Nobelpreise 2009: Verkappt zur Unsterblichkeit
Den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie teilen sich drei US-amerikanische Forscher. Sie hatten miteinander die Basis der zellulären genetischen Vergreisung entschlüsselt - und ein Prinzip entdeckt, mit dem Stammzellen und Tumoren dauerhaft jung und teilungsfähig bleiben.
Die Kopierabteilung im Erbgutarchiv unserer Zellen ist genial konzipiert und hocheffizient. Bedauerlicherweise leidet ihr Werkzeug unter einem Konstruktionsmakel, der allen teilungsfreudigen Zellen unausweichlich den Tod bringen würde – wenn nicht mit ein paar besonderen Tricks gegengesteuert wird. Was der Zelle hier hilft – die so genannten Telomere und Telomerasen –, ist seit den 1980er Jahren nach und nach erkannt worden und beschert seinen drei Hauptentdeckern Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak nun den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie des Jahres 2009.
Folgen zunehmender Komplexität
Also sahen die neuen Eukaryontenentwürfe – Urahnen von Mensch, Maus, Molch oder Muschel – vor, den bis dahin gängigen großen DNA-Molekülring in mehrere kleine, leichter handhabbare Molekülketten zu zerlegen. Die allerdings waren nun nicht länger ringförmig geschlossen, sondern hatten alle einen Anfang und ein Ende. Oder, anders gesagt: zwei Schwachpunkte. Denn an diesen Enden der Doppelhelix-Molekülkette können Enzyme leicht angreifen, um das Chromosom nach und nach abzuknabbern, wie Forscher schon lange vor der Entdeckung der DNA-Molekülstruktur in den 1930er Jahren mutmaßten.
Aber damit nicht genug. Die nächste Wissenschaftlergeneration erkannte, nachdem sie die Prinzipien der DNA-Replikation genauer verstanden hatte, dass neben dem entstandenen strukturellen Problem durch den Wechsel vom großen DNA-Ring zu kleineren, in Chromosomen organisierten Ketten nun auch der Mechanismus des exakten DNA-Kopierens schleichend zerstörerisch wurde. Das verantwortliche Kopierenzym, die DNA-Polymerase, kann an einer zu zwei Einzelsträngen auseinandergezogenen Stelle der Doppelhelix nur dann andocken, wenn an den zu kopierenden Einzelstrang zuvor ein kleines Stück komplementärer Wegwerf-RNA als Ansatzpunkt der Replikation angefügt wird. Im Normalfall ist das kein Problem: Dieser "RNA-Primer" wird einfach von einem Aushilfsenzym provisorisch ankopiert und nach seiner Pionierarbeit dann entfernt und durch DNA ersetzt. Am Ende des Vorgangs sind beide Hälften der gesamten DNA-Doppelkette lückenlos kopiert.
Eine lineare Konstruktionsschwäche
An den Enden kettenförmiger Chromosomen gelingt dies jedoch nicht, weil hier der kurze stützende RNA-Primer nicht durch DNA ersetzt werden kann. Auch hierzu wäre, biochemischen Naturgesetzen folgend, als Ansatzstelle ein schon vorhandenes Nukleotidstück nötig, welches am Ende der Kette aber fehlt. Der RNA-Primer zerfällt daher, und mit ihm sein vereinzelter komplementärer DNA-Gegenstrang am DNA-Doppelhelixende. Bei jeder Teilungsrunde verkürzt sich deswegen das letzte Stück an beiden Enden des Chromosoms und fällt unkopiert unter den Tisch; nach und nach werden die Chromosomen daher kürzer. Bei teilungsfreudigen Zellen sollte es somit nur eine Frage der Zeit sein, bis lebenswichtige Erbgutabschnitte nicht länger getreulich kopiert, sondern angeknabbert werden und schließlich ausfallen.
Warum also können sich Zellen offensichtlich trotzdem problemlos teilen? Nach einer Antwort auf das biochemische Rätsel hatten Anfang der 1980er Jahre auch Szostak und Blackburn gesucht – bis ein erstes gemeinsames Experiment sie auf die Idee brachte, dass eine Art chromosomaler Pufferzone gegen den teilungsbedingten Basenschwund am Chromosomenende wirken könnte. Eine auffällige Sequenz unbekannter Funktion – später bekam sie den Begriff Telomer – war zunächst Blackburn, die heute an der University of California in San Francisco arbeitet, an den Chromosomenenden von Wimperntierchen ins Auge gefallen: Hier wiederholt sich vielfach hintereinander immer wieder die Sequenz CCCCAA.
Das Auffrischen einer Schutzkappe
Die Zelle hängt also eine Reihe sonst unnützer Sequenzen an das Ende der Chromosomen, auf die dann beim konstruktionsbedingten Schwund jeder Teilung verzichtet werden kann. Später stellte sich auch heraus, dass bei Mensch und Tier eine Reihe von Schutzproteinen zwischen den Teilungen einer Zelle an die Telomersequenzen andocken, um das sonst fragile Endstück abzuschirmen.
Zellen mit aktiver Telomerase könnten demnach ewig leben und sich teilen, vermuteten die Forscher rasch – und fanden tatsächlich später heraus, dass gerade Stammzellen Telomerasen in Dauerbereitschaft halten, um einen ständigen Nachschub neuer Zellen durch fortgesetzte Teilung produzieren zu können. Die Kehrseite der Medaille: Auch rund 90 Prozent aller Tumoren schaffen es durch aktive Telomerase-Enzyme, dauerhaft teilungsfähig, also ewig jung zu bleiben. Viele Wissenschaftler arbeiten daher heute an geeigneten Strategien, um Telomerasen überall oder, besser noch, nur in entarteten Zellen gezielt auszuschalten.
Insgesamt aber lieferte die Arbeit mehr als nur Bekämpfungsansätze gegen Tumoren: Telomere und Telomerase zeigen, welche Wege die biologisch-biochemische Evolution gehen kann, um Anfangsprobleme so zu überwinden, dass ganz andere, neue Wege wie jener vom Pro- zum Eukaryonten eingeschlagen werden können. Ohne die Telomerase gäbe es zwar einige Krebserkrankungen oder menschliche Erbkrankheiten weniger. Vielleicht aber gäbe es auf der Erde heute auch nur Bakterien.
Begonnen hat alles viel früher, wohl vor rund zwei Milliarden Jahren. Damals waren irgendwann neben Bakterien und Archäen auch die ersten eukaryontischen Zellen der Welt entstanden – solche mit Erfindungen wie Mitochondrien, intern abgeschotteten Membran-Separees für allerlei Spezialaufgaben und einem echten, membranumhüllten Zellkern, in dem die DNA gelagert und bearbeitet wird. Das Erbgut ist mit all seinen neuen Funktionen aber offenbar schnell zu groß geworden, um leicht transportiert, bei Zellteilungen sicher kopiert, verteilt oder einfach nur effizient abgelesen zu werden.
Folgen zunehmender Komplexität
Also sahen die neuen Eukaryontenentwürfe – Urahnen von Mensch, Maus, Molch oder Muschel – vor, den bis dahin gängigen großen DNA-Molekülring in mehrere kleine, leichter handhabbare Molekülketten zu zerlegen. Die allerdings waren nun nicht länger ringförmig geschlossen, sondern hatten alle einen Anfang und ein Ende. Oder, anders gesagt: zwei Schwachpunkte. Denn an diesen Enden der Doppelhelix-Molekülkette können Enzyme leicht angreifen, um das Chromosom nach und nach abzuknabbern, wie Forscher schon lange vor der Entdeckung der DNA-Molekülstruktur in den 1930er Jahren mutmaßten.
Aber damit nicht genug. Die nächste Wissenschaftlergeneration erkannte, nachdem sie die Prinzipien der DNA-Replikation genauer verstanden hatte, dass neben dem entstandenen strukturellen Problem durch den Wechsel vom großen DNA-Ring zu kleineren, in Chromosomen organisierten Ketten nun auch der Mechanismus des exakten DNA-Kopierens schleichend zerstörerisch wurde. Das verantwortliche Kopierenzym, die DNA-Polymerase, kann an einer zu zwei Einzelsträngen auseinandergezogenen Stelle der Doppelhelix nur dann andocken, wenn an den zu kopierenden Einzelstrang zuvor ein kleines Stück komplementärer Wegwerf-RNA als Ansatzpunkt der Replikation angefügt wird. Im Normalfall ist das kein Problem: Dieser "RNA-Primer" wird einfach von einem Aushilfsenzym provisorisch ankopiert und nach seiner Pionierarbeit dann entfernt und durch DNA ersetzt. Am Ende des Vorgangs sind beide Hälften der gesamten DNA-Doppelkette lückenlos kopiert.
Eine lineare Konstruktionsschwäche
An den Enden kettenförmiger Chromosomen gelingt dies jedoch nicht, weil hier der kurze stützende RNA-Primer nicht durch DNA ersetzt werden kann. Auch hierzu wäre, biochemischen Naturgesetzen folgend, als Ansatzstelle ein schon vorhandenes Nukleotidstück nötig, welches am Ende der Kette aber fehlt. Der RNA-Primer zerfällt daher, und mit ihm sein vereinzelter komplementärer DNA-Gegenstrang am DNA-Doppelhelixende. Bei jeder Teilungsrunde verkürzt sich deswegen das letzte Stück an beiden Enden des Chromosoms und fällt unkopiert unter den Tisch; nach und nach werden die Chromosomen daher kürzer. Bei teilungsfreudigen Zellen sollte es somit nur eine Frage der Zeit sein, bis lebenswichtige Erbgutabschnitte nicht länger getreulich kopiert, sondern angeknabbert werden und schließlich ausfallen.
Warum also können sich Zellen offensichtlich trotzdem problemlos teilen? Nach einer Antwort auf das biochemische Rätsel hatten Anfang der 1980er Jahre auch Szostak und Blackburn gesucht – bis ein erstes gemeinsames Experiment sie auf die Idee brachte, dass eine Art chromosomaler Pufferzone gegen den teilungsbedingten Basenschwund am Chromosomenende wirken könnte. Eine auffällige Sequenz unbekannter Funktion – später bekam sie den Begriff Telomer – war zunächst Blackburn, die heute an der University of California in San Francisco arbeitet, an den Chromosomenenden von Wimperntierchen ins Auge gefallen: Hier wiederholt sich vielfach hintereinander immer wieder die Sequenz CCCCAA.
Zeitgleich hatte Szostak, damals an der Harvard Medical School, frustriert herausfinden müssen, dass Hefezellen kurze lineare Minichromosomen, die er einschleuste, immer ziemlich schnell von den Enden her zerstörten. Zusammen kamen die beiden Forscher nun auf die Idee, die Enden von Szostaks Hefe-Minichromosomen mit der merkwürdigen Endsequenz von Blackburns Wimpertierchen zu versehen. Tatsächlich: Diese Kombichromosomen waren fortan abbaugeschützt. Offenbar, schlussfolgerten die Forscher, sind die CCCCAA-Wiederholungen eine universale Schutzsequenz, die in verschiedenen Gruppen von Organismen gleich gut funktionieren. Später bestätigte sich die Theorie – überall, von Amöbe bis Mensch, finden sich sehr ähnliche Telomerseqenzen. Natürlich werden auch die nach und nach verloren gehen – macht aber zunächst nichts, da in ihnen keine wichtige Information enthalten ist.
Das Auffrischen einer Schutzkappe
Die Zelle hängt also eine Reihe sonst unnützer Sequenzen an das Ende der Chromosomen, auf die dann beim konstruktionsbedingten Schwund jeder Teilung verzichtet werden kann. Später stellte sich auch heraus, dass bei Mensch und Tier eine Reihe von Schutzproteinen zwischen den Teilungen einer Zelle an die Telomersequenzen andocken, um das sonst fragile Endstück abzuschirmen.
Eines der an Telomeren andockenden Proteine ist dabei aber weit mehr als nur ein Schutzprotein: Die Telomerase, die von Carol Greider entdeckt wurde, als sie noch als Doktorandin von Blackburn arbeitete. Das Enzym, das bald als vermeintliches "Unsterblichkeitsenzym" bekannt werden sollte, ist in der Lage, die im Lauf der Zeit abgenützten Telomersequenzen wieder zu verlängern. Damit sorgt das Enzym im Prinzip dafür, dass auch eine unendliche Anzahl von Teilungsschritten die Telomerenden der Chromosomen nie vollständig abknabbert.
Zellen mit aktiver Telomerase könnten demnach ewig leben und sich teilen, vermuteten die Forscher rasch – und fanden tatsächlich später heraus, dass gerade Stammzellen Telomerasen in Dauerbereitschaft halten, um einen ständigen Nachschub neuer Zellen durch fortgesetzte Teilung produzieren zu können. Die Kehrseite der Medaille: Auch rund 90 Prozent aller Tumoren schaffen es durch aktive Telomerase-Enzyme, dauerhaft teilungsfähig, also ewig jung zu bleiben. Viele Wissenschaftler arbeiten daher heute an geeigneten Strategien, um Telomerasen überall oder, besser noch, nur in entarteten Zellen gezielt auszuschalten.
Mit den Erkenntnissen der drei Nobelpreisträger und ihrer Nachfolger stehen viel versprechende Wege offen, mit denen dies gelingen könnte. Sie stützen sich dabei auch auf Greiders spätere Erfolge bei der Entschlüsselung der Arbeitsweise der Telomerase: Das aus Eiweiß- und Nukleotidbestandteilen zusammengebaute Enzym trägt ständig einen kleinen Abschnitt der Telomersequenz als Vorlage mit sich, von der sie abliest, um die Enden der Chromosomen aufzufüllen. Auch Blackburns Team verfolgte die Strategie, Mutationen in die Vorlagesquenz der Tumorzellen-Telomerasen einzuschleusen, um gezielt nur diese sehr teilungsaktiven Krebszellen im Körper zu beschädigen.
Insgesamt aber lieferte die Arbeit mehr als nur Bekämpfungsansätze gegen Tumoren: Telomere und Telomerase zeigen, welche Wege die biologisch-biochemische Evolution gehen kann, um Anfangsprobleme so zu überwinden, dass ganz andere, neue Wege wie jener vom Pro- zum Eukaryonten eingeschlagen werden können. Ohne die Telomerase gäbe es zwar einige Krebserkrankungen oder menschliche Erbkrankheiten weniger. Vielleicht aber gäbe es auf der Erde heute auch nur Bakterien.
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