News: Östrogen war zuerst da
Doch wie entwickelten sich Hormone und ihre zugehörigen Rezeptoren während der Evolution? Darwins Evolutionstheorie erklärt zwar, wie sich die Merkmale durch spontane Mutationen immer mehr verbesserten und den veränderten Umweltbedingungen anpassten, doch wie die Hormone zuallererst entstanden, erläutert sie nicht. Die Steroidhormone und ihre Rezeptoren sind ein schönes Beispiel hierfür. Wieso sollte ein selektiver Druck die Entstehung neuer Hormone gefördert haben, wenn sie aufgrund fehlender Rezeptoren eigentlich funktionslos waren? Oder umgekehrt, warum sollte sich der Rezeptor entwickeln, wenn noch keine Hormone vorhanden sind? Die Forscher standen hier vor dem altbekannten Problem vom Huhn und dem Ei.
Joe Thornton vom Earth Institute der Columbia University untersuchte die aufeinander folgenden Ereignisse während der Evolution der Wirbeltiere und suchte sich als Objekt die kiefernlosen Neunaugen, die sich vor etwa 450 Millionen Jahren von der Linie der weiteren Wirbeltiere abspalteten. Mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion vervielfältigte er die Gene für die Hormonrezeptoren und wurde aber nur bei dreien fündig. So besitzen die Tiere Rezeptoren für die drei Sexualhormone, aber weder für Cortisol noch für Aldosteron – sie scheinen also auf einer Zwischenstufe in der Entwicklung des endokrinen Systems zu stehen. Und zwar noch bevor die Steroide ihre Aufgabe zur Regulierung der Geschlechterdifferenzierung aufnahmen, wie sie es in anderen Wirbeltieren tun.
Als Thornton die Sequenzen mit denen anderer Wirbeltiere verglich, zeigte sich ein zweifacher Sprung in der Evolution. Bevor sich die Neunaugen von der Linie der weiteren Wirbeltiere trennten, entstand ein erster Teil des Endokrinsystems. Der zweite Teil entwickelte sich dann in dem Zeitraum bis zur Abspaltung der Fische von den restlichen Wirbeltieren.
Doch welches Hormon entstand als erstes? Der Vergleich der Hormonrezeptoren offenbarte es: Der Östrogenrezeptor ist der älteste, da sich seine heutige Sequenz nur geringfügig von den ursprünglichen unterscheidet. Somit scheint der Rezeptor einen anderen Weg gegangen zu sein, als sich die Forscher bislang vorstellten. Da Östrogen ganz am Ende der Stoffwechselkette steht – Progesteron wird in Testosteron umgewandelt und dieses dann letztendlich in Östrogen – sollte es auch zuletzt entstanden sein. Doch das Letzte war diesmal das Erste, denn es hatte als erstes einen eigenen Rezeptor. Die Lösung des ganzen Problems sieht Thornton so: "Die Hormone kamen zuerst, aber sie waren keine Hormone und hatten keine Funktion per se, bis ihre Rezeptoren im Genom der Wirbeltiere auftauchten." Und da war Östrogen am schnellsten.
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