Olympische Spiele: Chinas Null-Covid-Strategie ist unter Druck
Chinas strenge Null-Covid-Strategie muss in den nächsten Wochen ihren bisher größten Härtetest bestehen. Zum chinesischen Neujahrsfest dürften dieser Tage Millionen Menschen quer durch das Land reisen – und in Peking beginnen die Olympischen Winterspiele.
Das chinesische Vorgehen, bei dem die Zentralregierung schon früh in der Pandemie auf umfassende Lockdowns, Massentests und Einreisebeschränkungen setzte, ist unter Druck. Mitte Dezember 2021 tauchten im Land die ersten Omikron-Fälle auf, und seitdem ist die sehr ansteckende Variante in mindestens 14 Provinzen nachgewiesen worden, und dazu in großen Städten wie Tianjin und Peking. Fachleute fürchten, dass die nächste Woche bevorstehenden Großereignisse neue Ausbrüche auslösen werden.
»Omikron wird eine größerer Herausforderung sein als frühere Varianten und mehr Störungen verursachen«, sagt Ben Cowling, Epidemiologe an der University of Hong Kong. Ausbrüche könnten auf die Bevölkerung übergreifen und schwer zu kontrollieren sein. »Olympia wird ein großer Test.«
Aber auch wenn Omikron nur sehr schwer unter Kontrolle zu halten ist, haben stärkere Ansteckung und Immunflucht der Variante die Unterstützung mancher Fachleute für Chinas harten Kurs nur gestärkt. Die in China sehr verbreiteten Impfstoffe auf der Basis inaktivierter Viren – zum Beispiel die Vakzine von Sinopharm und CoronaVac – bieten nach Ansicht vieler Fachleute zwar einen erheblichen Schutz vor schwerer Erkrankung. Aber sie verhindern nur wenige Ansteckungen. »Dies ist nicht die Zeit, wieder zu öffnen«, sagt deswegen Chen Tianmu, Epidemiologe an der Xiamen University.
Ist Omikron zu stoppen?
Andere dagegen sehen ohnehin praktisch keine Chance, dass China die Variante aus dem Land halten kann. »Man kann den Wind nicht mit der Hand aufhalten«, sagt Rafael Araos, Arzt und Epidemiologe an der University for Development in Santiago. Die Kosten der geschlossenen Grenzen überwögen nun, da Impfungen Krankenhausaufenthalte und Sterblichkeit reduzieren, den Nutzen der Maßnahme, sagt er. »Es wird immer schwerer, den Zero-Covid-Ansatz zu rechtfertigen.«
In den letzten paar Monaten erlebte China seinen größten Ausbruch von Covid-19 seit April 2020. Mit 361 Infizierten war Ende November der Gipfel der Fallzahlen erreicht – vernachlässigbar relativ zur Gesamtbevölkerung. Dennoch traf die chinesische Regierung schnelle und drastische Maßnahmen, um die Fallzahlen zu drücken.
»Es wird immer schwerer, den Zero-Covid-Ansatz zu rechtfertigen«Rafael Araos
Millionenstädte gingen in strenge Lockdowns und führten Massentests durch. Die Bevölkerung musste sich mit unregelmäßiger Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln zufriedengeben. Im Dezember verbot die Regierung in der Stadt Xian sogar jeden Verkehr und sagte alle Flüge ab.
Während der Pandemie waren Chinas Grenzen effektiv geschlossen, so dass praktisch niemand heraus- oder hineinkam. Dadurch blieben die Fallzahlen im Land bei wenigen hundert oder weniger – statt den Hunderttausenden, die man derzeit in Deutschland oder den USA sieht. Dieses harte Durchgreifen blieb bestehen, obwohl China inzwischen fast drei Milliarden Impfdosen verabreicht hat. Etwa 85 Prozent der Bevölkerung sind voll geimpft, und ein großer Anteil hat bereits drei Impfdosen erhalten.
Kein Vertrauen in die Impfstoffe
Allerdings ist auch eine umfassend geimpfte Bevölkerung vermutlich keine Barriere für die Verbreitung von Omikron. Die vergleichsweise wenig wirksamen chinesischen Impfungen machten es zusammen mit der schnellen Ausbreitung der Variante sehr schwer für China, den Null-Covid-Ansatz aufrechtzuerhalten, sagt Yanzhong Huang, der beim Council on Foreign Relations in New York City allgemeine Gesundheit in China erforscht. Es sei allerdings »genau dieses fehlende Vertrauen in ihre Impfstoffe«, der die chinesische Regierung den harten Ansatz fortsetzen lässt, erklärt er.
Von der Strategie abzuweichen, könnte in einem Desaster enden, deuten Modellrechnungen unter der Leitung von Chen an. Selbst mit einer Impfquote von 80 bis 90 Prozent müsste China durch eine Variante wie Omikron noch mit immensen Zahlen von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen rechnen.
Die Furcht vor einem solchen Resultat ließ China die Maßnahmen gegen die Pandemie sogar noch einmal verstärken, sagt Huang. Die Regierung mahnte ihre Bevölkerung nachdrücklich, nicht zu Neujahrsfeiern zu reisen, für die normalerweise unzählige Menschen zu ihren Familien fahren. Allerdings hat sie kein direktes Verbot ausgesprochen, so dass es vermutlich trotzdem viele Reisen geben wird.
Und internationale Athletinnen und Athleten werden auf eine »Blase« beschränkt bleiben. Sie reisen mit eigens gecharterten Fliegern an, bewegen sich von Hotels zu Sportstätten in speziellen Fahrzeugen und werden täglich getestet. Es gibt für die einzelnen Sportereignisse keine frei verkäuflichen Eintrittskarten, und die wenigen Zuschauer sind angewiesen, nicht zu rufen oder zu jubeln. Im Hinblick auf diese Sicherheitsmaßnahmen sind es vermutlich »die strengsten Olympischen Spiele der Geschichte«, sagt Huang.
Keine Exit-Strategie in Sicht
Fachleute haben sehr unterschiedliche Ansichten, wann und wie China schließlich seinen Ausgang aus der Null-Covid-Strategie planen könnte. Viele sehen Boosterkampagnen als wichtigen Bestandteil. »Wir raten dazu, die Booster vorzuziehen, um die aktuelle Variante zu bekämpfen«, sagt Pengfei Wang, Virologe an der Fudan University in Schanghai.
Die Boosterquote solle »so hoch wie möglich sein, bevor wir das Land wieder öffnen«, und mindestens 90 Prozent erreichen, sagt Chen. »Wir müssen eine hohe Immunbarriere bauen.«
»Impfungen sind wirklich essenziell, um einen Ausgang aus der Null-Covid-Strategie zu finden«Ben Cowling
Cowling schlägt vor, China solle die Boosterkampagne möglichst nah an der Öffnung des Landes hochfahren, um die nachlassende Immunität zu berücksichtigen. »Impfungen sind nicht so kritisch, um die Zero-Covid-Strategie aufrechtzuerhalten, aber wirklich essenziell, um einen Ausgang aus der Strategie zu finden«, sagt er.
Zusätzlich sollte man andere Typen von Impfstoffen für den Booster in Erwägung ziehen – zum Beispiel jene auf Basis von mRNA, sagt Lu Jiahai, Epidemiologe für Infektionskrankheiten an der Sun Yat-sen University in Guangzhou. Diese könnten womöglich eine bessere Immunität erzeugen, analog zu anderen Kreuzimpfungen.
Die harten Maßnahmen bleiben wohl erst einmal
Auch wenn die inaktivierten Impfstoffe in dem Land am häufigsten verimpft wurden, hat China, daneben ein Vakzin auf Basis eines Adenovirus-Vektor sowie einen Poteinimpfstoff zugelassen. Zusätzlich sind zwei eigene mRNA-Impfstoffe in frühen klinischen Studien, sagt Lu. Die Alternativen zu den weniger effektiven Impfstoffen mit inaktivierten Viren, sind international leichter zu bekommen, aber bisher hat China sich entschlossen gezeigt, nur im eigenen Land produzierte Impfstoffe zu nutzen.
Im Dezember 2020 hatten das in Schanghai basierte Unternehmen Fosun Pharma und Biotech verkündet, dass sie gemeinsam einen mRNA-Impfstoff für die Produktion in China bereitgestellt hätten. Doch bisher haben die Behörden den Impfstoff nicht zugelassen. Sollte das noch geschehen, wäre es der erste international entwickelte Impfstoff, der in China selbst zugelassen ist.
Doch laut Shibo Jiang, Virologe an der Fudan University, ist es wahrscheinlich, dass keiner der bisher verfügbaren Impfstoffe hinreichenden Schutz vor neu aufkommenden Varianten bietet. Stattdessen müssten die Staaten Impfstoffe entwickeln, die wirksame neutralisierende Antikörper gegen eine große Gruppe verwandter Coronaviren hervorrufen, sagt er. Menschen in China seien zunehmend überzeugt, dass man in solche Impfstoffe investieren müsse, insbesondere seit dem Aufkommen von Omikron.
Manche Fachleute meinen, dass Ausbrüche während der Olympischen Spiele den Null-Covid-Ansatz der Behörden nach und nach lockern könnten. Das könnte auch in der weiteren Bevölkerung zu einer größeren Toleranz für Ausbrüche beitragen. Aber solange Covid-19 im Rest der Welt nicht unter Kontrolle ist und selbst eine kleine Öffnung für China verheerend sein könnte, könne man nicht erwarten, dass die Behörden den strikten Ansatz aufgeben, sagt Huang. »Die Regierung hat da sehr schwere Entscheidungen zu treffen.«
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