Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten: Obstbauern wollen massenhaft Antibiotika sprühen
In Florida werden auch im April 2019 die Zitrusbäumchen weiß aufblühen und die Saison einläuten. Gleichzeitig liegt diesmal ein Wandel in der Luft: Überall haben Obstbauern Vorbereitungen getroffen, ihre Kulturen mit hunderttausenden Kilogramm von zwei Sorten Antibiotika zu besprühen. Damit wollen sie endlich das Citrus Greening besiegen – eine seit Jahrzehnten grassierende, oft tödliche bakterielle Erkrankung der Obstbäume.
Die Erlaubnis für den Sprüheinsatz bekamen die Züchter von der US-Umweltschutzbehörde (EPA): Streptomycin und Oxytetracyclin sollen routinemäßig mehrmals im Jahr zum Einsatz kommen, beginnend mit dem Austreiben der ersten Blattgeneration im Frühjahr. In Florida könnten Züchter so unter dem Strich bis zu 440 000 Kilogramm der Medikamente versprühen. Dieses schiere Ausmaß alarmiert Forscher und Gesundheitspolitiker gleichermaßen – obwohl die aus humanmedizinischen Forschungsbemühungen hervorgegangenen Verbindungen ja bereits früher in Pflanzenkulturen gespritzt und auch schon bei Zitrusfrüchten angewendet wurden.
Hier finde »ein gigantisches Experiment unter nur begrenzter Überwachung« statt, kommentiert etwa Steven Roach, Chefanalytiker von Keep Antibiotics Working in Iowa City, einem Verbund von Forschungs- und Interessenvertretungen, der formal Einspruch gegen den Plan bei der EPA Einspruch erhoben hat.
In der Tat überrascht der Zeitpunkt des Vorstoßes von Obstbauern für die Erlaubnis zum Antibiotika-Masseneinsatz: Immerhin redet man in politischen Entscheiderkreisen seit mehr als einem Jahrzehnt ja eher über eine Begrenzung und Reduzierung antibiotischer Wirkstoffe. Die Europäische Union zum Beispiel hat den Einsatz der Medikamente zur Wachstumsförderung in Tierfutter 2006 verboten, die Vereinigten Staaten zogen ein Jahr später nach. Für diesen Schritt gab es unter anderem wissenschaftlich fundierte Gründe: Nachweislich fördert der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung das Entstehen von Resistenzen bei Bakterien, die dann Fleischprodukte infizieren und die Umwelt über ausgebrachte Gülle kontaminieren können. Und so fürchten Gesundheitsexperten, dass der groß angelegte Sprühplan die Resistenzentwicklung bei verschiedenen Krankheitserregern des Menschen befeuert.
Diese Sorge ist nicht von der Hand zu weisen: So hat beispielsweise ein Fungizid, das zur Bekämpfung einer Tulpenfäule in den Niederlanden verwendet wird, für erhöhte Fallzahlen der behandlungsresistenten Aspergillose von Menschen mit geschwächtem Immunsystem gesorgt. In Bezug auf Zitrusfrüchte sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch lückenhaft: Einige kleine Tests und begrenzte Sprühexperimente deuten darauf hin, dass die Verwendung der Antibiotika kaum Schaden anrichten dürfte – wobei gleichzeitig jedoch unklar ist, ob der Einsatz wirklich positive Wirkungen hat.
Die Züchter sind nun allerdings bereit, alles Menschenmögliche zu versuchen. Das Citrus Greening (oder Huanglongbing, ausgelöst durch das Bakterium Candidatus Liberibacter asiaticus) hat die Zitrusindustrie Floridas lahmgelegt: Nahezu die Hälfte der Anbauflächen, die vor dem ersten Auftreten der Krankheit bewirtschaftet wurden, liegen brach; und Schätzungen zufolge sind 90 Prozent der Zitrusbäume in Florida infiziert. »Wir sind ziemlich verzweifelt«, sagt Rick Dantzler, Hauptgeschäftsführer der Florida Citrus Research and Development Foundation (CRDF) in Lake Alfred.
Die beiden Medikamente sind gerade über die Zielgerade des regulatorischen Vergabeverfahrens gegangen. Daneben hat die EPA, die zuständige Behörde, im Dezember 2018 auch Produkte mit Oxytetracyclin zugelassen. Die offizielle Zulassung für Streptomycin ist derweil wegen des politischen Shutdowns aller US-Bundesbehörden zwar zuletzt verzögert worden – aber Züchter können es wegen einer Notfall-Expressgenehmigung von 2018 schon einsetzen.
In Beweisnot
Bisher sind wissenschaftliche Daten über eine Langzeitnutzung der Wirkstoffe im Agrarbereich kaum öffentlich zugänglich. Tatsächlich wurden sogar »bisher keine Studien durchgeführt oder der EPA vorgelegt, die klären könnten, ob der Einsatz die Resistenzentwicklung fördert«, berichtet Nathan Donley, leitender Wissenschaftler bei der Non-Profit-Organisation Center for Biological Diversity im US-Bundesstaat Washington.
Besonders ärgert die Kritiker, dass nicht einmal überzeugend belegt ist, ob das Sprühen die Plage wirklich in Schach hält. Die Krankheit wird durch invasive Blattflöhe übertragen und breitet sich über das pflanzliche Gefäßsystem unterhalb der Rinde aus – wo man nur schwer hinkommt, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Jahr 2016 sind Antibiotika als Notfallanwendung getestet worden: Sie verlangsamten immerhin die Ausbreitung der Bakterien, so dass noch einige Ernten von den befallenen Bäumen eingebracht werden konnten. Die Medikamente rotten das Citrus Greening allerdings nicht aus. Eine sichere Allzweckwaffe fehle eben, meint Taw Richardson, der Chef von AgroSource in Tequesta, Florida, in dessen Obstgärten Sprüheinsätze geplant sind.
Dazu kommt, dass es bislang keinem Wissenschaftlerteam gelungen ist, eine Kultur des Erregers Candidatus Liberibacter asiaticus im Labor zu halten und zu studieren. Demnach sind Forscher auf Tests in Gewächshäusern und Freilandversuche angewiesen, um das Wirkungspotenzial der Antibiotika und die mögliche Resistenzentwicklung einzuschätzen. Laut einem AgroSource-Bericht auf der Basis von 17 Feldversuchen verlieren gespritzte Bäume etwa 30 Prozent weniger Blattfläche und 20 Prozent weniger Obst. Ein online veröffentlichter Überblick von 48 Feldversuchen der CRDF liefert dagegen eine anders lautende Botschaft: Die Studien zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen behandelten und unbehandelten Gärten mit Blick auf die Obstmenge der Bäume, ihren Fruchtfall oder ihr allgemeines äußeres Erscheinungsbild.
»Es sieht so aus, als ob eine Reihe von Landwirten die Sprühprodukte nicht mehr einsetzen – es gibt aber auch einige, die sich davon immer noch einen echten Nutzen versprechen«, fasst Dantzler zusammen. Tatsächlich ist die Studienlage nur schwer zu interpretieren. Zum einen sind Feldversuche voller Variablen: Sie werden in kommerziell bewirtschafteten Wäldern mit unterschiedlich alten Bäume verschiedener Arten durchgeführt, die auf unterschiedlichen Böden wachsen und anders gepfropft sind; dazu kommt, dass die Züchter beim Sprüheinsatz unterschiedliche Verdünnungen und mancherlei Zusatzstoffe einsetzen, mit denen die Haftungs- und Benetzungseigenschaften verändert werden.
Ebenso divers sind die Umstände, unter denen die wenigen Studien zur Antibiotikaresistenzentwicklung durchgeführt wurden. »Jeder nutzt andere Methoden und misst andere Werte«, sagt Jeffrey LeJeune, der bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen in Rom für Sicherheitsfragen und Qualitätskontrollen zuständig ist. Seine Behörde hat die Folgen einer Antibiotikafreisetzung für die Resistenzentwicklung ebenfalls untersucht. Dantzler wünscht sich, die CRDF wäre im Vorfeld weitsichtig genug gewesen, die Effizienz des Ansatzes systematisch zu evaluieren. Dann gäbe es inzwischen genug Antworten. »So haben wir lediglich anekdotische Beweise aus Befragungen von Züchtern.«
Richte keinen Schaden an!
Auch die Wissenschaft ist uneins über das Ausmaß möglicher Umweltschäden oder der Resistenzentwicklung. Auf der einen Seite steht Graciela Lorca, eine Mikrobiologin an der University of Florida in Gainesville. Sie forscht nach alternativen Behandlungsmethoden des Citrus Greening und warnt, der Antibiotikaeinsatz richte mehr Schaden an, als Landwirte denken: »Es handelt sich um echte Breitbandantibiotika, die Massen von Bakterien abtöten«, erklärt sie. Und dazu zählen eben unter anderem Mikroben in und auf den Gewächsen, die für die Baumgesundheit wichtig sind und gegen andere Krankheiten vorbeugen.
Dagegen denkt James Adaskaveg, Pflanzenpathologe an der University of California in Riverside, dass das Risiko gering ist. Er hat bereits – in Vorbereitung auf das erwartbare Vordringen des Citrus Greening in die großen Plantagen Kaliforniens – den Antibiotikaeinsatz an nicht befallenen Bäumen in Versuchsplantagen der Universität getestet. Der US-Bundesstaat Kalifornien hatte sich wie Florida für den Notfall schon im Vorfeld um Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz in kommerziellen Obstplantagen bemüht. Die waren bisher allerdings bislang nie betroffen, anders als einzelne Bäume außerhalb der bewirtschafteten Anlagen.
Adaskavegs Studie ist noch nicht veröffentlicht worden, die Ergebnisse sind aber schon bei der EPA eingereicht. Er habe, so der Forscher, Bakterienproben von Blättern nicht infizierter Zitrusbäume sowie vom Boden und aus dem Wurzelbereich gesammelt – in einer Anlage, die nach dem typischen Zeitplan besprüht worden war, die auch Zitruszüchter einhalten würden (sechsmal im Jahr und dabei abwechselnd zwischen den beiden Medikamenten, was die Wahrscheinlichkeit einer Anpassung und Resistenzbildung der Keime verringern soll). Am Ende fand der Forscher in den Proben weder eine Veränderung in der Gesamtzahl noch im Artenverhältnis der Bakterienfauna – und ebenso wenig einen Anstieg der Resistenzen. Womöglich, so vermutet der Forscher, bleiben die Antibiotika nur kurz wirksam, weil sie etwa durch Regen abgespült, im Sonnenlicht zerstört oder durch Enzyme im Boden abgebaut werden.
Die Pflanzenpathologin Virginia Stockwell vom US-Landwirtschaftsministerium in Corvallis, Oregon – mit LeJeune Koautorin eines 2018 publizierten Whitepapers über die Umweltauswirkungen von Antibiotika – meint, das Besprühen von Bäumen stelle ein geringeres Risiko dar als der Einsatz der Mittel bei Nutztieren: »Die mikrobielle Fauna im Boden unterscheidet sich sehr stark von der in Gülle oder Tiermist. Außerdem sind die Keime im Mist einer deutlich höheren und länger einwirkenden Dosis von Antibiotika ausgesetzt als die Bakterien auf den Blättern und im Bodenbereich der Obstbäume.«
Allerdings ist auch das bisher nur eine Hypothese. Ob die Medikamente die Infektion langfristig unter Kontrolle bringen – und ob sie dabei Resistenzen fördern –, wird erst klar, sobald man in Florida oder Kalifornien tatsächlich zu sprühen beginnt. Doch selbst dann wird man kaum schlauer sein als zuvor, solange sich kein interessiertes Wissenschaftlerteam findet, das die Auswirkungen im Detail analysiert.
Die EPA hat immerhin ein festes Regelwerk erstellt, um die Gefahr der Resistenzentwicklung möglichst gering zu halten: Der Sprüheinsatz darf bloß wenige Male pro Jahr durchgeführt werden, Landarbeiter müssen einen vollen Schutzanzug tragen, und die Obstplantagen dürfen nicht mit unvorbehandelter Gülle gedüngt werden. Die Behörde hat zudem eine Frist von sieben Jahren bis zu einer zwingenden Neubewertung des Programms gesetzt: nur halb so lang wie üblich, wenn der Einsatz von Agrarchemikalien zeitlich begrenzt wird.
Am 13. März 2019 haben Donleys Team und die Non-Profit-Vereinigung US Public Interest Research Group der EPA eine von 45 000 Menschen unterzeichnete Petition überreicht, in der der Antibiotikaeinsatz abgelehnt wird. Trotzdem dürfte das Sprühen eher zunehmen, wenn kein plötzlicher regulatorischer Sinneswandel einsetzt. Derweil suchen Wissenschaftler nach anderen Lösungen – etwa durch verbesserte Pestizide oder eine biologische Kontrolle des Insektenüberträgers der Krankheit, durch Nährstoffzusätze zur Verbesserung der natürlichen Abwehrkräfte der Pflanzen oder durch einen gezielteren Einsatz von Medikamenten, etwa per direkter Injektion in das Gefäßsystem der Bäume.
Langfristig hoffen Wissenschaftler Bäume züchten zu können, die gegen das Bakterium immun sind. Das wird allerdings so schnell kaum gelingen, sagt Dantzler: »Bis es so weit ist – und das werden leider noch einige Jahre sein –, müssen wir die Zitrusindustrie irgendwie anders am Leben erhalten.«
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