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Neonikotinoide: Noch schädlicher als gedacht

Kein Freispruch für die umstrittenen Insektizide: Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Neonikotinoide die Bestäuber stärker in Mitleidenschaft ziehen als vermutet.
Bienenstöcke im Rapsfeld

Neonikotinoide machen Bienen krank, verkürzen ihr Leben und sind, in Kombination mit einem häufig eingesetzten Fungizid, sogar noch gefährlicher für die Bestäuber. Auch lange nach der Anwendung lassen sich die Insektizide in Böden nachweisen. Das sind die Ergebnisse zweier Studien, die in der Zeitschrift "Science" erschienen sind. Verschiedene Arbeitsgruppen haben dazu in längeren Feldstudien in Europa und Kanada sowie in einem Laborexperiment die Auswirkungen des Insektizids auf unterschiedliche Bienenarten untersucht.

Neonikotinoide sind in der EU schon seit 2013 nur in Ausnahmefällen erlaubt, und derzeit denkt die EU Kommission über ein Totalverbot für Außenflächen nach. Viele Studien haben bereits die negativen Folgen der Neonikotinoide für Bienen beschrieben. Kritiker bemängeln jedoch, dass die damaligen Experimente unter unrealistischen Bedingungen durchgeführt worden seien.

In einer der aktuellen Studien untersuchten Forscher von zwei kanadischen Hochschulen zunächst frei lebende Honigbienen, die sie in der Nähe von kanadischen Maisäckern angesiedelt hatten. Über einen Zeitraum von zwei Jahren überprüfte das Team um Amro Zayed von der York University in Toronto die Bienen und ihre gesammelten Blütenpollen auf Pflanzenschutzmittel. Fündig wurden die Forscher dabei auch an unerwarteter Stelle: Signifikante Mengen an Neonikotinoid waren in den Pollen von Wildblumen vorhanden, obwohl diese gar nicht besprüht werden. In einem kontrollierten Milieu beobachteten die Forscher anschließend, wie sich Neonikotinoide auf Honigbienen auswirken. Dabei wurde das Insektizid genau in den Mengen angewendet, die im Freiland beobachtet wurden. Das Ergebnis war eindeutig: Die Bienen starben früher als normal, waren kränker und konnten oft eine verstorbene Königin nicht ersetzen. Doch damit nicht genug – zusammen mit dem gängigen Fungizid Boscalid waren die Neonikotinoide sogar doppelt so schädlich für die Bestäuber.

Biene mit RFID-Rucksack | Um aufzuzeichnen, wann die Honigbienen den Stock verlassen, stattete das kanadische Forschungsteam sie mit RFID-Chips aus.

Ein Forscherteam um Ben Alex Woodcock vom britischen Forschungsrat Natural Environment Research Council untersuchte derweil, wie es verschiedenen Bienenarten auf europäischen Rapsfeldern ergeht, die sie zuvor mit Neonikotinoiden besprüht hatten. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Honigbienen nur auf den deutschen Testfeldern erfolgreich überwintern konnten. Während hier ihre Bestände sogar noch zunahmen, waren die Bienenvölker in Großbritannien und Ungarn im folgenden Sommer deutlich kleiner.

Auch Hummeln und Solitärbienen schienen unter den Neonikotinoiden zu leiden. In ihren Nestern fanden die Forscher Rückstände des Gifts – und je mehr davon vorhanden waren, desto schlechter pflanzten sich die Bestäuber fort. Übrigens spürten die Forscher auch Neonikotinoide auf, die in der Studie gar nicht eingesetzt wurden. Ihnen zufolge sind diese vermutlich noch aus den Zeiten vor dem EU-Verbot in der Umwelt.

Dass es den Bienen in Deutschland mit Neonikotinoiden besser erging, könnte mehrere Gründe haben. So sind deutsche Bienen generell gesünder als britische. Außerdem könnten sie sich auch aus umliegenden Feldern ernährt haben, denn das Nektarangebot in Deutschland ist im Allgemeinen höher als das in Großbritannien. Diese Faktoren könnten die Ergebnisse des Teams um Woodcock ebenso verzerrt haben wie die unterschiedlichen Witterungsbedingungen in den Ländern, bemängeln Umweltexperten auf Befragung des "Science Media Center". Aussagekräftiger sei hingegen das Ergebnis der kanadischen Gruppe, dem zufolge Fungizide die Wirkung von Neonikotinoiden noch verstärken. Das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Pflanzenschutzmitteln müsse systematisch untersucht werden, meint Josef Settele, Leiter der Arbeitsgruppe für Tierökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Derzeit würden Pflanzenschutzmittel "meist auf gut Glück" ausgebracht.

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