Genetische Mediävistik: Oberschichten-Inzucht
"Hengist und Horsa" sind "Romulus und Remus" der Engländer - die mythischen angelsächsischen Zwillingsbrüder halfen den Germanen, Britannien zu sichern und die keltische Gefahr aus dem Norden zu bannen. Wegen ihnen und ihresgleichen könnten sich noch heute Engländer und Deutsche ähnlicher sein, als manche glauben wollen.
Ähnlichkeiten sind immer eine Frage des Standpunktes. Klar etwa, dass aus Sicht eines australischen Ureinwohners Südamerikaner und Südfranzosen sich gar nicht sehr unterscheiden – oder US-Amerikaner und Kanadier, Tschechen und Bulgaren oder Ghanaer und Angolaner. Zwei Nachbarn in der Ferne, meint sicher nicht nur der typische Aborigine, sind eigentlich immer auf ziemlich ähnliche Weise anders als man selbst. Ähnlichkeiten zu sehen, ist also auch eine Frage der Vertrautheit – je mehr diese wächst, desto feinere Unterschiedlichkeitsdetails erlangen wachsende Bedeutung. Und so empfinden Nachbarn objektiv sehr ähnliche Nachbarn subjektiv oft als sehr anders.
Nicht überzeugt? Gut – dann fragen Sie mal einen durchschnittlichen Schotten, ob der Nungarstamm aus Süd- und die Nyoongar aus Südwestaustralien sich mehr voneinander unterscheiden als er selbst sich vom Engländer. Wenn er schlau ist, sagt er "Keine Ahnung" – ist er typisch, wird er bei aller Vertrautheit mit seinem südlichen Mit-Briten sicher auf einem bestehen: Ein Schotte ist anders als ein "Sasunnach" – das gälische, meist eher abschätzig gebrauchte Etikett für alle südlich des Hadrianswalls.
Wobei der durchschnittliche Schotte irgendwo recht hat, wie nun ein Forscherteam um Mark Thomas vom University College London erneut bestätigt: Alle Sasunnachs, also die modernen Nachkommen der frühmittelalterlichen Sachsen und Angeln, sind zumindest genetisch auch heute noch anders als die immer schon mehr urkeltisch angehauchte Mischung der Schotten mit ihren piktischen und skotischen Vorfahren.
Schuld am englischen Angelsachsen-Ahne sind dabei ironischerweise wohl Pikten und Skoten selbst, meinen Geschichtswissenschaftler. Eine kurze Rückblende: Wahrscheinlich waren es Überfälle dieser beiden nördlichen Volksgruppen auf den Süden Britanniens, welche die Einheimischen dazu brachten, nach kampfkräftigen Hilfskräften zu rufen. Die vormalige Schutz- und Besatzertruppe der Römer war gerade im Begriff, Ur-England aufzugeben und dabei eine verlockend wehrlose entmilitarisierte Zone zurückzulassen. Einige germanische Angeln und Sachsen waren vielleicht schon damals da, wahrscheinlich als ehemals römische Hilfstruppen – im Laufe des 5. Jahrhunderts aber begann eine veritable Invasion weiteren germanischen Volkes über Kanal und Nordsee. Neben mehr und mehr Angeln und Sachsen siedelten sich bald auch noch ein paar Friesen, Jüten und Franken an. Bald verschmolzen sie zur neuen Bevölkerung des entstehenden Englands – den Angelsachsen.
Mit Gewalt, meinen Thomas und Kollegen nach Computeranalysen – zumindest sanfter, sozialer Gewalt. Aus vielerlei Quellen belegt ist, dass die befehlende Oberschicht der sich umwälzenden Gesellschaft schon bald ausschließlich von Angelsachsen gebildet wurde, die als wenige wertvolle Noble eine große Unterschicht von Ur-Briten dominierte. Beredtes Zeugnis der Sozialstruktur liefern alte Gesetzestexte wie jene des 695 verstorbenen Herrschers Ine: Er legte fest, dass der Totschlag eines keltischen Ureinwohners mit bis zu fünfmal geringerem Blutgeld zu sühnen sei als der an einem Angelsachsen.
In diesem System, so nicht erst Thomas' Idee, sorgte dann eine reproduktive Isolation von höher bewerteten und niederen sozialen Schichten für eine Art frühmittelalterlicher Apartheid. Wäre die Fortpflanzungswahrscheinlichkeit der Angelsachsen nur um 1,8 Mal höher gewesen als die der Ureinwohner, dann müssten in bereits fünf Generationen mehr als die Hälfte aller Y-Chromosomen angelsächsischer Herkunft sein, errechneten die Forscher. Und so haben wirklich vielleicht nur 20 000 germanische "Invasoren" ausgereicht, um den modernen Engländern ihren Stempel aufzudrücken und das keltische Erbe an den Rand zu drängen. Also "sind wir größtenteils deutsch", verkürzt der Engländer Thomas der Publicity halber sein Studienergebnis.
Klar, dass er damit auf der Insel Widerstand provoziert. Nicht nur von den pakistanisch-, karibisch- und afrikanischstämmigen heutigen Briten, selbst Angeln und Sachsen hätten schließlich mit dem Begriff deutsch eher wenig anfangen können – auch, als sie lang vor ihrem England-Abenteuer Stammesgründe des späteren Norddeutschlands und Dänemarks beackerten. Dahin hatte es Angeln, Sachsen, Friesen und Jüten übrigens irgendwann einmal als Sammelgruppe der Westgermanen oder Ingvaeonen verschlagen, lange nachdem wir alle als Homo sapiense einmal aus Afrika rübergemacht hatten. Wenn überhaupt, Herr Thomas, dann sind wir von Schottland bis Südaustralien alle Afrikaner.
Nicht überzeugt? Gut – dann fragen Sie mal einen durchschnittlichen Schotten, ob der Nungarstamm aus Süd- und die Nyoongar aus Südwestaustralien sich mehr voneinander unterscheiden als er selbst sich vom Engländer. Wenn er schlau ist, sagt er "Keine Ahnung" – ist er typisch, wird er bei aller Vertrautheit mit seinem südlichen Mit-Briten sicher auf einem bestehen: Ein Schotte ist anders als ein "Sasunnach" – das gälische, meist eher abschätzig gebrauchte Etikett für alle südlich des Hadrianswalls.
Wobei der durchschnittliche Schotte irgendwo recht hat, wie nun ein Forscherteam um Mark Thomas vom University College London erneut bestätigt: Alle Sasunnachs, also die modernen Nachkommen der frühmittelalterlichen Sachsen und Angeln, sind zumindest genetisch auch heute noch anders als die immer schon mehr urkeltisch angehauchte Mischung der Schotten mit ihren piktischen und skotischen Vorfahren.
Schuld am englischen Angelsachsen-Ahne sind dabei ironischerweise wohl Pikten und Skoten selbst, meinen Geschichtswissenschaftler. Eine kurze Rückblende: Wahrscheinlich waren es Überfälle dieser beiden nördlichen Volksgruppen auf den Süden Britanniens, welche die Einheimischen dazu brachten, nach kampfkräftigen Hilfskräften zu rufen. Die vormalige Schutz- und Besatzertruppe der Römer war gerade im Begriff, Ur-England aufzugeben und dabei eine verlockend wehrlose entmilitarisierte Zone zurückzulassen. Einige germanische Angeln und Sachsen waren vielleicht schon damals da, wahrscheinlich als ehemals römische Hilfstruppen – im Laufe des 5. Jahrhunderts aber begann eine veritable Invasion weiteren germanischen Volkes über Kanal und Nordsee. Neben mehr und mehr Angeln und Sachsen siedelten sich bald auch noch ein paar Friesen, Jüten und Franken an. Bald verschmolzen sie zur neuen Bevölkerung des entstehenden Englands – den Angelsachsen.
"Wir sind größtenteils deutsch"
(Mark Thomas)
Klar, dass diese Angelsachsen auch in modernen Engländern Spuren hinterlassen haben, und zwar massenhaft: In ihren Genen – genauer, in ihren Y-Chromosomen – finden sich zum Teil weit mehr als fünfzig Prozent Gensequenzen, die typisch für die eingewanderten Angeln und Sachsen waren. Genau dieser enorme Eintrag der alten Migranten in den Genpool Englands ist allerdings für einige Archäologen ungemein schwer zu akzeptieren, die sich etwas genauer mit der wirklichen Größenordnung der "Invasion" im 5. Jahrhundert beschäftigt hatten. Denn rund zwei Millionen urbritische Kelten hatten damals gelebt – aber nur geschätzt rund 10 000 bis 200 000 prä-englische Neuankömmlinge waren in zwei Jahrhunderten nach und nach vom germanischen Teil des Festlandes auf die Insel getröpfelt. Wie konnten sich diese Wenigen derart dominant im genetischen Erbe niederschlagen? (Mark Thomas)
Mit Gewalt, meinen Thomas und Kollegen nach Computeranalysen – zumindest sanfter, sozialer Gewalt. Aus vielerlei Quellen belegt ist, dass die befehlende Oberschicht der sich umwälzenden Gesellschaft schon bald ausschließlich von Angelsachsen gebildet wurde, die als wenige wertvolle Noble eine große Unterschicht von Ur-Briten dominierte. Beredtes Zeugnis der Sozialstruktur liefern alte Gesetzestexte wie jene des 695 verstorbenen Herrschers Ine: Er legte fest, dass der Totschlag eines keltischen Ureinwohners mit bis zu fünfmal geringerem Blutgeld zu sühnen sei als der an einem Angelsachsen.
In diesem System, so nicht erst Thomas' Idee, sorgte dann eine reproduktive Isolation von höher bewerteten und niederen sozialen Schichten für eine Art frühmittelalterlicher Apartheid. Wäre die Fortpflanzungswahrscheinlichkeit der Angelsachsen nur um 1,8 Mal höher gewesen als die der Ureinwohner, dann müssten in bereits fünf Generationen mehr als die Hälfte aller Y-Chromosomen angelsächsischer Herkunft sein, errechneten die Forscher. Und so haben wirklich vielleicht nur 20 000 germanische "Invasoren" ausgereicht, um den modernen Engländern ihren Stempel aufzudrücken und das keltische Erbe an den Rand zu drängen. Also "sind wir größtenteils deutsch", verkürzt der Engländer Thomas der Publicity halber sein Studienergebnis.
Klar, dass er damit auf der Insel Widerstand provoziert. Nicht nur von den pakistanisch-, karibisch- und afrikanischstämmigen heutigen Briten, selbst Angeln und Sachsen hätten schließlich mit dem Begriff deutsch eher wenig anfangen können – auch, als sie lang vor ihrem England-Abenteuer Stammesgründe des späteren Norddeutschlands und Dänemarks beackerten. Dahin hatte es Angeln, Sachsen, Friesen und Jüten übrigens irgendwann einmal als Sammelgruppe der Westgermanen oder Ingvaeonen verschlagen, lange nachdem wir alle als Homo sapiense einmal aus Afrika rübergemacht hatten. Wenn überhaupt, Herr Thomas, dann sind wir von Schottland bis Südaustralien alle Afrikaner.
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