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»One Health«: Wenn die Vogelscheuche den Tod bringt

Ugandas Berggorillas profitieren massiv vom sanften Tourismus. Doch erst ein Knall in der Forschung zeigte, wie man die zentrale Gefahr für Mensch und Tier in den Griff bekommt. Besuch bei einer »One Health«-Initiative im Nationalpark Bwindi.
Berggorilla im schrumpfenden Wald
Die Berggorillas des Bwindi-Nationalparks sind extrem gut geschützt - auch dank des Tourismus. Trotzdem bleibt die Nähe zum Menschen die größte Gefahr für sie.

Klick-klick-klick-klick. Nach gut drei Stunden schweißtreibender Suche hat der von »National Geographic« entsandte Fotograf endlich das vor der Linse, wofür er gekommen ist. Doch Silberrücken Binyindo, Leittier der nach ihm benannten Familie von neun Berggorillas, ist inzwischen etwas genervt von den acht menschlichen Gästen, die unangemeldet zu seinem Mittagessen erschienen. Immerhin muss der 250 Kilo schwere Koloss täglich ein Viertel seines Körpergewichts an Blättern, Sprossen und Wurzeln vertilgen. So zieht der 35-jährige Menschenaffe seine Lippen zurück, präsentiert Furcht erregende Eckzähne und beginnt einen wilden Galopp in Richtung Fotograf. Aber schon nach wenigen Metern bremst Großnase, was sein Name auf Deutsch bedeutet, wieder ab. Die vermeintliche Attacke war nie mehr als eine halbherzige Drohgebärde. Denn eigentlich ist Binyindo, der sich inzwischen wieder ganz ruhig von seiner 20 Jahre jüngeren Partnerin Rutiinda lausen lässt, an die täglichen Besuche von Wissenschaftlern und Touristen gewöhnt.

»Habituiert« nennen Forschende solche zwar wild, aber doch in einem eng umrissenen Territorium lebenden Menschenaffen, die an die Gegenwart von Menschen gewöhnt wurden. Eine Praxis, die mit Berggorillas zuerst der Amerikaner George Schaller erprobt und dann ab den 1960er Jahren die weltbekannte Primatologin Dian Fossey in Ruanda intensiviert hatte. Hier im Westen Ugandas, im tropischen Nationalpark des »Undurchdringlichen Waldes von Bwindi«, sind das 230 Tiere in insgesamt 24 habituierten Gruppen – rund die Hälfte der mindestens 460 Berggorillas im Bwindi-Sarabambwe-Ökosystem.

»Botschafter ihrer Artgenossen« nennt sie Martha Robbins vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Die Habituierung mache die Gorillas und ihre Belange sichtbar. »Es ist schwierig, Menschen für etwas zu interessieren, was sie nicht sehen können oder von dem sie wenig wissen.«

Wenn sich die beiden Hominidenspezies im Wald von Bwindi begegnen, ist das ein Gewinn für alle Beteiligten, sagen die, die sich damit auskennen: Wissenschaftler erhalten neue Erkenntnisse über Biologie und Soziologie der Tiere, Touristen fahren mit einzigartigen Fotos und Erfahrungen wieder nach Hause, die Region erzielt stattliche Fremdenverkehrseinnahmen und die habituierten Gorillas seien besser geschützt und versorgt als ihre Artgenossen, erklärt die Zoologin Robbins, die schon seit 1998 in Bwindi forscht. Nur der Mundschutz im Gesicht der achtköpfigen Besuchergruppe deutet darauf hin, dass es im Deal mit der Natur durchaus Verlierer geben kann.

Es gibt wieder mehr Berggorillas

Der Schutz der Berggorillas in der Grenzregion zwischen Uganda, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo gilt als Erfolgsgeschichte. Während die afrikaweiten Gorillabestände in den letzten 20 Jahren um schätzungsweise 60 Prozent gesunken sind, wachsen die Bestände der Berggorillas sogar leicht. Berggorillas (Gorilla beringei beringei) sind eine Unterart des Östlichen Gorillas, die Ende 2018 von der Weltnaturschutzunion sogar auf die Schutzstufe »stark gefährdet« zurückgestuft wurde. Die übrigen Gorillas des Kontinents werden allesamt unter »vom Aussterben bedroht« geführt, dem höchsten Gefährdungsniveau.

Um ein Haar wären auch die Berggorillas ausgerottet worden. Anfang der 1980er Jahre, kurz bevor Großnase Binyindo auf die Welt kam, zählten Fachleute gerade einmal 300 Tiere. Zehn Jahre später aber waren es schon gut doppelt so viele, und 2018 ergab eine Volkszählung unter den Menschenaffen die Zahl von 1063 Tieren. »Unglaublich«, sagt Robbins, die selbst an der Zählung maßgeblich beteiligt war. Steigende Populationszahlen bei Gorillas!

Ohne Forschung und Tourismus wäre diese Erfolgsgeschichte nicht möglich gewesen, glaubt die Wissenschaftlerin, und beides funktioniere nur mit Habituierung. Ein wirklich wilder Gorilla will weder mit Touristen noch mit Forschenden etwas zu tun haben.

Weil die Nachfrage nach Touristenlizenzen so hoch sei, habe die zuständige Uganda Wildlife Authority (UWA) inzwischen weitere Gruppen habituiert. Langsam jedoch kommt das Programm an eine Obergrenze. Der Park ist von umliegenden Dörfern mit ihren gut 100 000 Menschen buchstäblich umzingelt. Auch das ist in Teilen eine Folge des Gorillatourismus: Von jeder Besucherlizenz im Wert von aktuell 700 US-Dollar erhalten die Gemeinden 20 Prozent.

Gladys Kalema-Zikusoka | Mit der Gründung ihrer Organisation Conservation Through Public Health (CTPH) nahm die Uganderin den One-Health-Gedanken bereits vorweg. Aktuell ist von ihr das Sachbuch »Walking with Gorillas – The Journey of an African Wildlife Vet« (2023) erschienen, bislang nur auf Englisch.

»Diese Einnahmen machen mittlerweile mehr als 60 Prozent des Budgets der Uganda Wildlife Authority aus, und sie stehen für acht Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts Ugandas«, sagt Gladys Kalema-Zikusoka. Die erste Wildtierärztin ihres Landes ist spätestens seit der 1997 gedrehten BBC-Doku »Gladys, the African Vet« eine internationale Bekanntheit. Ihre Prominenz nutzt die vielfach preisgekrönte Forscherin nun, um als Fürsprecherin sowohl der Berggorillas als auch der menschlichen Communitys in ihrer Nachbarschaft aufzutreten, auch in ugandischen Regierungsgremien.

»Die Menschen hier verstehen, dass es eine heikle Balance ist«, sagt sie. Mehr Touristen bedeuten mehr Einnahmen, aber auch mehr Kontakte zwischen Mensch und Tier. Und das bleibt nicht folgenlos.

Schon während einer ihrer ersten Untersuchungen in Bwindi im Jahr 1996 hatte sie Gorillas mit starkem Haarausfall und schuppiger Haut beobachtet: Krätzmilben, bei Tieren auch als Räude bekannt. Für eins der Babygorillas kam die medizinische Behandlung zu spät. »Wir fanden Ruhara tot bei den Nachtnestern der Truppe. Ich war zutiefst berührt. Sie starb an einer Lungenentzündung. Durch die Räude hatte sie so viel Fell verloren, dass sie dem nasskalten Wetter des Waldes nichts entgegenzusetzen hatte«, erklärt Kalema-Zikusoka.

Fatales Spielzeug

Wie aber gelangten die Milben zu Ruhara und ihrer Familie? Die Antwort, so erzählt Kalema-Zikusoka, habe sie als Schlüsselmoment ihrer Karriere erlebt. Auch wenn der letzte Beweis nie erbracht werden konnte, sind die Forscher doch überzeugt, den Übertragungsweg gefunden zu haben. Sie entdeckten Krätzmilben in zahlreichen verschmutzten Kleidungsstücken, mit denen erkrankte Dorfbewohner in der Umgebung die Vogelscheuchen ihrer Gärten ausgestattet hatten. Mit diesen Figuren spielen junge Gorillas manchmal. »Mir wurde einfach bewusst, wie sehr Menschen für dieses Krankheitsrisiko verantwortlich waren. Immerhin haben wir zu 98,4 Prozent dieselbe DNA wie die Gorillas.«

Kalema-Zikusoka gründete eine lokale Hilfsorganisation, deren Name den Grundgedanken bereits verrät: Conservation Through Public Health (CTPH), Artenschutz durch öffentliche Gesundheit, nannte sie das Projekt, das sie 2003 ins Leben rief. Wie wichtig die Gesundheit von Mensch und Tier beim Erhalt bedrohter Tierarten sind, dafür gab es zu jener Zeit nur wenig Bewusstsein, weder in Afrika noch bei den internationalen Besuchern. Das sollte sich erst fünf Jahre später schlagartig ändern.

»Damals gab es einen ziemlichen Knall, was mich sehr gefreut hat«, erinnert sich Fabian Leendertz. Kaum verwunderlich, war er doch selbst einer der Auslöser dieses Aufruhrs. Leendertz ist Experte für Zoonosen, also für Krankheiten, die die Grenzen zwischen Arten überspringen. Seit mehr als 20 Jahren widmet er sich besonders den hochansteckenden Erregern, und genauso lange sieht er afrikanische Menschenaffen an mysteriösen Krankheiten grausam verenden. Im Jahr 2000 wurde der Veterinär vom Robert Koch-Institut in den Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste entsandt, um dort mit den Primatologen Christophe Boesch und Hedwige Boesch-Achermann herauszufinden, woran die Schimpansen des Waldes starben. Die Liste der gefährlichen Pathogene war lang und reichte von Milzbrand bis hin zu einem ganz neuen Ebolaerreger. Unbekannt war außerdem, in welcher Tierart der Erreger zwischen den Ausbrüchen schlummerte. Dass der Mensch selbst ein Krankheitsreservoir sein könnte, darauf sei zunächst niemand gekommen. Vielleicht habe man gar nicht richtig hinschauen wollen, vermutet Leendertz. »Als Forscher war man da eher noch ein Held, wenn man sich krank in den Wald geschleppt hat, um seine letzten Verhaltensdaten zu sammeln«, erzählt er. Auch im Ökotourismus sei es nicht viel anders gewesen.

Nach fünf schweren Ausbrüchen von Atemwegserkrankungen unter habituierten Schimpansen im Taï-Nationalpark hatte die Gruppe ihre Antwort. Das Team bewies, dass zwei Viren, die beim Menschen zumeist nur milde Erkältungen verursachen, insgesamt 15 Schimpansen getötet hatten: das Humane Respiratorische Synzytialvirus (RSV) und das Humane Metapneumovirus. Ihre Publikation im Fachmagazin »Current Biology« wirkte wie ein Paukenschlag. »Da war eben klar: Wir sind schuld«, sagt der Forscher.

Die Fachwelt reagiert bestürzt

Der Schock unter Wissenschaftlern und Artenschützern saß tief. Für viele bildete die Publikation eine Art Zeitenwende. Leendertz sagt, jeder musste sich nun fragen: »Sollen wir aufhören mit der ganzen Forschung? Machen wir alles kaputt, was wir eigentlich studieren und schützen wollen?«

Bald stapelten sich die Belege für Zoonosen bei anderen Menschenaffen, schließlich auch bei Berggorillas. Menschliche Atemwegserkrankungen stehen bei ruandischen Berggorillas auf Rang zwei der häufigsten Todesursachen direkt nach physischen Verletzungen: Sie stecken hinter so gut wie jedem vierten Todesfall, berechneten Wissenschaftler im Jahr 2021.

Berggorilla im »Undurchdringlichen Wald« | Während die Gorilla-Populationen afrikaweit schrumpfen, steigen sie im ugandischen Schutzgebiet an, dank »extremen Naturschutz«. Wie schnell das System aus der Balance geraten kann, zeigen die Erfahrungen der Corona-Pandemie.

Was tun? Die Tourismusprojekte, die Habituierung, all das aufzugeben wäre verfehlt gewesen. Man schützt die Tiere damit mehr, als dass man sie bedroht, sind sich Leendertz und auch Martha Robbins sicher. Stattdessen schwor sich die Feldforschung auf ganz ähnliche Methoden ein wie die Welt zu Zeiten der Corona-Pandemie: Abstand halten, Maske tragen und Erkrankte isolieren. So sinkt die Übertragungswahrscheinlichkeit, auch im ugandischen Bergregenwald. »Manche Länder wie Ruanda haben sich gerade beim Mundschutz lange geweigert«, aus Angst, die Touristen könnten sich gegängelt fühlen, sagt Leendertz, der wie Kalema-Zikusoka unlängst mit dem »Champions of the Earth«-Preis der Vereinten Nationen ausgezeichnet wurde.

2015 erließ die Weltnaturschutzunion IUCN dann offiziell neue Richtlinien für den Kontakt zwischen Mensch und Menschenaffen. Sieben Meter Abstand, die Distanz, »die ein von einem niesenden Kranken ausgehendes Tröpfchen maximal zurücklegen kann«, und maximal eine Stunde Besuchszeit pro Tag lauten zwei Eckpunkte aus dem Regelwerk. Inzwischen wurde der Mindestabstand bei Gorillas auf zehn Meter erhöht.

Doch die Realität sieht anders aus: Touristen betrachten die Menschenaffen während 98 Prozent ihrer Besuchszeit aus weniger als drei Meter Entfernung, fand Kalema-Zikusoka heraus. »Schockierend« nennt sie ihren eigenen Befund. Nicht immer sind es die Menschen, die gegen das Gebot verstoßen. In vier von zehn Fällen kommen die Gorillas näher, als die IUCN erlaubt. Dann müssten die Besucher eigentlich behutsam zum Rückzug ansetzen. Was nicht immer ohne Weiteres möglich sei, räumt Leendertz ein, trotzdem gebe es häufig Fehlverhalten. »Die Führer denken, sie kriegen ein besonders gutes Trinkgeld, wenn der Tourist dann doch ein Selfie mit sich und dem Gorilla macht. Und dafür dann auch noch den Mundschutz abnimmt.«

Bekommt man Zoonosen unter Kontrolle?

Nicht erst seit der Corona-Pandemie wissen Fachleute, dass die Menschheit den Planeten in eine nahezu perfekte Brutstätte für Zoonosen verwandelt hat, freilich ohne es zu wollen. Immer größer werden die Tierzuchtbetriebe, immer weiter dringen Menschen in unberührte Lebensräume vor, immer mehr Güter und Menschen werden um den Erdball verfrachtet. Leichter kann man es den Erregern kaum machen.

Inzwischen lösen von Tieren übergesprungene Krankheiten jährlich eine Milliarde Krankheitsfälle aus. HIV/Aids, Vogelgrippe, Sars, Ebola, Nipah, Hendra und Tollwut haben alle ihren Ursprung in nichtmenschlichen Arten. »Jedes Jahr treten weltweit fünf neue Krankheiten auf, von denen drei tierischen Ursprungs sind«, weiß Peter Appel, Projektleiter beim Jane Goodall Institute in Uganda. Laut Appel haben etwa zwei Drittel aller Infektionskrankheiten beim Menschen einen tierischen Ursprung. Uganda sei ein »globaler Hotspot«, sagt Appel.

Fabian Leendertz | Der Experte für Zoonosen ist in ganz Afrika auf der Suche nach hochpathogenen Erregern unterwegs, wie hier in Guinea. Seit 2021 ist Leendertz außerdem Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für One Health und Professor für One Health an der Universität Greifswald.

Der Gegenentwurf zu einer Welt, in der Zoonosen um sich greifen, betrat auf einer Konferenz 2004 in Manhattan die internationale Bühne. Unter dem Schlagwort »One World – One Health« nahmen sich damals Organisationen wie die WHO vor, speziell dort tätig zu werden, wo sich die Lebensräume von Mensch und Tier überschneiden. Menschliche und tierische Gesundheit, so die zentrale Erkenntnis, kann nur gemeinsam angegangen werden.

Mit Hilfe von zwölf Prinzipien wurde die Idee dahinter ausformuliert. 2019 wurden diese Vorgaben dann noch einmal in Berlin konkretisiert. Und sollte es noch eines Belegs der Wichtigkeit bedurft haben, so lieferte ihn nur Monate später der Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Auch diese Krankheit ist aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Tier auf den Menschen übergesprungen.

Beim One-Health-Konzept gehe es um mehr als die rein medizinische Versorgung, erläutert Leendertz, der wegen seiner langjährigen Erfahrung mit Zoonosen im Jahr 2021 auch zum Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für One Health und zum Professor für One Health an der Universität Greifswald berufen wurde. Neben der Human- und Tiermedizin gehört für ihn die Biodiversitätsforschung dazu, genauso wie die Sozialwissenschaften. »Aber man kann das One-Health-Konzept auch wunderbar im eigenen Dorf oder sogar im eigenen Garten anwenden«, erläutert Leendertz.

Genau um solche kleineren Ansätze geht es Kalema-Zikusoka, die mit ihrer 2003 gegründeten Organisation CTPH die in Manhattan formulierten Ziele um ein Jahr vorwegnahm. Vor allem in ärmeren Ländern sei es wichtig, den drei Säulen der Idee, Mensch – Tier – Umwelt, gleichwertige Bedeutung einzuräumen. »Wir erklären den Menschen nicht, dass sie wichtiger sind als die Tiere, und wir sagen ihnen auch nicht, dass die Tiere wichtiger sind. Sie wissen, wenn die Gorillas krank werden und sterben, dann bekommen sie keine Tourismuseinnahmen von dieser Gorillagruppe. Und dass sie eine ganze Gruppe an die Krätze oder an andere Krankheiten verlieren könnten«, sagt die Expertin. Die Menschen um Bwindi verstünden, dass sie Teil eines Projekts seien, das ihre Gemeinschaft wirklich zum Guten verändert hat.

Das könne funktionieren, glaubt auch Peter Appel. Der Ansatz von CTPH könne sowohl »die Umwelt schützen als auch jemanden vor dem Krankenhaus bewahren«. Beides ist im armen Uganda bitter nötig.

Mit Aufklärung und sanftem Lärm

Wenn Gladys Kalema-Zikusoka von ihrem Schreibtisch aufblickt, habe sie »den weltbesten Blick aus einem Bürofenster«, sagt die Forscherin. Am Nordeingang des Bwindi-Parks zaubern Nebel und Sonnenlicht das Bild einer Märchenlandschaft über die Wipfel der Bäume. Die Hänge sind dicht an dicht mit Bäumen bestanden. Der Bwindi Impenetrable Forest trägt seinen Namen zu Recht, der Nationalpark ist wahrhaft undurchdringlich, zumindest aus der Perspektive der Menschen.

Kalema-Zikusokas Büro befindet sich in einem kleinen Laborgebäude des Gorilla Health and Community Conservation Center am Rand der kleinen Ortschaft Buhoma. In der Einrichtung des CTPH sollen Dorfbewohner und Gorillaforscher zusammenfinden. Auch die »Gorilla Doctors« sind hier untergebracht. Labortechniker Annaclet Ampeire ist einer von ihnen. Sein Team wertet Blut- und Kotproben der Gorillas aus oder verschickt sie für genauere Tests in die Hauptstadt Kampala. »Die Berggorillas kommen manchmal aus dem Park heraus und stecken sich an Müll oder Viehtränken an. Deswegen klären wir hier viel über Hygiene auf«, sagt Ampeire. Manchmal stellen aber auch die Gorillas eine Bedrohung dar, zum Beispiel für die Ernten der Dorfbewohner. Dann kommt die erste von zwei Freiwilligengruppen von CTPH zum Einsatz. 119 Gorilla Guardians spüren die Tiere auf, beobachten sie und bringen sie im Ernstfall mit etwas Lärm und anderen Tricks wieder auf den rechten Weg.

Sharon Akampurira gehört unterdessen zur zweiten Einsatzgruppe des CTPH, dem Village Health and Conservation Team (VHCT). Am Tresen des kleinen Labors hat Akampurira ein Flipchart vorbereitet, das von seinen häufigen Einsätzen leicht abgegriffen ist. Mit solchen Flipcharts ausgerüstet gehen die 270 VHCT-Mitglieder in die Dörfer und erklären den Menschen, wie Gorillas, Hygiene, Gesundheit, Familienplanung, Viehhaltung und andere Aspekte zusammengehen. Sie schicken kranke Menschen zum Arzt und raten davon ab, zu wildern oder Bushmeat zu essen.

Klare Botschaft | VHCT-Mitglied Sharon Akampurira (rechts) illustriert per Flipchart, warum Wilderei schlecht ist. Mit ihren Materialien betreiben die Freiwilligen der Organisation Aufklärungsarbeit in den umliegenden Dörfern.

Die CTPH-Helferin blättert durch das Flipchart und dessen einfache, fast kindlich anmutende Zeichnungen: »Hier sehen wir zum Beispiel, wie der Vater seinen Sohn mit zur Wilderei nimmt, während die Mutter sich um das an Krätze erkrankte Baby kümmern muss.« Auf einer anderen Zeichnung weigert sich der Vater, über Verhütung zu sprechen und darüber, wie viele Kinder er mit dem Familieneinkommen realistischerweise versorgen kann. Das Lehrstück endet natürlich nicht gut. Vater und Sohn landen als Wilderer im Gefängnis, während die überforderte Mutter das verstorbene Baby betrauert. »Wir stellen den Dorfbewohnern auch Fragen über ihr Wissen zum Artenschutz und bringen sie dazu, Bäume zu pflanzen«, sagt Akampurira.

Geburtenkontrolle verbessert die Lebensbedingungen

»Wir haben festgestellt, dass unser Programm zur Familienplanung eines der wichtigsten war«, erklärt Kalema-Zikusoka. Uganda hat eine der höchsten Geburtenraten der Welt, rund um Bwindi war sie sogar besonders hoch. »Frauen haben hier durchschnittlich zehn Kinder und können sich sonst praktisch um nichts anderes in ihrem Leben kümmern. Und die Männer erkannten, dass sie den Haushalt einfacher finanzieren könnten, wenn sie weniger Kinder hätten«, sagt sie. Inzwischen praktizieren laut der Expertin mehr als sechs von zehn Familien Geburtenkontrolle, ursprünglich waren es nur zwei von zehn.

Doch die Ankunft der Corona-Pandemie im Jahr 2020 zeigte ihrer Organisation, wie schnell solche Erfolge auch wieder in Frage gestellt werden. An einem Junimorgen des Jahres, mitten im Lockdown, als der Gorillatourismus längst ausgesetzt war, läutete das schrille Kreischen eines Buschschweins eine Tragödie ein. Bald machte das Gerücht die Runde, der Silberrücken Rafiki sei von Wilderern getötet worden. Ein blutverschmierter Speer und das Bushmeat des Gorillas führten bald zum Täter, aber die Veterinärin wollte nicht glauben, wie schnell die Wilderei in den Park zurückgekehrt war. »Wie konnte jemand Rafiki töten?« Der Gorillatourismus habe doch so viele von Armut befreit, habe Leben verändert, sagt Kalema-Zikusoka.

Die Wildhüter ermittelten die Umstände der Tat: Die erst 22-jährige Ehefrau des Wilderers hatte demnach verzweifelt nach Essen verlangt. Ohne Tourismus gab es jedoch keine Arbeit, um Geld für Lebensmittel zu verdienen. Der Mann soll sich in den Wald aufgemacht und dort versucht haben, ein Buschschwein zu erlegen. Von den Todesschreien des Tieres alarmiert, habe Silberrücken Rafiki eine Gefahr gewittert und den Wilderer attackiert, der ihn nach eigener Aussage mit mehreren Speerstichen in Selbstverteidigung tötete. Mit drakonischen Strafen will Uganda Nachahmer von der Wilderei abschrecken, so auch in diesem Fall: Der Mann erhielt eine Gefängnisstrafe von elf Jahren. Seine Frau blieb ohne Einkunftsmöglichkeit oder Lebensmittel zurück.

Wettlauf zwischen Wilderern und Impfstoffentwicklern

Im Grunde sei allen Experten klar gewesen, dass während der Pandemie die Wilderei zurückkommen würde, sagt Fabian Leendertz. »Die Leute verstanden weniger, warum sie diesen Lebensraum schützen müssen.« Denn ohne die Gelder aus dem Tourismus drohten die Tiere als Bushmeat wertvoller zu werden. Andererseits: Den Park zu früh wieder für Besucher zu öffnen, hätte die Gefahr einer Coronainfektion unter den Gorillas drastisch erhöht. Ein Dilemma.

Maske tragen und Abstand halten | Das Coronavirus ist immer noch gefährlich für die Gorillas, gerade weil nach der Pandemie die Sicherheitsmaßnahmen laxer gehandhabt werden. Das Foto von Kalema-Zikusoka und ihrem CTPH-Team stammt aus dem Jahr 2020, dem ersten Höhepunkt der Pandemie.

Im März 2021 verfassten Kalema-Zikusoka und Leendertz einen gemeinsamen Brief an das Fachblatt »Nature«, in dem sie forderten, Wildhüter und Gemeinden in der Nachbarschaft gefährdeter Arten bei den Impfprogrammen zu bevorzugen. Wenn ein Virus wie Sars-CoV-2 zwischen Mensch und Tier hin- und herspringt, kann es seine Gefährlichkeit noch weiter steigern. Das müsse dringend unterbunden werden. »Es funktionierte. Die Regierung stimmte zu«, erzählt Kalema-Zikusoka. Nur Geimpfte durften fortan Kontakt zu Touristen und Wildtieren haben.

Gebannt ist die Gefahr aber noch lange nicht. Es gebe eine alte Weisheit unter Epidemiologen, wonach »das Virus immer einen Weg findet«, sagt Leendertz. Mittlerweile würden Hygienemaßnahmen wieder vernachlässigt. »Aber das Virus ist immer noch da.« Ob es heute, morgen oder erst mit zwei Jahren Verspätung in die Gorillapopulation eindringt, sei mit Hinblick auf die möglichen Folgen egal.

Überhaupt stehen Bwindis Parkwächter, Primatologen und Mediziner weiterhin vor großen Herausforderungen. Der 331 Quadratkilometer große Park hat eine harte Grenze. Er kann nur noch im Süden ausgeweitet werden, überall sonst hat der Mensch Plantagen, Häuser oder Touristenunterkünfte errichtet. Und ausreichend Platz für bedeutend mehr als die heute dort lebenden Berggorillas gibt es nicht. »Diese Erfolgsgeschichte beruht auf extremem Naturschutz in den kleinen Berggorilla-Lebensräumen«, sagt Martha Robbins. Ob sich das Vorgehen auf größere Schutzgebiete ausweiten lasse, sei fraglich.

In jedem Fall dürften die fachübergreifenden Konzepte aus dem One-Health-Ansatz dabei helfen, weit über Bwindi hinaus. Dass dazu ungewöhnliche Maßnahmen zählen, wurde Gladys Kalema-Zikusoka nach dem Vorfall mit dem getöteten Silberrücken klar. Sie habe verstanden, »dass auch Hunger und Nahrungssicherheit Aspekte von One Health sind«, sagt sie. »Wenn die Menschen nicht genug zu essen haben, gehen sie einfach wieder in den Wald, wie vor 30 Jahren.« Der Unterschied: Damals hätte jeder noch Gemüse im Garten angebaut. Doch heute sei es lukrativer, in der gleichen Zeit das Gepäck eines Touristen für viel Geld zu den Gorillas zu schleppen. Also begann die CTPH während der Pandemie die Selbstversorgung wieder anzuleiern – mit kostenlosem Saatgut von schnell wachsenden Pflanzen für die Gärten der Ärmsten vor Ort. Auch die Frau des inhaftierten Wilderers betreibt heute einen eigenen Gemüsegarten.

Transparenzhinweis: Die Recherchereise unseres Autors nach Uganda wurde vom Ökotourismus-Anbieter Volcanoes Safaris mitfinanziert.

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