Nördlinger Ries: Außergewöhnlicher Elfenbeinkamm aus dem Frühmittelalter entdeckt
Wenn im Frühmittelalter die Angehörigen der alemannischen Oberschicht starben, bekamen sie wohl viel von dem mit ins Grab, was ihnen zu Lebzeiten lieb und teuer war. Das zeigt sich nun an zwei außergewöhnlichen Bestattungen aus Deiningen, Landkreis Donau-Ries. Sie enthielten »echte Luxusgüter«, wie der bayerische Generalkonservator Mathias Pfeil sagt. In dem einen Grab fanden die Archäologen des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege einen Elfenbeinkamm mit hochwertigen Schnitzereien, in dem anderen eine Keramikschale, die ursprünglich in Nordafrika hergestellt worden war. Die Behörde macht die Funde nun in einer Pressemitteilung publik.
Im 6. Jahrhundert hatte das Imperium Romanum zumindest im Westen praktisch aufgehört zu existieren. Dennoch unterhielt man auch in ehemaliger Reichsrandlage noch Kontakte ins Reichsgebiet von einst – zum Beispiel durch Handel, aber auch durch Kriegszüge. In die Auseinandersetzungen zwischen den Ostgoten und dem Oströmischen Reich um das Gebiet des heutigen Italien etwa seien auch Alemannen involviert gewesen, schreibt das Denkmalamt. Die Alemannen waren jener germanische Stamm, der seinerzeit Teile des heutigen Südwestdeutschland besiedelte. Sie standen im 6. Jahrhundert unter fränkischer Herrschaft.
In dem einen der beiden Gräber wurde ein etwa 40 bis 50 Jahre alter Mann bestattet. Ein Langschwert, eine Lanze, ein Schild, eine Streitaxt sowie ein Bronzebecken weisen ihn als hochrangigen Krieger aus. Sporen und Zaumzeugreste deuten darauf hin, dass er ein Reiter war. Passend dazu wurde neben ihm in einer Grube ein Pferd niedergelegt. Am rechten Fußende des Grabs befanden sich die Überreste einer Tasche mit Utensilien zur Haar- und Bartpflege: eine Schere und der verzierte Elfenbeinkamm.
Afrikanische Keramik – und afrikanische Tiere?
Die Schnitzereien zeigen eine lebendige Jagdszene, in der gazellenartige Tiere vor Raubtieren davonzuspringen scheinen. Womöglich seien hier tatsächlich Tiere aus Afrika dargestellt worden, schreiben die Fachleute des Landesamts, aber die Art lasse sich nicht genau bestimmen. Aus dem 6. Jahrhundert sind kaum Elfenbeinkämme erhalten, und die wenigen Exemplare, die es gibt, zeigen religiöse Motive. Das mache den Deininger Kamm auch kunsthistorisch zu einem außergewöhnlichen Stück, sagt Johann Friedrich Tolksdorf, der zuständige Archäologe am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Das völlig zerbrochene Stück musste in minuziöser Arbeit in der Restaurierungswerkstatt zusammengesetzt werden.
Bemerkenswert ist außerdem eine Keramikschale, die im benachbarten Grab einer etwa 30 bis 40 Jahre alten Frau gefunden wurde. Die Töpferei stammt nicht aus heimischer Produktion, sondern wurde vermutlich im heutigen Tunesien hergestellt. In den dortigen Werkstätten entstanden hochwertige Waren, die mit einer feinen roten Glasur überzogen waren. Diese so genannte »African red slip ware« ist eine spätantike Fortsetzung der Terra-Sigillata-Keramik, die im gesamten Römischen Reich hoch geschätzt wurde. Bis nach Mitteleuropa gelangten davon aber nur wenige Teile, was noch einmal unterstreicht, wie kostbar diese Grabbeigaben gewesen sein müssen.
Am Rand der Schale sind schriftähnliche Zeichen erkennbar. Sie wurden vielleicht in Anlehnung an lateinische Buchstaben oder Runen gestaltet. Ihre Bedeutung ist den Ausgräbern zufolge jedoch völlig unklar. Lesbare Inschriften auf Gegenständen jener Zeit seien formelhafte Sprüche oder Namens- und Besitzangaben gewesen.
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