Paläontologie: Noch nicht ganz Ohr
Mit dem Kiefer hören? Eine merkwürdige Vorstellung. Und doch haben Anatomen bereits im 19. Jahrhundert erkannt, dass wir die Existenz unserer Gehörknöchelchen einem umgewandelten Reptilienkiefergelenk verdanken. Ein jetzt entdecktes Fossil bestätigt diese Hypothese - und wirft neue Fragen auf.
Die Idee, auf die der deutsche Anatom Karl Reichert (1811-1883) kam, müssen seine Zeitgenossen als Zumutung empfunden haben. Im Jahr 1837 – also 22 Jahre vor Charles Darwins Evolutionstheorie – behauptete er, dass unser Mittelohr aus dem Kiefergelenk der Reptilien entstanden ist. Um die Jahrhundertwende konnte sein Kollege Ernst Gaupp (1865-1916) diese wundersame Wandlung des Reptilienkiefers anatomisch belegen, die damit zum Paradebeispiel für die verschlungenen Pfade der Evolution avancierte.
Die Reichert-Gaupp'sche Theorie gilt inzwischen als klassische Lehrbuchweisheit. Auch beim Embryo lassen sich diese folgenreichen Umbaumaßnahmen im Säugerschädel verfolgen. Die fossilen Belege hierfür blieben bislang jedoch spärlich.
Das etwa 15 Zentimeter große und schätzungsweise 30 Gramm schwere Tier wühlte sich in der Kreidezeit vor 125 Millionen Jahren durch die Erde auf der Suche nach Insekten und Würmer. Mit insgesamt 26 Brust- und Lendenwirbel – moderne Säugetiere begnügen sich hier mit 19 bis 20 – dürfte sich Yanoconodon ziemlich flexibel bewegt haben. Auffallend sind auch die Rippen im Lendenbereich, die noch an Kriechtiervorfahren erinnern.
Allerdings kann Yanoconodon nicht alle evolutionsbiologischen Fragen des Ohrs beantworten. Auf Grund seiner anatomischen Merkmale ordnen Luo und seine Kollegen das Fossil irgendwo zwischen den Beuteltieren und den Echten Säugetieren, den Eutheria, ein. Damit hätten sich die Eier legenden Kloakentiere, die an der Basis der Säuger stehen, bereits vor Yanoconodons Zeiten abgespalten gehabt.
Heutige Kloakentiere verfügen jedoch auch schon über ein typisches Säugermittelohr. Dies lässt nach Ansicht der Forscher zwei Schlüsse zu: Wenn die Vorfahren der Kloakentiere bereits den Umbau von Kiefer zum Gehör hinter sich hatten, müssen die Ahnen von Yanoconodon – und die der modernen Säugetiere – diese Errungenschaft zunächst verloren und dann wieder neu erfunden haben. Wenn die frühen Kloakentiere jedoch noch nicht ganz Ohr waren, dann haben sie unabhängig von ihren säugenden Verwandten die folgenreichen Umbauarbeiten in ihrem Schädel durchgeführt.
Beides ist nicht so unwahrscheinlich, wie es zunächst klingt. Verloren gegangene Eigenschaften – die ja noch im Erbgut schlummern können – werden mitunter durchaus wieder reaktiviert. Auch die zusätzlichen Rippen könnte Yanoconodon einer solchen genetischen Wiederbelebung verdanken.
Andererseits kennen Forscher seit 2005 bei dem 115 Millionen Jahre alten Kloakentier Teinolophos trusleri Gehörknöchelchen, die ebenfalls von einem noch unvollständigen Umbau zeugen – und damit eine zweimalige Erfindung des Mittelohrs andeuten. Es lohnt sich also, bei weiteren fossilen Ohrfunden hellhörig zu werden.
Demnach entwickelten die Säugetiere einen neuen sekundären Kiefer, wodurch das bisherige primäre Kiefergelenk – das für Amphibien, Reptilien und Vögel typisch ist – neuen Aufgaben zur Verfügung stand. Hieraus entstanden die beiden Gehörknöchelchen Hammer und Amboss, die zusammen mit dem Steigbügel als ausgeklügeltes mechanisches Element den vom Trommelfell aufgenommenen Schall verstärken und ans Innenohr weiterleiten.
Die Reichert-Gaupp'sche Theorie gilt inzwischen als klassische Lehrbuchweisheit. Auch beim Embryo lassen sich diese folgenreichen Umbaumaßnahmen im Säugerschädel verfolgen. Die fossilen Belege hierfür blieben bislang jedoch spärlich.
In diese fehlende Lücke springt jetzt Yanoconodon allini. So nannten die Forscher um Zhe-Xi Luo vom Carnegie-Museum für Naturgeschichte in Pittsburgh das von ihnen 2003 in Nordostchina 300 Kilometer nördlich von Peking entdeckte Fossil – und ehrten damit einerseits den Fundort, das Yan-Gebirge, andererseits den Anatom Edgar Allin, der sich in den 1970er Jahren mit der Evolution des Mittelohrs beschäftigt hatte.
Das etwa 15 Zentimeter große und schätzungsweise 30 Gramm schwere Tier wühlte sich in der Kreidezeit vor 125 Millionen Jahren durch die Erde auf der Suche nach Insekten und Würmer. Mit insgesamt 26 Brust- und Lendenwirbel – moderne Säugetiere begnügen sich hier mit 19 bis 20 – dürfte sich Yanoconodon ziemlich flexibel bewegt haben. Auffallend sind auch die Rippen im Lendenbereich, die noch an Kriechtiervorfahren erinnern.
"Die Evolution des Ohrs ist ein markantes Beispiel, wie sich eine neue und komplizierte Struktur durch Evolution herausbilden kann – und nicht durch 'intelligent design'"
(Zhe-Xi Luo)
Besonders interessierten sich die Forscher jedoch für die Mittelohrknochen: Sie haben bei Yanoconodon noch nicht ihre vollständige Unabhängigkeit erreicht, sondern bleiben mit dem Kiefer verbunden. Für dieses Verbindungsstück hat sich bereits der deutsche Anatom Johann Friedrich Meckel (1781-1833) interessiert: Der nach ihm benannte Meckel-Knorpel erscheint bei Embryonen während der Entwicklung des Schädels und geht schließlich im Hammer des Mittelohrs auf. (Zhe-Xi Luo)
"Yanoconodon zeigt deutlich eine Zwischenposition in der Evolution des Mittelohrs bei modernen Säugetieren", betont Luo und ergänzt: "Die Evolution des Ohrs ist nicht nur wichtig, um den Ursprung zentraler Anpassungsleistungen der Säugetiere zu verstehen. Sie ist auch ein markantes Beispiel, wie sich eine neue und komplizierte Struktur durch Evolution herausbilden kann – und nicht durch 'intelligent design'."
Allerdings kann Yanoconodon nicht alle evolutionsbiologischen Fragen des Ohrs beantworten. Auf Grund seiner anatomischen Merkmale ordnen Luo und seine Kollegen das Fossil irgendwo zwischen den Beuteltieren und den Echten Säugetieren, den Eutheria, ein. Damit hätten sich die Eier legenden Kloakentiere, die an der Basis der Säuger stehen, bereits vor Yanoconodons Zeiten abgespalten gehabt.
Heutige Kloakentiere verfügen jedoch auch schon über ein typisches Säugermittelohr. Dies lässt nach Ansicht der Forscher zwei Schlüsse zu: Wenn die Vorfahren der Kloakentiere bereits den Umbau von Kiefer zum Gehör hinter sich hatten, müssen die Ahnen von Yanoconodon – und die der modernen Säugetiere – diese Errungenschaft zunächst verloren und dann wieder neu erfunden haben. Wenn die frühen Kloakentiere jedoch noch nicht ganz Ohr waren, dann haben sie unabhängig von ihren säugenden Verwandten die folgenreichen Umbauarbeiten in ihrem Schädel durchgeführt.
Beides ist nicht so unwahrscheinlich, wie es zunächst klingt. Verloren gegangene Eigenschaften – die ja noch im Erbgut schlummern können – werden mitunter durchaus wieder reaktiviert. Auch die zusätzlichen Rippen könnte Yanoconodon einer solchen genetischen Wiederbelebung verdanken.
Andererseits kennen Forscher seit 2005 bei dem 115 Millionen Jahre alten Kloakentier Teinolophos trusleri Gehörknöchelchen, die ebenfalls von einem noch unvollständigen Umbau zeugen – und damit eine zweimalige Erfindung des Mittelohrs andeuten. Es lohnt sich also, bei weiteren fossilen Ohrfunden hellhörig zu werden.
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