Physik-Nobelpreise 2018: Physiker auf der Spur von »Star Trek«
Im Fernsehen sieht es so einfach aus: Mal legt die »Enterprise« mit ihren Phasern den Antrieb des Gegners lahm. Und mal schleppt sie ihn einfach via Traktorstrahl ab: Der farbige Lichtkegel erfasst das andere Raumschiff mit zauberhafter Leichtigkeit und hält es fest im Griff. Mission erfüllt.
In den 1960er Jahren verfolgte eine ganze Generation von Fernsehzuschauern, was Captain Kirk und seine Crew da taten – und die allermeisten dürften es für eine bestenfalls weit entfernte Zukunftsvision gehalten haben. Arthur Ashkin sah das wohl anders. Jedenfalls machte sich der 1922 geborene Physiker zu dieser Zeit daran, das Prinzip des Traktorstrahls im Labor zu kopieren. Nicht in der Größenordnung der »Enterprise«, sondern im Miniaturmaßstab.
Und tatsächlich: In den folgenden Jahrzehnten entwickelte der US-Amerikaner ein Verfahren, mit dem sich mikroskopisch kleine Objekte einfangen und festhalten ließen, und das einzig mit der Kraft des Lichts. Für diese »optische Pinzette« hat der Amerikaner nun eine Hälfte des Physik-Nobelpreises 2018 erhalten.
Die andere teilen sich der Franzose Gérard Mourou von der École Polytechnique in Palaiseau und die Kanadierin Donna Strickland von der University of Waterloo. Mourou und Strickland haben Mitte der 1980er Jahre ebenfalls etwas entwickelt, das vor einigen Jahrzehnten wie Sciencefiction wirkte: eine Technik, mit der sich gebündelte Lichtpulse enorm verstärken lassen.
Das Nobelkomitee würdigt damit die Weiterentwicklungen einer Technologie, die seit 1958 in der Welt ist – den Laser. Er ist gewissermaßen der Ordnungsliebhaber im Reich des Lichts. Wo eine Schreibtischlampe das ganze Spektrum sichtbarer Strahlung in alle Richtungen aussendet, legt ein Laser klar fest, was für Licht seine Öffnung verlässt. Er feuert Strahlung einer festgelegten Frequenz in den Raum, die sich wie ein Strich ausbreitet und deren Wellen stets dem gleichen Schwingungsmuster folgen; Physiker sprechen hier von Kohärenz. Außerdem ist Laserlicht meist viel intensiver als das einer Glühbirne.
Der Strahlungsdruck des Lichts
Arthur Ashkin ging Ende der 1960er Jahre davon aus, dass derart gebündeltes Licht eine merkliche physische Kraft auf Objekte ausüben kann. Bereits um 1900 hatten Pyotr Lebedev, Ernest F. Nichols und Gordon F. Hull gezeigt, dass elektromagnetische Strahlung solch einen »Strahlungsdruck« ausüben kann. Bei Radiowellen war dieser aber viel zu schwach, und auch Lampenlicht setze keine Objekte in Bewegung.
Selbst mit der Erfindung des Lasers blieben Hürden bestehen: Bei den ersten Laborexperimenten überdeckte die temperaturbedingte Bewegung kleiner Objekte den Strahlungsdruck. Aber Ashkin blieb hartnäckig und tüftelte in den berühmten Bell Telephone Laboratories im US-Bundesstaat New Jersey an einer Lösung. 1969 packte er durchsichtige Plastikbällchen mit einem Durchmesser von gerade einmal einem Mikrometer (Tausendstel Millimeter) in einen gut isolierten Wassertank und beschoss diese mit einem besonders starken und geschickt fokussierten Laserstrahl. Und siehe da: Die Kügelchen bewegten sich.
1971 feuerten Ashkin und ein Kollege dann mit einem 250-Milliwatt-Laser von unten auf ein winziges Glaskügelchen und ließen dieses in der Luft schweben, wo es von zwei parallel ausgerichteten und gegenläufigen Strahlen festgehalten wurde. Das kam einem Mini-Traktorstrahl schon ziemlich nahe.
15 Jahre später, im Jahr 1986, gelang dem Physiker und seinem Team dann der große Durchbruch: Die Forscher veränderten einen Laserstrahl so, dass sich eine von ihm getroffene Mini-Perle entgegen der Ausbreitungsrichtung des Lichts bewegte. Damit war die optische Pinzette geboren.
Im Kern basiert sie darauf, dass der Experimentator einen Laserstrahl mit einer Linse auf einen Punkt fokussiert. Was dann geschieht, kann man am besten anhand eines Naturgesetzes veranschaulichen, das Isaac Newton bereits im 17. Jahrhundert formulierte: Der Impulserhaltung zufolge bleibt das Produkt aus Geschwindigkeit und Masse eines physikalischen Systems stets konstant. Stößt etwa auf einem Billardtisch eine Kugel auf eine andere, wird sie umgelenkt und verliert an Geschwindigkeit. Dafür setzt sich aber die andere Kugel in Bewegung.
Etwas Ähnliches passiert, wenn ein Laserstrahl – den man sich dazu als Strom winziger, ungeladener Lichtteilchen vorstellen kann – auf ein durchsichtiges Plastikbällchen trifft. Einige der Lichtteilchen prallen an der Oberfläche ab und übertragen einen Teil ihres Impulses auf den sphärischen Körper, der sich daraufhin in Ausbreitungsrichtung des Lasers bewegt – der seit mehr als 100 Jahren bekannte Strahlungsdruck.
Bei der optischen Pinzette kommt aber noch ein weiterer, entgegen gesetzter Effekt dazu: Ein Teil des Laserlichts dringt in das Glaskügelchen ein und wird dort leicht umgelenkt. Das wiederum verändert den Impuls der Lichtteilchen, der laut Newton kompensiert werden muss. Effektiv versetzen die Laserstrahlen dem Bällchen dadurch einen winzigen Rückstoß.
Platziert man das mikroskopisch kleine Objekt nun knapp hinter dem Brennpunkt der Linse, heben sich Strahlungsdruck und Rückstoß exakt auf. Das Partikelchen kann sich damit weder vor noch zurück bewegen. Es kann auch nicht in einer anderen Richtung aus dem Strahl entkommen: Bewegt es sich senkrecht zur Laserrichtung, wird es wieder in Richtung Strahlmitte geschoben.
Dank der Erfindung konnten Forscher einige Jahre später sogar einzelne Atome festhalten – ein Kunststück, für das drei von Ashkins Kollegen um den späteren US-Energieminister Steven Chu bereits 1997 den Nobelpreis erhielten. Bei derart winzigen Objekten, die kleiner sind als die Wellenlänge des Laserlichts, ist es etwas schwieriger zu erklären, weshalb die optische Pinzette funktioniert. Vereinfacht kann man es sich so vorstellen, dass die elektromagnetische Welle des Lasers die Ladungsverteilung im Zielobjekt verändert und dieses dadurch stets ins Zentrum der Lichtfalle zieht.
Kurze Pulse mit enormer Energie
Mitte der 1980er Jahre arbeiteten auch Gérard Mourou und seine Doktorandin Donna Strickland an einer Verbesserung der Lasertechnologie. Ihr Spezialgebiet waren jedoch nicht kontinuierlich arbeitende Laser, sondern solche, die Licht in kurze, aber möglichst starke Pakete zerteilen. Auf diesem Teilgebiet kamen Wissenschaftler damals nicht recht voran: Schon seit Mitte der 1960er Jahre war es ihnen nicht mehr gelungen, die Zahl der Lichtteilchen in einem solchen Laserpuls weiter zu steigern.
Zwar konnte man die Strahlungspakete verstärken, indem man sie durch spezielle Zellen jagte, in denen immer mehr Lichtteilchen dazustießen. Wollte man damit aber die Intensität auf mehr als eine Billiarde Watt pro Quadratzentimeter steigern, gingen die Verstärkerzellen kaputt.
Mourou und seine Doktorandin Strickland stießen in einem populärwissenschaftlichen Artikel über Radargeräte auf den entscheidenden Gedanken: Diese verstärken Radiowellenschnipsel enorm, um sie große Strecken überwinden zu lassen. Aber auch hier geht die Elektronik kaputt, wenn man die kurzen Strahlungspakete zu stark aufpumpen will. Ingenieure lösen das Problem seit langem damit, dass sie die Pulse vor der Verstärkung in die Länge ziehen.
Wieso sollte dieser Trick nicht auch für kürzere Wellenlängen funktionieren, wie zum Beispiel die des sichtbaren Lichts, fragten sich Mourou und Strickland. Nach langwierigen Tests fanden der Franzose und die Kanadierin einen Versuchsaufbau, der das erwünschte Resultat brachte: Sie lenkten einen Laserpuls mit einer Energie von wenigen Milliardstel Joule durch einen 1,4 Kilometer langen Strang eines Glasfaserkabels. Der niederfrequente Teil des Pulses bewegte sich darin etwas schneller als Schwingungsteile mit höherer Frequenz, was das Wellenpaket in die Länge zog.
Währte der Puls anfangs 150 billionstel Sekunden, war er nach Passieren der Glasfaser doppelt so lang. Das machte einen entscheidenden Unterschied: Bei einem längeren Puls musste in den Verstärkerzellen längst nicht mehr so viel Energie pro Zeiteinheit deponiert werden wie beim Aufpumpen eines kürzeren Laserschnipsels, was die Apparatur schonte. Und nach dem Verstärken schoben Mourou und Strickland den Wellenzug einfach wieder zusammen, indem sie das aufgefächerte Licht durch ein Paar geschickt orientierter Beugungsgitter jagten. Letztlich kam der Puls damit auf eine Länge von zwei billionstel Sekunden, hatte aber eine Energie von einigen Tausendstel Joule.
Die beiden Physiker hatten also deutlich mehr Lichtteilchen in ihren Puls gequetscht als zuvor möglich war. 1985 veröffentlichte das Duo ihr als »Chirped Pulse Amplification« (CPA) bekanntes Verfahren in einem Fachmagazin – für die damals 26-jährige Strickland war es die erste wissenschaftliche Veröffentlichung überhaupt. Dank CPA, das mittlerweile in leicht abgeänderter Form in vielen Laboren angewendet wird (siehe Grafik), legten Laserpulse in den Folgejahren wieder deutlich an Leistung zu.
Der Trend hält bis heute an: Die nächste Generation großer Laseranlagen, die momentan in Planung sind, soll hundertmillionenfach höhere Pulsintensitäten als ihre Vorgänger Mitte der 1980er Jahre erreichen. Mourous und Stricklands Erfindung legte aber nicht nur die Basis für stärkere Laser. Mit CPA war es plötzlich auch möglich, deutlich mehr Pulse in Serie abzusetzen.
Das bereitete letztlich einer anderen Laserrevolution den Weg: Forscher setzten einzelne Atome maßgeschneiderten Lichtpaketen aus, die in hoher Frequenz Elektronen von ihren Atomkernen entfernen. Die negativ gepolten Ladungsträger legen kurz darauf den Rückwärtsgang ein und sausen mit großer Geschwindigkeit zurück in Richtung Kern. Dabei strahlen sie noch deutlich kürzere Lichtpulse ab, die gerade einmal ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde währen.
Kino der Moleküle
Mit Hilfe dieser Attosekunden-Pulse lassen sich mittlerweile die extrem schnellen Bewegungen von Elektronen wie in einem Film festhalten. Auf dem Weg zu diesem »Molekül-Kino« waren in den 2000er Jahren jedoch weitere, potenziell nobelpreiswürdige Arbeiten nötig – es ist also nicht unwahrscheinlich, dass die Laserphysik in einigen Jahren erneut im Fokus des Stockholmer Nobelkomitees stehen wird.
Der Nobelpreis 2018 wird auch deshalb in Erinnerung bleiben, weil mit Donna Strickland eine Forscherin die höchste Auszeichnung der Wissenschaften erhalten hat. Sie ist erst die dritte Gewinnerin in der Geschichte des Physik-Nobelpreises und die erste seit 55 Jahren. Daneben wurde dieses Jahr deutlich, dass das Nobelkomitee längst nicht nur Grundlagenforschung auszeichnen will, die zum Staunen anregt, wie etwa die 2017 prämierte Entdeckung von Gravitationswellen. Der Nobelpreis solle auch dazu dienen, Erfindungen zu würdigen, betonte die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften bei der Bekanntgabe der Preisträger.
Aus Sicht des Nobelkomitees sind die 2018 ausgezeichneten Entdeckungen Paradebeispiele dafür, wie physikalische Grundlagenforschung kaum sichtbar das Leben vieler Menschen verändern kann. So spielen präzise steuerbare Hochintensitätslaser, wie sie die CPA-Technik möglich gemacht hat, eine Schlüsselrolle bei Millionen Augenoperationen, die jedes Jahr stattfinden.
Auch Ashkins optische Pinzette sollte letztlich eine große Bedeutung außerhalb der Physik erhalten: Ende der 1980er Jahre begann der Amerikaner mit seinem Mini-Traktorstrahl lebende Zellen einzufangen. Zunächst töteten die energiereichen Strahlen die empfindlichen Organismen noch, nach einigen Anpassungen konnte Ashkin selbst schwimmende Viren und Bakterien intakt festhalten.
Seitdem haben Wissenschaftler die Methode weiterentwickelt, sie ist heute ein weit verbreitetes Verfahren zum Beobachten biologischer Prozesse. Forscher haben damit unter anderem die mechanischen Eigenschaften von DNA-Strängen untersucht, aber auch bessere Einsichten in das Verhalten so genannter Motorproteine gewonnen.
Ashkin ging 1992 in Ruhestand, forscht aber noch immer, vor allem in einem bei sich zu Hause eingerichteten Labor. Er ist der älteste Laureat in der Geschichte der Nobelpreise. Als der 96-Jährige am Morgen des 2. Oktobers vom Nobelkomitee angerufen wurde, soll er gesagt haben, er habe keine Zeit für Interviews – ein wichtiger neuer Fachaufsatz von ihm sei gerade in Arbeit. Den Visionen der Sciencefiction nachzujagen ist eben auch eine Frage der Prioritäten.
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