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Anschlag auf Erdgas-Pipelines: Viel Methan aus Nord-Stream-Gaslecks blieb im Meerwasser

Explosionen zerstörten im Jahr 2022 drei Pipelines in der Ostsee, hunderttausende Tonnen Methan strömten aus. Ein erstaunlich großer Teil ist nicht in die Atmosphäre gelangt, sondern hat sich im Wasser gelöst. Mögliche Folgen für Meeresorganismen sind noch ungewiss.
Blasen steigen aus tiefblauem Wasser an die Oberfläche
Wir kennen es von Mineralwasser: Sprudelnde Bläschen zeigen, dass sich in der Flüssigkeit jede Menge mehr Gas verbirgt.

Am 26. September 2022 haben Explosionen drei von Russland betriebene Erdgas-Pipelines in der Ostsee zerstört. Die Folge war die größte bekannte Freisetzung von Methan in einem menschengemachten Ereignis – hunderttausende Tonnen gelangten in die Atmosphäre. Nun hat ein Team um die Meereschemikerin Katarina Abrahamsson von der schwedischen Universität Göteborg und Geowissenschaftlerin Ellen Damm vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam Erkenntnisse dazu veröffentlicht, dass ein erheblicher Anteil des ausgetretenen Gases im Meerwasser geblieben ist. Wie die Fachleute durch Messungen vor Ort und Hochrechnungen ermittelten, lösten sich mehrere zehntausend Tonnen Methan im Wasser der Ostsee.

Abrahamsson und Damm organisierten kurz nach der Zerstörung der Pipelines eine Schiffsexpedition in die Region und nahmen ab dem 3. Oktober 2022 Wasserproben nahe der betroffenen Gegend bei Bornholm. Durch Isotopenuntersuchungen unterschieden sie das bei den Lecks ausgetretene Methan von demjenigen, das natürlicherweise vorkommt – die Varianten der Atome in den Molekülen variieren ein wenig. Laut ihrer Publikation konnten sie zwar an 20 verschiedenen Stellen rund um die Lecks Proben nehmen, wegen einer Sicherheitszone von sieben Seemeilen (knapp 13 Kilometer) allerdings nicht unmittelbar oberhalb der Austrittszone. Dabei drangen sie mit ihren Messsonden in verschiedene Wassertiefen bis unmittelbar über den Meeresboden vor.

Beim Vergleich der Mengen fossilen Methans in den unterschiedlichen Wasserschichten stellten sie fest, dass das Meer unterhalb der so genannten Halokline in einer Tiefe zwischen 50 und 60 Meter praktisch frei von Pipeline-Methan war. Auf der Halokline schwimmt weniger salzhaltiges Wasser auf, beide Lagen mischen sich kaum. Hingegen befand sich in der Schicht darüber extrem viel Methan, bis zu 1000-mal so viel wie natürlicherweise üblich. Dieser Bereich unter der Oberfläche war mit dem Gas übersättigt (das Phänomen kennen wir von CO2 in Sprudelwasser). Die beiden Forscherinnen schreiben, die Abwesenheit in großer Tiefe lege nahe, »dass die Wucht der Explosion stark genug war, um das Gas von den Nord-Stream-Pipelines sofort oberhalb der Halokline zu befördern«.

Ein kleiner Teil für die Atmosphäre, ein großer für die Ostsee

Auf Basis der von ihnen gemessenen Konzentrationen und mit Hilfe von Simulationen der bei den Lecks freigesetzten Teilchen rechneten die Forscherinnen hoch, wie viel Pipeline-Methan sich insgesamt im Wasser der Ostsee gelöst hat. Wegen der vielen Datenlücken und unsicheren Abschätzungen ist die mögliche Spanne groß: zwischen 10 000 und 55 000 Tonnen. In die Atmosphäre wurden einer Studie von 2022 zufolge unterdessen vermutlich um die 220 000 Tonnen Methan freigesetzt. Zum Vergleich: Diese Menge entspricht insgesamt kaum den täglichen weltweiten Emissionen aus anderen Quellen. (Methan wirkt sich deutlich stärker auf das Klima aus als die gleiche Menge CO2, verbleibt anders als dieses aber nur einige Jahre in der Atmosphäre).

Global betrachtet hatten die Gaslecks also keine dramatischen Folgen. Wegen der großen Methanmenge, die sich in der Ostsee gelöst hat, könnten sie sich lokal aber durchaus auf das Ökosystem ausgewirkt haben. Natürlicherweise wird Methan von Mikroorganismen im Meer produziert und von anderen Mikroben abgebaut. Das Ereignis könnte daher biologische Gleichgewichte verschoben haben. Die Autorinnen nennen solche möglichen Folgen in ihrem Paper und verweisen auf die katastrophale Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010, nach der sich Kohlenstoff aus dem freigesetzten Gas und Öl noch nach Jahren in der Nahrungskette nachweisen ließ.

Ein Beleg, ob die Gaslecks das Ökosystem der Ostsee tatsächlich messbar beeinflusst haben, steht allerdings noch aus. Einer Mitteilung der Universität Göteborg zufolge wurden bei dieser und einer Folgeexpedition außerdem Planktonproben genommen, aber noch nicht vollständig untersucht; vorläufige Auswertungen deuten tatsächlich auf eine erhöhte bakterielle Aktivität.

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  • Quellen

Abrahamsson, K., et al.: Methane plume detection after the 2022 Nord Stream pipeline explosion in the Baltic Sea. Scientific Reports 14, 2024

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