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News: Noch schreitet Abrüstung voran

Das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) stellt mit dem Conversion Survey 2000: Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization sein fünftes Jahrbuch vor. Die Untersuchungen belegen, dass sich die Äbrüstung weltweit in den letzten zehn Jahren fortsetzte, wenn auch in einem sehr langsamen Tempo. Allerdings scheint sich ein Trend in Richtung Aufrüsten in näherer Zukunft abzuzeichnen.
Die Kriege im Kosovo, im Kongo, in Angola, Tschetschenien und Osttimor waren die Schlüsselereignisse der Sicherheitspolitik im vergangenen Jahr. Abrüstung und Konversion dagegen machen kaum Schlagzeilen. Die Verhandlungen über Nuklearwaffen werden verschleppt und die weltpolitisch dominanten USA messen Rüstungskontrolle wie Abrüstung wenig Bedeutung bei. Deutlich wird dies aktuell durch den Versuch, ein nationales Raketenabwehrsystem aufzubauen. "Die Rüstungskontrolle ist in einer Krise und es droht ein neues Wettrüsten, denn Länder wie Russland und China, vielleicht sogar Indien, werden den Ambitionen der USA nicht tatenlos zusehen," erklärte Herbert Wulf, Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), anlässlich der Präsentation des BICC Jahrbuches in Berlin.

Die Abrüstungs- und Konversionsbilanz 1999 des BICC bezeichnet den revidierten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) als positives Ergebnis. Obwohl das Abkommen einige strittige Themen ausklammert, schreibt es ein neues Gleichgewicht offensiver Waffensysteme in Europa fest und bringt somit ein Element der Stabilität und Sicherheit. Ermutigend ist weiterhin, dass die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages im Frühjahr 2000 nicht – wie von vielen befürchtet – zu einem Fiasko wurde, sondern dass die Nuklearmächte sich abermals dazu verpflichteten, diese Massenvernichtungswaffen abzubauen. Allerdings sollten nun den Worten auch Taten folgen. Auch die Ächtung der Landminen, die Kampagnen gegen Kleinwaffen und Kinder als Soldaten bilden vielversprechende Ansätze für Abrüstung zum Wohle aller.

Auch wenn Kriege immer noch fortgeführt werden und neue oft interne Konflikte hinzugekommen sind, ist nicht zu übersehen, dass Konfliktprävention, Krisenmanagement und friedenserhaltende Maßnahmen in vielen Regionen der Welt gegriffen haben. Trotz dieser Erfahrungen wird oft und schnell nach militärischen Interventionen gerufen. Bosnien, Ruanda, Kosovo und Osttimor illustrieren diesen Trend. Konfliktprävention und Krisenmanagement müssen jedoch als integraler Bestandteil der Entwicklungspolitik verstanden und eingesetzt werden. "Doch obwohl es billiger ist, in Konfliktprävention zu investieren, sind oft paradoxerweise nur die Mittel zur Beseitigung von Kriegsschäden verfügbar," stellte Wulf fest.

Insgesamt ist fest zu halten, dass Abrüstung quantitativ voran schreitet, wenn auch im Schneckentempo. Weltweit werden heute weit weniger Ressourcen – Finanzen, Waffen und Personal – für militärische Anstrengungen als vor zehn Jahren eingesetzt. Nur noch zwei Prozent der globalen wirtschaftlichen Leistung wird durch den Unterhalt von Armeen verbraucht. Ende der 80er Jahre standen noch fünf Prozent des Bruttosozialprodukts der Welt nicht für zivile Verwendungen zur Verfügung.

Der BICC Abrüstungsindex aus der Kombination von Militärausgaben, Waffenarsenalen, Streitkräften und Beschäftigtenzahlen in der Rüstungsindustrie belegt: Auch am Ende der 90er Jahre wurde weiter abgerüstet, allerdings mit deutlich verlangsamtem Tempo. Zuletzt wurden die Militärapparate um weitere zwei Prozent reduziert. "Damit sind die Militärapparate seit dem Ende des Kalten Krieges weltweit um fast ein Drittel geschrumpft," sagte Michael Brzoska, Forschungsleiter am BICC. Allerdings warnt Michael Brzoska: "Der Abrüstungstrend hat sich stark verlangsamt und wir befürchten für das Jahr 2000 eine Trendwende zu erneuter Aufrüstung."

Mit dem conversion survey 2000 gibt die internationale Autorenschaft des BICC Jahrbuches auch eine Übersicht über die aktuellen Trends internationaler Abrüstung und Konversion. Drei regionale Schlaglichter:

In den USA befinden sich Regierung und Opposition in einer Art Rüstungswettlauf, die Militärausgaben zu erhöhen. Damit gefährden sie das, was an Rüstungskontrolle in den letzten 30 Jahren erreicht worden ist. Andere Staaten, mit denen die USA konkurrieren könnten, sind nicht in Sicht. Der Anteil der USA an den weltweiten Militärausgaben von etwa 1500 Milliarden Mark betrug 1998 knapp 37 Prozent und die in der Rangliste folgenden Staaten, Japan, Frankreich und Deutschland sind mit den USA verbündet. Erst auf dem fünften Rang folgt mit China ein potentieller militärischer Herausforderer.

In Russland hat die Regierung Putin parallel zum Krieg in Tschetschenien die Rolle des Militärs politisch aufgewertet. Schon vorher hatte die Finanzkrise des Sommers 1998 die Rüstungsindustrie gestärkt: Durch die Abwertung des Rubels kann die russische Rüstungsindustrie noch billiger auf dem Weltmarkt anbieten. Rüstungsexporte sind inzwischen wichtiger für die russische Rüstungsindustrie als die einheimische Nachfrage.

Deutschland liegt im Abrüstungstrend weit vorne, weltweit auf dem zwölften Rang und hat seinen militärischen Sektor gegenüber dem Ende des Kalten Krieges auf fast die Hälfte verkleinert. Das rasante Tempo der Abrüstung in Deutschland in der ersten Hälfte der 90er Jahre hat sich aber überproportional verlangsamt. Unter allen Staaten der Welt liegt Deutschland bei den Militärausgaben auf dem vierten Platz. Dabei könnte der Abrüstungsprozess gerade jetzt wieder an Fahrt gewinnen: Im Rahmen der Umstrukturierung der Bundeswehr wird schon kurzfristig Abrüstungs- und Konversionsbedarf entstehen. Abrüstung durch die Reduzierungen an schweren Waffen und Konversion durch die beträchtlichen Chancen, die sich durch zivile Nutzungsmöglichkeiten von zu schließenden Standorten und Kasernen ergeben.

Auf europäischer Ebene brauchen wir eine gründliche Debatte über die Ziele einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik, einschließlich der "Demilitarisierung" von sicherheitspolitischen Planungen und ihrer finanziellen Aspekte. "Weniger, nicht mehr, Finanzen werden militärische und zivile Planer dazu bringen, Reformen auf europäischer Ebene nicht länger zu verzögern," argumentierte Wulf.

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