Nobelpreise 2007: Oberflächlich
Im Auto, auf dem Acker, im Computer oder oben in der Atmosphäre - weit verbreitet finden die Prozesse statt, für die sich Gerhard Ertl interessiert. Der Physiker des Berliner Fritz-Haber-Instituts und diesjährige Chemie-Nobelpreisträger schuf die Grundlagen der modernen Oberflächenchemie, indem er den Ablauf wichtiger chemischer Reaktionen auf Oberflächen im Detail beschrieb.
Das Telefonklingeln dürfte für Gerhard Ertl ein besonderes Geburtstagsgeschenk gewesen sein. Denn der Anrufer aus Stockholm wollte dem Physiker, der am 10. Oktober 1936 in Bad Cannstatt das Licht der Welt erblickte, nicht zu seinem 71. Geburtstag gratulieren, sondern ihm schlicht mitteilen, dass er dieses Jahr die höchste wissenschaftliche Auszeichnung für Chemie erhält. Und zwar – was heutzutage eher selten geschieht – allein. Den von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotierten Nobelpreis für Chemie des Jahres 2007 "für seine Studien von chemischen Verfahren auf festen Oberflächen" braucht Ertl mit keinen weiteren Kollegen zu teilen.
Die Auflösung
Das Nobelpreiskomitee würdigt damit Forschungen, deren technische Anwendung uns im Alltag ständig begegnet. Das Wort "Katalysator" ist schließlich jedem geläufig, der sich motorisiert auf unseren Straßen bewegt. Chemiker kennen es freilich deutlich länger – und denken dabei weniger an stinkende Abgase aus dem Autoauspuff. Den Begriff, in dem sich das griechische Wort katalysis für "Auflösung" verbirgt, hat 1836 der schwedische Chemiker Jöns Jakob von Berzelius (1779-1848) eingeführt, als er beobachtete, dass Stoffe an Reaktionen beteiligt sein können, ohne verbraucht zu werden. Die Erklärung hierfür fand sein deutscher Kollege Wilhelm Ostwald (1853-1932): Er definierte einen Katalysator als Stoff, der die Geschwindigkeit einer Reaktion erhöht, ohne im Endprodukt aufzutauchen – eine Definition, die ihm 1909 den Chemie-Nobelpreis bescherte.
Dünger aus Luft
Die erste wirtschaftlich bedeutende heterogene Katalyse ist gleich mit zwei Nobelpreisträgern verknüpft: Der deutsche Chemiker Fritz Haber (1868-1934), dessen Renommee auf Grund seiner Beteiligung an der Giftgasproduktion im Ersten Weltkrieg arg gelitten hat, entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die künstliche Synthese von Ammoniak (NH3) aus elementarem Stickstoff (N2) und Wasserstoff (H2). Kurz darauf setzte Carl Bosch (1874-1940) das Verfahren bei der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik – heute kurz BASF genannt – großtechnisch um. Haber erhielt 1918 den Chemie-Nobelpreis, Bosch zusammen mit Friedrich Bergius 1931.
Haber und Bosch hatten noch keine Ahnung, was bei ihrer Reaktion wirklich im Einzelnen passiert; das Geheimnis lüftete erst Gerhard Ertl. Üblicherweise wird beim Haber-Bosch-Verfahren fein verteiltes Eisen als Katalysator eingesetzt. Ertl, der in Stuttgart und München studierte und von 1986 bis 2004 die Abteilung für Physikalische Chemie des Fritz-Haber-Instituts in Berlin leitete, platzierte eine reine und gleichmäßige Eisen-Oberfläche in eine Vakuumkammer und pumpte die beiden Gase Stickstoff und Wasserstoff in geringen, gut kontrollierbaren Mengen hinein.
Als Ertl die Konzentration von N-Atomen auf der Oberfläche maß, stellte er fest, dass diese umso stärker sank, je mehr Wasserstoff er hineinpumpte. Damit war klar: Die atomare Form des Stickstoffs reagiert mit Wasserstoff. Wäre die Reaktion auf der Metalloberfläche mit Stickstoff-Molekülen erfolgt, dann hätte sich die Konzentration des atomaren Stickstoffs dort nicht verändert.
Ertl wollte nun die weiteren Reaktionsschritte ebenfalls untersuchen. Hierbei machte er sich zu Nutze, dass die Reaktion auch rückwärts laufen kann. Er studierte daher, wie Ammoniak an der Eisen-Oberfläche haftet und dann schrittweise in seine Bestandteile Stickstoff und Wasserstoff zerfällt. Durch Verwendung des schweren Wasserstoff-Isotops Deuterium konnte er die Geschwindigkeiten und die Aktivierungsenergien der einzelnen Reaktionsschritte messen.
Abgasentgifter
Als weitaus schwieriger erwies sich das Studium der Kohlenmonoxid-Oxidation auf Platin-Oberflächen, da sie im Gegensatz zum Haber-Bosch-Verfahren nicht reversibel von statten geht. Dieser im Autokatalysator ablaufende Prozess wandelt giftiges Kohlenmonoxid (CO) in Kohlendioxid (CO2) um, bevor es den Auspuff verlässt.
Ertl konnte herausfinden, dass die scheinbar einfache Reaktion äußerst komplex abläuft: Die Geschwindigkeiten der einzelnen Schritte können je nach Bedeckung der Platin-Oberfläche mit den Reaktionspartnern variieren; mitunter führen diese Schwankungen zu einem chaotischen Verlauf.
Die Chemie der Oberfläche, wie sie Gerhard Ertl untersuchte, mischt bei zahlreichen Prozessen mit. Beispielsweise hängt von ihr die gesamte Halbleiterindustrie ab. Auch der Abbau der Ozonschicht lässt sich mit Oberflächenchemie erklären, da die entscheidenden Reaktionsschritte auf der Oberfläche kleiner Eiskristalle in der Stratosphäre ablaufen.
"Gerhard Ertl hat die Basis für das Verständnis von industriellen Katalysatoren und katalytischen Prozessen gelegt", betont Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohleforschung, ein Kollege des Nobelpreisträgers. "Sie kann uns helfen, so unterschiedliche Vorgänge wie das Rosten von Eisen und die Arbeitsweise von Brennstoffzellen oder von Katalysatoren in unseren Autos zu verstehen."
Die Auflösung
Das Nobelpreiskomitee würdigt damit Forschungen, deren technische Anwendung uns im Alltag ständig begegnet. Das Wort "Katalysator" ist schließlich jedem geläufig, der sich motorisiert auf unseren Straßen bewegt. Chemiker kennen es freilich deutlich länger – und denken dabei weniger an stinkende Abgase aus dem Autoauspuff. Den Begriff, in dem sich das griechische Wort katalysis für "Auflösung" verbirgt, hat 1836 der schwedische Chemiker Jöns Jakob von Berzelius (1779-1848) eingeführt, als er beobachtete, dass Stoffe an Reaktionen beteiligt sein können, ohne verbraucht zu werden. Die Erklärung hierfür fand sein deutscher Kollege Wilhelm Ostwald (1853-1932): Er definierte einen Katalysator als Stoff, der die Geschwindigkeit einer Reaktion erhöht, ohne im Endprodukt aufzutauchen – eine Definition, die ihm 1909 den Chemie-Nobelpreis bescherte.
Biologen sind diese chemischen Wunderknaben wohl vertraut - schließlich wäre ohne Enzyme, wie die Biokatalysatoren heißen, Leben schlicht undenkbar. Doch auch ein Großteil chemischer Produkte lässt sich ohne Reaktionsbeschleuniger gar nicht oder nicht wirtschaftlich herstellen. Im Gegensatz zu biologischen Systemen, bei denen die Reaktionspartner gelöst sind, befinden sich bei industriellen Prozessen Katalysator und reagierende Teilchen meist in unterschiedlichen Aggregatzuständen: Der Katalysator ist ein Feststoff, an dessen Oberfläche die Reaktionspartner als Flüssigkeiten oder Gase binden. Und die Geheimnisse einer solchen "heterogenen Katalyse" zu ergründen, erweist sich als ziemlich vertrackt.
Dünger aus Luft
Die erste wirtschaftlich bedeutende heterogene Katalyse ist gleich mit zwei Nobelpreisträgern verknüpft: Der deutsche Chemiker Fritz Haber (1868-1934), dessen Renommee auf Grund seiner Beteiligung an der Giftgasproduktion im Ersten Weltkrieg arg gelitten hat, entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die künstliche Synthese von Ammoniak (NH3) aus elementarem Stickstoff (N2) und Wasserstoff (H2). Kurz darauf setzte Carl Bosch (1874-1940) das Verfahren bei der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik – heute kurz BASF genannt – großtechnisch um. Haber erhielt 1918 den Chemie-Nobelpreis, Bosch zusammen mit Friedrich Bergius 1931.
Das Haber-Bosch-Verfahren trug reiche Frucht – ermöglicht es doch die Herstellung von Kunstdünger aus dem in der Luft reichlich vorhandenen Stickstoff. Für etliche Bakterien stellt die Ammoniaksynthese kein großes Problem dar, großtechnisch gelingt sie jedoch nur unter hohem Druck und hoher Temperatur sowie – mit einem Katalysator.
Haber und Bosch hatten noch keine Ahnung, was bei ihrer Reaktion wirklich im Einzelnen passiert; das Geheimnis lüftete erst Gerhard Ertl. Üblicherweise wird beim Haber-Bosch-Verfahren fein verteiltes Eisen als Katalysator eingesetzt. Ertl, der in Stuttgart und München studierte und von 1986 bis 2004 die Abteilung für Physikalische Chemie des Fritz-Haber-Instituts in Berlin leitete, platzierte eine reine und gleichmäßige Eisen-Oberfläche in eine Vakuumkammer und pumpte die beiden Gase Stickstoff und Wasserstoff in geringen, gut kontrollierbaren Mengen hinein.
Dass sich hierbei die Wasserstoff-Moleküle umgehend aufteilen und in atomarer Form auf der Eisen-Oberfläche haften, wusste Ertl bereits. Die spannende Frage lautete: Was geschieht mit dem Stickstoff? Reagiert er in molekularer oder in atomarer Form mit seinem Reaktionspartner?
Als Ertl die Konzentration von N-Atomen auf der Oberfläche maß, stellte er fest, dass diese umso stärker sank, je mehr Wasserstoff er hineinpumpte. Damit war klar: Die atomare Form des Stickstoffs reagiert mit Wasserstoff. Wäre die Reaktion auf der Metalloberfläche mit Stickstoff-Molekülen erfolgt, dann hätte sich die Konzentration des atomaren Stickstoffs dort nicht verändert.
Ertl zeigte weiter, dass die Spaltung der Stickstoff-Moleküle der langsamste und damit der geschwindigkeits- bestimmende Schritt der gesamten Reaktion ist. Die Dreifachbindung zweier Stickstoff-Atome gehört zu den stärksten in der Chemie. Sind die Atome erst einmal getrennt, nehmen sie rasch Wasserstoff-Atome zur Bildung von Ammoniak auf. Will man das Haber-Bosch-Verfahren optimieren, muss man demnach an diesem entscheidenden Schritt eingreifen. Ertl konnte nachweisen, dass Kalium auf der Eisen-Oberfläche die Spaltung der Stickstoff-Moleküle beschleunigt.
Ertl wollte nun die weiteren Reaktionsschritte ebenfalls untersuchen. Hierbei machte er sich zu Nutze, dass die Reaktion auch rückwärts laufen kann. Er studierte daher, wie Ammoniak an der Eisen-Oberfläche haftet und dann schrittweise in seine Bestandteile Stickstoff und Wasserstoff zerfällt. Durch Verwendung des schweren Wasserstoff-Isotops Deuterium konnte er die Geschwindigkeiten und die Aktivierungsenergien der einzelnen Reaktionsschritte messen.
Abgasentgifter
Als weitaus schwieriger erwies sich das Studium der Kohlenmonoxid-Oxidation auf Platin-Oberflächen, da sie im Gegensatz zum Haber-Bosch-Verfahren nicht reversibel von statten geht. Dieser im Autokatalysator ablaufende Prozess wandelt giftiges Kohlenmonoxid (CO) in Kohlendioxid (CO2) um, bevor es den Auspuff verlässt.
Ertl konnte herausfinden, dass die scheinbar einfache Reaktion äußerst komplex abläuft: Die Geschwindigkeiten der einzelnen Schritte können je nach Bedeckung der Platin-Oberfläche mit den Reaktionspartnern variieren; mitunter führen diese Schwankungen zu einem chaotischen Verlauf.
Auch die Temperatur ist hierbei entscheidend: Unterhalb von 150 Grad Celsius blockieren Kohlenmonoxid-Moleküle die Platin-Oberfläche für Sauerstoff und wirken so als Katalysatorgift. Daher bleibt der Katalysator nach dem Start des Motors noch wirkungslos.
Die Chemie der Oberfläche, wie sie Gerhard Ertl untersuchte, mischt bei zahlreichen Prozessen mit. Beispielsweise hängt von ihr die gesamte Halbleiterindustrie ab. Auch der Abbau der Ozonschicht lässt sich mit Oberflächenchemie erklären, da die entscheidenden Reaktionsschritte auf der Oberfläche kleiner Eiskristalle in der Stratosphäre ablaufen.
"Gerhard Ertl hat die Basis für das Verständnis von industriellen Katalysatoren und katalytischen Prozessen gelegt", betont Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohleforschung, ein Kollege des Nobelpreisträgers. "Sie kann uns helfen, so unterschiedliche Vorgänge wie das Rosten von Eisen und die Arbeitsweise von Brennstoffzellen oder von Katalysatoren in unseren Autos zu verstehen."
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