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News: Paare aus Elektronenwirbeln

Praktisch alle Phänomen der Quantenwelt sind dem gesunden Menschenverstand schwer zugänglich. Denn der beruht auf alltäglichen Erlebnissen, die er aber nur aus der makroskopischen Welt beziehen kann. Doch auch auf den winzigsten Ebenen gibt es Abstufungen. Sogar die meisten Physiker dürften composite fermions als außergewöhnlich empfinden. Diese bestehen aus wild wirbelnden Elektronen, in deren Zentrum sich ein einzelnes solches Teilchen befindet. Doch damit nicht genug: Wie neueste Berechnungen ergaben, sollen sie die Fähigkeit zur Supraleitung besitzen.
Ein composite fermion, ein "zusammengesetztes Fermion", besteht aus einem Elektron, das von tornadoähnlichen Objekten, so genannten quantenmechanischen Vortices oder Wirbeln, umgeben ist. Diese setzen sich ihrerseits aus wirbelnden Elektronen zusammen. "Der quantenmechanische Vortex hat kein Analogon in unserer gewohnten alltäglichen Welt", erklärt Jainendra Jain von der Penn State University. "Aber man könnte ihn sich wie eine Art Strudel in einem See vorstellen. Und so, wie ein Strudel in einem See kein Wasser in seinem Zentrum hat, gibt es im Inneren eines Vortex keine Elektronen." Gelangt dennoch ein Elektron in diesen leeren Raum, entsteht das so genannte composite fermion. "Dieses zusammengesetzte Teilchen verhält sich wie eine Einheit, genau wie im atomaren Maßstab der Verband zweier Wasserstoff-Atome mit einem Sauerstoff-Atom sich wie ein einzelnes Wasser-Molekül verhält."

Zur Herstellung von composite fermions müssen Physiker Elektronen in einen zweidimensionalen Potentialtopf einsperren, der sich zum Beispiel an der Grenzfläche zwischen zwei Halbleitern bilden kann. Danach müssen sie die gefangenen Elektronen fast bis zum absoluten Nullpunkt kühlen und einem starken Magnetfeld aussetzen.

Zum ersten Mal sagte Jain composite fermions im Jahr 1989 voraus, um damit den fraktionierten Quanten-Hall-Effekt zu erklären. Andere Wissenschaftler waren skeptisch, doch schließlich konnte die Existenz der zusammengesetzten Teilchen experimentell nachgewiesen weden. Ihre Eigenschaften ähneln verblüffend normalen Elektronen. "Composite fermion-Systeme haben absolut wunderbare Eigenschaften, die völlig unverständlich sind, wenn man sie sich als Sammlung schwach wechselwirkender Teilchen vorstellt. Aber es lassen sich passende Modelle entwickeln, wenn man sie sich als ein System zusammengesetzter Teilchen vorstellt."

Diesem Ansatz folgend haben Jain und seine Mitarbeiter errechnet, dass composite fermions die Eigenschaft der Cooper-Instabilität haben können, die Supraleitung bei Elektronen hervorruft. Dadurch könnten diese Teilchen die Fähigkeit zur Quantensupraleitung besitzen (Nature vom 24. August 2000).

Eine rätselhafte Entdeckung aus dem Jahr 1987 führte zu den Berechnugen von Jain und seinen Mitarbeitern. Bevor man wusste, dass es composite fermions gibt, fanden R. L. Willett und seine Kollegen von den Bell Laboratories in Murray Hill, New Jersey, einen Zustand ohne elektrischen Widerstand. Frühe theoretische Arbeiten legten nahe, dass composite fermions Paare bilden, doch Klarheit brachten erst die Ergebnisse von Jains Team.

"In der Natur gibt es zwei Arten von Teilchen, Bosonen und Fermionen", sagt Jain. "Bosonen bilden einen suprafluiden Zustand, in dem sie sich alle im gleichen Quantenzustand befinden. Fermionen hingegen dürfen nicht den gleichen Zustand besetzen. Stattdessen bilden sie einen Fermi-See. Finden sie sich zu Paaren, so genannten Cooper-Paaren, können sie supraleitend werden. Die Entstehung dieser Cooper-Paare verursacht eine Instabilität im Fermi-See, welche die Umwandlung des Materials in einen supraleitenden Zustand katalysiert."

Elektronen besetzen in einem starken Magnetfeld diskrete Energie-Stufen. Daher müssen sie Quantensprünge vollführen, um von einem Niveau zu einem anderen zu kommen. Supraleitung tritt hingegen in einem Fermi-See mit einer kontinuierlichen Verteilung von Energiezuständen auf. Obwohl ein starkes Magnetfeld nötig ist, um composite fermions zu erzeugen, verhalten diese sich bei bestimmten Feldstärken so, "als ob sie das Magnetfeld überhaupt nicht spüren würden", erklärt Jain. "Daher bilden sie einen Fermi-See, was Teilchen normalerweise nur tun können, wenn kein starkes Magnetfeld in der Nähe ist."

Außer einem Fermi-See erfordert Cooper-Paarbildung eine anziehende Kraft zwischen Elektronen. "Obwohl Elektronen sich normalerweise stark abstoßen, bringen die Quanten-Vortices in composite fermions sie dazu, sich leicht anzuziehen. Dadurch können sie sich zu Paaren binden", sagt Jain.

"Erst einmal bleibt es ein Rätsel, warum genau sich composite fermions bilden", sagt der Wissenschaftler. "Wir verstehen noch nicht ganz, warum Elektronen sich im Inneren von Quanten-Vortices aufhalten möchten."

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