News: Original oder Fälschung?
Raleigh Skelton, Thomas Marston und George Painter vermuteten in ihrer Studie, dass das Dokument etwa zur Zeit des Konzils von Basel entstand, das 1431 einberufen wurde und bis 1449 andauerte. Zumindest gäbe es historische Verbindungen. Damit, so argwöhnte schon mancher, hätte Kolumbus auch vor seiner vermeintlichen Entdeckungsfahrt von einem fernen Land im Westen wissen können. Da die Karte jedoch erstmals in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter mysteriösen Umständen auftauchte – ein Buchhändler aus New Haven erstand sie in Europa, wollte und konnte jedoch nicht viel zu dem vorherigen Inhaber sagen –, kamen andere Historiker schnell auf den Plan, dass es sich um eine Fälschung handeln muss.
Und tatsächlich gibt es so manche Ungereimtheit: So ist der größte Teil der Landmasse (Europa, Afrika und Asien) verzerrt in Form einer großen Ellipse dargestellt, was durchaus der mittelalterlichen Gepflogenheit entsprach, Gottes Schöpfung eine geometrische Form zu unterstellen. Allerdings passt aber gerade der Teil mit Vinland, Grönland und Island nicht zu dieser Konstruktion und bricht die Symmetrie.
Weiterhin zeigt sich, dass Grönland und Island vergleichsweise realistisch gezeichnet sind und sich damit deutlich von der restlichen Karte unterscheiden. Die skandinavischen Länder des europäischen Festlands sind indes so grob und teilweise falsch dargestellt, dass der Eindruck entsteht, der Kartograph hätte nicht wirklich eine gute Vorstellung von Nordeuropa gehabt – durchaus nicht verwunderlich zu Anfang des 15. Jahrhunderts. Dass derselbe Zeichner die neuen Länder jedoch mit fast moderner Präzision darstellen konnte, erscheint dann schon sehr verwunderlich.
Dennoch gibt es immer noch Forscher, die an der Echtheit der Karte festhalten. Und so versuchten Garman Harbottle vom Brookhaven National Laboratory in Stony Brooks und seine Kollegen, das Dokument anhand eines etwa acht Zentimeter langen Pergamentschnipsels von der rechten unteren Ecke zu datieren [1]. Ihre akribische Analyse mit Hilfe der Radiokarbonmethode weist dabei auf das Jahr 1434, wobei die Jahreszahl dank guter Kalibrierung nur mit einem statistischen Fehler von maximal elf Jahren behaftet ist. Damit fällt zumindest die Entstehungszeit des Pergaments genau in die Zeit des Konzils von Basel. Als Beweis für die Echtheit der Karte reicht dieser Befund jedoch lange nicht. Dazu müsste auch das Alter der Tinte datiert werden, was allerdings aufgrund der geringen Probenmenge zur Zeit noch nicht möglich ist.
Immerhin, wenn tatsächlich ein Fälscher am Werk war, dann musste er enorme Weitsicht bewiesen haben. Denn als die Karte in den fünfziger Jahren zum ersten Mal auftauchte, steckte die Radiokarbonmethode noch in den Kinderschuhen, und es war selbst für Experten kaum abzusehen, dass sich das Alter von Proben einmal derart genau bestimmen lässt. So argumentieren zumindest Harbottle und seine Kollegen. Andererseits kann natürlich auch ein Fälscher ein altes Pergament erworben haben, um seinem Werk ein möglichst authentisches Aussehen zu verpassen. Er hätte auch gleich eine Originalkarte verwenden und "einfach" die neuen Gebiete ergänzen können. Die offensichtlichen Unterschiede im zeichnerischen Stil sprechen für eine solche Hypothese.
Schließlich fand Harbottle schon zuvor bei einer statistischen Untersuchung der Verteilung von Spurenelementen in der Farbe, dass der Vinland-Teil mit etwas anderer Tinte gezeichnet wurde. Ob einfach nur ein neues Tintenfläschchen angebrochen wurde, vielleicht ein paar Tage oder Wochen zwischen den Zeichnungen vergangen sind, oder gar Jahrhunderte, das lässt sich bislang nicht sagen.
Und doch könnte die Farbe auf dem Pergament der Schlüssel zu dem Rätsel sein. Schon 1972 machte nämlich Walter McCrone von der Yale University stutzig, dass sie beträchtliche Anteile von Titandioxid in Form des Minerals Anatas enthält. Anatas ist in der Natur jedoch die seltenste Form des Titandioxids und wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts im großen Stil synthetisiert. 15 Jahre später konnten andere Forscher Anatas allerdings nur in geringen Spuren feststellen, wie sie durchaus auch in mittelalterlicher Eisengallustinte vorkommen.
Nichtsdestotrotz könnte Anatas die Fälschung überführen, wie Katherine Brown und Robin Clark vom University College London nun vermuten [2]. Die Forscher untersuchten mit Hilfe der Raman-Spektroskopie die chemischen Bestandteile der Tinte. Bei dieser Methode strahlt ein Laserstrahl auf das Objekt, wobei ein kleiner Teil des Lichts an den Molekülen mit anderer Wellenlänge zurückgestreut wird. Jede Chemikalie weist ein charakteristisches Spektrum auf und lässt sich so identifizieren.
Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler präzise herausfinden, an welchen Stellen der Karte Anatas zu finden ist – im Gegensatz zu vorherigen Untersuchungen, die lediglich Stichprobencharakter hatten. Das Ergebnis: Anatas ließ sich nur in der Tinte nachweisen, nicht jedoch an anderer Stelle auf dem Pergament, und das ist ungewöhnlich. Denn Eisengallustinte macht das Pergament brüchig, hinterlässt gelblich braune Spuren und bröckelt mit der Zeit ab. Die gelben Linien sind deutlich zu sehen, aber in der abgeblätterten schwarzen Farbe ist kein Anatas nachzuweisen. Offensichtlich befindet sich das Mineral nur in den gelblichen, gut haftenden Spuren. Das bedeutet dann aber auch, dass die schwarze Tinte auf Kohlenstoff basiert und nicht auf Eisen, denn letztere enthielte auch Anatas. Tinte auf Basis von Kohlenstoff würde aber nicht abblättern.
"Wenn man weiß, dass diese Art des Vergilbens ein typisches Merkmal mittelalterlicher Schriften ist, dann könnte ein geschickter Fälscher diese Alterung durch gelbe Linien in seinen Fälschungen nachahmen." Clark ist sich sicher: "Die Raman-Ergebnisse beweisen, dass die Karte erst nach 1923 gezeichnet wurde."
Ob die Vinland-Karte nun echt ist – wengistens in Teilen – oder nicht, an der Entdeckungsgeschichte Amerikas wird es nicht viel ändern. Denn auch ohne diesen Beweis ist verhältnismäßig sicher, dass isländische oder norwegische Seefahrer rund 500 Jahre vor Kolumbus die Neue Welt entdeckten.
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