Artenschutz: Noch mehr Vögel, noch mehr gefährdet
Weltweit gibt es offensichtlich deutlich mehr Vogelarten, als bislang bekannt waren – doch leider ist ein Teil davon bereits im Bestand gefährdet. Das zeigt die neu vorgelegte Rote Liste der bedrohten Arten und eine taxonomische Überarbeitung der Vogelwelt durch die Naturschutzorganisation Birdlife International unter wissenschaftlicher Leitung von Stuart Butchart. Zusammen mit zahlreichen Kollegen hat er die große Gruppe der Nichtsingvögel wie Enten, Eulen, Spechte, Tauben oder Papageien analysiert und auf Basis genetischer Merkmale, von Gefieder und Gesangsunterschieden mehr als 350 neue Arten ausgewiesen, die zuvor nur als Unterarten gegolten hatten. Dadurch steigt die Zahl der bekannten Nichtsingvögel auf mehr als 4472 Spezies. Im zweiten Schritt wollen die Forscher die Singvögel selbst unter die Lupe nehmen, die bislang etwa 6000 Arten stellen.
Ein markantes Beispiel für diesen Trend ist der Afrikanische Strauß (Struthio camelus), von dem man annahm, dass auf dem gesamten Kontinent nur eine Art lebt. Nun zeigt sich aber, dass die Population im Nordosten des Kontinents – am Horn von Afrika – aufgewertet werden muss zum Somali-Strauß (Struthio molybdophanes). Weitere große Veränderungen ergaben sich zum Beispiel bei den Papageien, bei denen mehr als 40 neue Arten anerkannt wurden, oder bei den Tauben, die es ebenfalls auf mehr als 40 Neuzugänge bringen. Diese Ausweitung geht allerdings auch mit schlechten Nachrichten einher: Ein Viertel der bislang von den Ökologen "übersehenen" Spezies gelten bereits als im Bestand gefährdet – viele davon sind sogar vom Aussterben bedroht.
Kaum bekannt, schon bedroht
Das Belem-Hokkohuhn (Crax pinima) aus Brasilien oder den Desertas-Sturmvogel (Pterodroma deserta), der auf Madeira brütet, stuften die Wissenschaftler direkt in die höchste beziehungsweise dritthöchste Risikokategorie ein. Der Blaubart-Helmkolibri (Oxypogon cyanolaemus) aus Kolumbien könnte sogar schon völlig verschwunden sein: Er wurde seit 70 Jahren nicht mehr beobachtet, und rund um seinen ursprünglichen Fundort findet sich praktisch keine natürliche Vegetation mehr.
Neben diesen Neuzugängen bewertet die Rote Liste die bereits eingetragenen Arten, unter denen ebenfalls bedenkliche Trends erkennbar sind. Der erst vor wenigen Jahren entdeckte farbenfrohe Bugunhäherling (Liocichla bugunorum) kommt nur in drei kleinen Arealen im indischen Himalajagebiet vor, durch die nun eine Straße gebaut wurde. Zudem brachen immer wieder Waldbrände aus, die die wenigen bekannten Paare des Vogels zusätzlich bedrohten. Er wurde deshalb auf "vom Aussterben gefährdet" hochgestuft. Der auch in den Alpen heimische Bartgeier (Gypaetus barbatus) erholt sich zwar zahlenmäßig in seinen europäischen Verbreitungsgebieten, leidet aber unter Vergiftungen und Kollisionen mit Stromleitungen in Afrika und Asien. Er wurde deshalb in die Vorwarnliste aufgenommen.
Neue Hotspots
Viele der neuen und gleichzeitig auch bedrohten Spezies stammen aus Südostasien, was die Bedeutung verschiedener Hotspots der Artenvielfalt erhöht. Die indonesischen Inseln Talaud und Sangihe wiesen bislang schon einige einzigartige Vogelarten auf, mit der taxonomischen Überarbeitung hat sich deren Anzahl deutlich erhöht. Der ursprüngliche Regenwald der Eilande ist allerdings großflächig verschwunden und wurde durch Kulturland ersetzt, weswegen unter anderem der Sangihe-Zwergeisvogel (Ceyx sangirensis) schon ausgerottet worden sein könnte. Mittlerweile läuft jedoch ein Projekt, das die verbliebenen Waldreste auf Sangihe kaufen und unter Schutz stellen soll. Als kritisch stuft Birdlife International zudem die Situation auf der indonesischen Insel Java ein, wo ebenfalls mehrere neue Arten anerkannt wurden – angesichts der dichten Besiedlung und des Drucks auf die verbliebenen Wälder dort eine Herausforderung für die Artenschützer.
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