milliarde Proteine, welche die unterschiedlichsten Aufgaben erledigen: Sie bilden das Stützgerüst der Zelle, transportieren Stoffe hin und her, katalysieren chemische Reaktionen, ermöglichen koordinierte Bewegungen, wehren Krankheitserreger ab, kontrollieren die Aktivität von Genen, wirken an der Entstehung und Weiterleitung von Nervenimpulsen mit und noch vieles mehr. Um stets optimal an die jeweiligen Erfordernisse angepaßt zu sein und um kaputte, fehlerhafte, mittlerweile schädliche oder einfach überflüssig gewordene Proteine zu entfernen, tauscht die Zelle den gesamten Satz etwa einmal im Laufe eines Monats aus. Ständig werden also alte Proteine abgebaut und neue synthetisiert und an ihren Bestimmungsort transportiert.

Damit die vielen Oxidationen und Reduktionen, Phosphorylierungen und Dephosphorylierungen, Umgruppierungen, Tautomerisierungen, Additionen und Abspaltungen etc. nicht durcheinander geraten, so daß womöglich ein Enzym abbaut, was das andere gerade produziert hat, kurz: damit der Stoffwechsel in der Zelle nicht komplett zusammenbricht, laufen die Reaktionen räumlich getrennt in verschiedenen sogenannten Kompartimenten ab. Eine biologische Membran scheidet hüben von drüben, verhindert ein Zusammentreffen von biochemischen Konkurrenten, bewahrt das Zellinnere vor aggressiven Verdauungsenzymen und umschließt Strukturproteine, die nach draußen gelangen sollen.

Vor allem die höheren Zellen, aus denen Pflanzen und Tiere bestehen, haben die räumliche Verteilung der Stoffwechselvorgänge weit entwickelt. Ihre empfindliche Erbsubstanz bewahren sie im Zellkern auf. Die für sensible Moleküle chemisch gefährlichen Vorgänge laufen deshalb woanders ab. So werden energiereiche Nährstoffe zum Beispiel hauptsächlich in den Mitochondrien abgebaut, was diesen den Spitznamen "Kraftwerke der Zelle" eingebracht hat. Mitunter leisten Peroxisomen die Vorarbeit, indem sie größere Moleküle mit Hilfe von Sauerstoff in kleinere Einheiten spalten. Auch Lysosome sind an der Verdauung von Makromolekülen beteiligt. Sie enthalten Enzyme, die besonders gut in sauren Milieus arbeiten, weshalb in den Lysosomen ein pH-Wert um 5 herrscht. Im wesentlichen bei Pflanzen und Einzellern findet man Vakuolen. Den einzelnen Untertypen kommen verschiedene Funktionen zu, von der Abfallbeseitigung bis zur Speicherung von Proteinen oder kleinen Molekülen. In den Chloroplasten befindet sich ein stark gefaltetes Membransystem, in welchem jene Proteine sitzen, mit denen Pflanzen die elektromagnetische Energie des Lichtes in einer chemischen Bindung fixieren. Außerdem baut die Zelle in diesem Kompartiment aus dem Kohlendioxid der Luft Zuckerbausteine auf. Ebenfalls an manchen Stoffwechselprozessen bei Tieren und Pflanzen beteiligt ist die glatte Form des Endoplasmatischen Retikulums (ER). Zusammen mit dem rauhen ER durchzieht es als umfangreiches Membranlabyrinth die Zelle. Am rauhen ER werden Proteine hergestellt, die ausgeschieden werden sollen. Auf ihrem Weg nach draußen machen diese sekretorischen Proteine noch eine Zwischenstation am Golgi-Apparat, wo sie chemisch modifiziert und sortiert werden. Aufgrund der Analogie der beschriebenen Kompartimente zu den Organen des menschlichen Körpers nennen Biologen die Reaktionsräume auch Organellen.

Die Einteilung des Zellinneren in viele durch Membranen getrennte Reaktionsräume stellte die Zelle vor ein neues Problem: Fast alle Gene, in denen die Informationen für die Synthese der Proteine gespeichert sind, befinden sich im Zellkern. Dort wird eine Arbeitskopie angefertigt, die dann aus dem Kern heraus in das Cytoplasma transportiert wird. Hier lagern sich Ribosomen an, und die Produktion beginnt. Doch Membranen sind undurchlässig für Proteine. Wie kommen also die neuen Proteine in ihre Zielorganellen? Und wie können sie überhaupt eine Membran durchdringen, ohne deren weitere Aufgaben zu stören? Und auf welche Weise gelangen einige Proteine so in die Membran, daß sie auf den beiden Seiten mit den richtigen Abschnitten herausragen?

Günter Blobel fand die Lösung bei seiner Arbeit zu sekretorischen Proteinen und dem Endoplasmatischen Retikulum. Im Jahre 1971 formulierte er die erste Version seiner Signalhypothese, und bis 1975 konnte er die einzelnen Schritte erklären. In Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen wies er nach, daß nicht nur Proteine des ER mit Hilfe einer Signalsequenz ihr Ziel finden, sondern es sich um ein generelles Prinzip handelt, das auch bei anderen Organellen sowie im gesamten Organismenreich verfolgt wird.

Danach besitzt jedes Protein, das durch oder in eine intrazelluläre Membran transportiert werden soll, eine Signalsequenz aus zehn bis dreißig Aminosäuren. Dieses sogenannte topogene Signal sorgt dafür, daß das entstehende Protein das richtige Organell findet. Dort befindet sich ein Kanal in der Membran, durch den das Protein hindurchwandern kann. Sobald die Signalsequenz an das Kanalmolekül bindet, öffnet sich der Durchgang und schließt sich sofort hinter dem Protein wieder. Da die Öffnung mit etwa zwei Nanometern Durchmesser sehr eng ist, sorgen Hilfsproteine dafür, daß die Aminosäurekette des neuen Proteins sich nicht zu früh in die Arbeitsform faltet. Nach dem Durchtritt spalten in vielen Fällen Enzyme die Signalsequenz ab.

Während die Signalsequenz den Transportprozeß durch die Membran startet, kann eine Stoppsequenz ihn unterbrechen. Der Kanal öffnet sich daraufhin seitlich und verschiebt den gerade darin enthaltenen Teil des Proteins in die fettliebende Phase der Membran. Gleichzeitig schließen sich der Ein- und Ausgang des Kanals. Als Ergebnis steckt das Protein mitten in der Membran.

Die korrekte Zuordnung der Proteine ist ein lebenswichtiger Vorgang in der Zelle. Störungen des Ablaufs haben häufig unangenehme oder gar tödliche Auswirkungen. Fehlerhafte Signalsequenzen sind zum Beispiel verantwortlich für bestimmte Formen von stark erhöhtem Cholesterinspiegel im Blut, primäre Hyperoxalurie, die schon in jungen Jahren zu Nierensteinen führt, und zystische Fibrose.

Das Modell erklärt jedoch nicht nur die Ursachen von Krankheiten, es ist vielmehr wichtige Grundlage für eine Reihe neuer Behandlungsmethoden. Bereits heute werden einige theraupeutische Proteine – wie zum Beispiel Insulin, Wachstumshormone, Erythropoetin und Interferon – von Bakterien oder Hefezellen hergestellt. Mit gentechnischen Verfahren werden dazu Gene samt der richtigen Signalsequenz in die Mirkoorganismen eingeführt. Auf diese Weise erreichen die Proteine später den richtigen Wirkort.

Kurzbiographie

Günter Blobel wurde am 21. Mai 1936 in Waltersdorf/Silesia in Deutschland geboren. Nach seinem Diplom an der Universität Tübingen promovierte er 1967 in Onkologie an der University of Wisconsin-Madison und ging dann an die Rockefeller University, wo er seit 1976 Professor ist.
Seine Arbeitsgebiete sind heute der unidirektionale Transport von Proteinen über Membranen und der davon verschiedene Transportsmechanismus durch die Kernmembran.
Unter den vielen wissenschaftlichen Auszeichnungen für seine Arbeit ist auch der Max-Planck-Forschungspreis, den er 1992 erhielt.

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