Genetik : Ortsverbunden seit der Traumzeit
Australische Forscher haben mit Hilfe von Gendaten nachvollzogen, wann die Ureinwohner den Kontinent betraten und wie sie sich darauf ausbreiteten. Es zeigt sich, dass nicht nur in den Erzählungen der Aborigines eine tiefe Verbundenheit mit dem Land im Vordergrund steht: Tatsächlich blieben wohl viele Gruppen über Zehntausende von Jahren in sich geschlossen und vermutlich auch auf ihr angestammtes Territorium beschränkt. Die Geschichte dieser Gruppen reicht damit in eine Zeit weit jenseits der letzten Eiszeit zurück.
Aus der Analyse des Teams um Alan Cooper von der University of Adelaide geht hervor, dass die Vorfahren der heutigen Aborigines in einer einzelnen Gruppe nach Australien wanderten. Den Zeitpunkt für diese Migration setzen sie bei ungefähr 50 000 Jahren vor heute an. Damals waren Australien und das heutige Neuguinea durch eine gemeinsame Landbrücke zum Kontinent Sahul verbunden.
Weniger als 10 000 Jahre dürfte es gedauert haben, bis die Menschen dann vom asiatischen Festland aus die lebensfreundlichen Zonen des australischen Kontinents bevölkerten. Sie folgten dabei einer Route entlang der Westküste und einer Route entlang der Ostküste.
Wo immer die Menschen noch unbesiedeltes Land erreichten, ließen sich manche von ihnen nieder – und blieben in der Gegend, vermutlich bis in die Neuzeit. Unterdessen spaltete sich eine neue Gruppe ab und zog weiter die Küstenrouten entlang. Eine derartige Verteilung hinterlässt deutliche Spuren in der mtDNA, dem Erbgut der Mitochondrien, die nur von der Mutter weitervererbt werden. Da in zeitlich regelmäßigen Abständen immer neue Mutationen in dieser mtDNA hinzukommen, können Forscher durch Auswertung des Erbguts den Stammbaum der einzelnen Populationsgruppen in groben Zügen rekonstruieren und sogar die einzelnen Abzweigungen datieren.
Keine nennenswerte Vermischung über Jahrtausende
Wären die einzelnen Gruppen – wie in allen anderen Teilen der Welt – zwischenzeitlich weitergewandert, wären sie auf Nachbarstämme gestoßen, was meist unweigerlich zu einer Vermischung des Genpools führt. Dass dies nicht der Fall war, bestätigt nun die Beobachtung von Linguisten: Viele Sprachen auf dem Kontinent entwickelten sich anscheinend über sehr lange Zeiträume isoliert. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass es zu keinem nennenswerten Kontakt mit den Nachbarn kam. Ähnliches ließ sich in Kultur und Aussehen der Menschen feststellen.
Eine Ausnahme davon bildet die Ausbreitung der Pama-Nyunga-Kultur und -Sprachfamilie, die Gegenstand einer 2016 veröffentlichten Studie war. Die Innovationen, die mit dieser Kultur assoziiert sind, breiteten sich vor rund 4000 Jahren über große Teile des Kontinents aus. Allerdings kam es auch hier nicht zur Migration einer nennenswerten Zahl von Menschen – zumindest finden sich keine derartigen Hinweise im Genpool der heutigen australischen Ureinwohner.
Cooper und Kollegen haben für ihre Studie auf Probenmaterial zurückgegriffen, das zwischen 1920 und 1970 bei Expeditionen für das Board for Anthropological Research (BAR) der University of Adelaide gesammelt wurde. Die Forscher nahmen damals mit dem Einverständnis der Teilnehmer Haarproben von über 5000 Ureinwohnern und verzeichneten eine Vielzahl ethnografischer Daten.
Die Proben stammen damit zum Teil noch aus der Zeit vor den radikalen Umsiedlungs- und Umerziehungsaktionen, die die europäischstämmigen Australier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchführten. Der damalige Vorgang ist heute auch unter dem Namen »Gestohlene Generationen« bekannt: Kinder der Ureinwohner wurden von Staats wegen ihren Eltern weggenommen und in Heimen unter Zwang an die europäische Kultur »assimiliert«. Diese und weitere gegen die Kultur der Aborigines gerichteten Aktionen führten dazu, dass viele Menschen ihren uralten Gruppen entrissen und dadurch regelrecht entwurzelt wurden. Viele heutige Ureinwohner können nicht mehr mit Sicherheit angeben, in welcher Gegend ihre Ahnen einst gelebt haben.
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