Paläogenetik: »Jeder besitzt Erbgut vom Neandertaler«
Für seine Erkenntnisse zur menschlichen Evolution ist der in Leipzig forschende Schwede Svante Pääbo mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Das teilte das Karolinska-Institut am 3. Oktober 2022 in Stockholm mit. Pääbo ist Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Er sequenzierte unter anderem als erster Forscher das Neandertalergenom. Inwiefern in uns allen ein Stück Neandertaler steckt, was das für unsere Gesundheit bedeutet und warum es interessant ist, darüber zu spekulieren, welche Rolle Neandertaler heute in der Gesellschaft spielen würden, erklärte er bereits 2021 im Interview mit »Spektrum der Wissenschaft«.
Herr Professor Pääbo, 1997 gelang es Ihnen, mitochondriale DNA eines Neandertalers zu entziffern. 2010 erfolgte die große Überraschung, als Sie im Erbgut der heutigen Menschen Spuren von Neandertalern nachgewiesen haben. Wie viele Genome von Neandertalern sind denn inzwischen bekannt?
Das hängt davon ab, wie man zählt: Wir haben drei Genome sequenziert, deren Qualität die von jetzt lebenden Menschen erreicht. Dann gibt es noch mindestens fünf andere Genome in niedrigerer Qualität sowie eine größere Menge, bei denen uns nur bruchstückhafte Informationen vorliegen. Aber mit den drei erstgenannten kann man wirklich gute Vergleiche anstellen, so wie beim Erbgut von heutigen Menschen.
In der Zeitschrift »Nature« berichten Sie, eine Genvariante, die vom Neandertaler stamme, erhöhe das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19. Wie kann ein altes genetisches Erbe den Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit einem neuartigen Erreger beeinflussen?
Die Neandertaler lebten über eine halbe Million Jahre lang getrennt von den afrikanischen Vorfahren des anatomisch modernen Menschen. Dabei haben sie sich an Krankheitserreger genetisch angepasst, also an Viren und Bakterien, die in diesen Hunderttausenden von Jahren in Asien und Europa vorkamen. Wenn solche genetischen Neandertalervarianten bei jetzt lebenden Menschen auftauchen, beeinflussen sie manchmal immer noch die Antwort auf Pathogene. Einige von uns tragen auf Chromosom 3 tragischerweise eine Neandertalervariante, die das Risiko stark erhöht, schwer zu erkranken, wenn man sich mit Sars-CoV-2 ansteckt. Wer eine Kopie dieser Variante entweder von der Mutter oder vom Vater geerbt hat, besitzt ein ungefähr doppelt so hohes Risiko, nach einer Infektion auf der Intensivstation zu landen. Bei zwei Kopien, also je eine von beiden Elternteilen, steigt das Risiko wahrscheinlich noch einmal an.
Wie sind Sie zu dem Ergebnis gekommen?
Wir arbeiten mit einem großen internationalen Konsortium zusammen, das genetische Risikofaktoren für Covid-19 untersucht. Dabei vergleichen wir Individuen, die schwer erkrankten, mit solchen, bei denen nach einer Infektion nur sehr wenige Symptome auftraten. Die ersten Ergebnisse wurden im Juni 2020 veröffentlicht. Und da zeigte sich auf Chromosom 3 eine hohe Auffälligkeit in Bezug auf das Krankheitsrisiko. Wir haben die Region dann mit Neandertalererbgut verglichen und stellten dabei fest, dass Personen mit einem größeren Risiko dort ungefähr 50 000 Basenpaare tragen, die fast identisch sind mit denen von Neandertalern. Danach konnten wir zeigen, dass diese Variante tatsächlich von Neandertalern stammt und nicht von den gemeinsamen Vorfahren, die wir mit ihnen teilen. Weil das DNA-Stück so lang ist, muss es vor erst 50 000 bis 70 000 Jahren in unserem Erbgut aufgetaucht sein.
Wenn sich diese Genversion so lange gehalten hat, sollte sie für den Neandertaler einen Vorteil gehabt haben. Was könnte das sein?
Erst einmal möchte ich behaupten: Nicht alles muss einen Vorteil haben – es darf sich nur nicht zu negativ auswirken. Was die Genversion beim Neandertaler tat, wissen wir nicht. Beim modernen Menschen gab es sicherlich in der Vergangenheit Auswirkungen, weil die weltweite Verteilung äußerst ungewöhnlich ist: In Europa tragen ungefähr 16 Prozent der Bevölkerung eine oder zwei Kopien der Variante, in Südasien sind es 50 bis 60 Prozent. Da kommt sie demnach sehr häufig vor. Das deutet darauf hin, dass sie dort von Vorteil war und daher in der Häufigkeit stark zunahm. Vielleicht hatte das mit irgendeiner anderen ansteckenden Krankheit zu tun. In Ostasien, also in China oder Japan, fehlt diese Genversion völlig. Hier wurde sie wohl herausselektioniert. Wie sie sich genau auswirkt, versuchen wir und andere Wissenschaftler jetzt herauszufinden.
»Einige von uns tragen auf Chromosom 3 tragischerweise eine Neandertalervariante, die das Risiko stark erhöht, an Covid-19 schwer zu erkranken«
Sie haben die weltweite Verteilung der Genvariante angesprochen. Inwieweit deckt sich das mit der Verbreitung von schweren Covid-19-Verläufen?
Die Variante kann beeinflussen, wie viele Menschen an Covid-19 schwer erkranken. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um den einzigen Faktor – noch nicht einmal um den wichtigsten. Das männliche Geschlecht ist ein weiterer Risikofaktor, aber das höchste Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf liegt im Alter. Allerdings wird es durch die Neandertalerversion erheblich gesteigert: Wenn ich eine Kopie geerbt habe, ist das Risiko so stark erhöht, wie wenn ich 10 bis 20 Jahre älter wäre. In Afrika gibt es im Vergleich zu anderen Teilen der Welt weniger schwere Verläufe. Da ist die Bevölkerung zum einen viel jünger, und zum anderen kommt diese Genvariante in Afrika, wo es ja keine Neandertaler gab, fast nicht vor.
Wenn die risikoreiche Variante in Afrika praktisch fehlt, wieso sind in den USA vor allem Afroamerikaner von schweren Verläufen betroffen?
Wie gesagt gibt es hier noch andere Einflüsse; die Variante trägt lediglich zum Risiko bei. Sozioökonomische Faktoren wie etwa der Zugang zur Krankenversorgung sind sicherlich viel wichtiger.
Welche weiteren Genversionen vom Neandertaler schlummern in unserem Erbgut?
Sehr viele. Jeder Mensch, dessen genetische Wurzeln außerhalb Afrikas liegen, besitzt Erbgut vom Neandertaler, aber individuell sehr unterschiedliche Teile. Schaut man sich die Sequenzen von einigen tausend Personen an, findet man insgesamt ungefähr die Hälfte des Neandertalergenoms; bei jedem einzelnen Individuum sind es jedoch nur ein oder zwei Prozent. So stießen wir 2020 auf eine Neandertalervariante, die das Schmerzempfinden beeinflusst, weil sie einen Ionenkanal der entsprechenden Nervenzellen verändert. Wer diese Version trägt, reagiert empfindlicher auf Schmerz. Aber sie kommt nur sehr selten vor. Eine weitere Neandertalervariante, die wir ebenfalls 2020 entdeckten, wirkt sich auf den Rezeptor für das Hormon Progesteron aus. Sie schützt damit vor Fehlgeburten. Statistisch lässt sich sogar nachweisen, dass Personen mit dieser Genversion mehr Kinder haben. Es gibt also Neandertalervarianten, die sich positiv auswirken, während andere eher ungünstig sind. Etliche Versionen beeinflussen zudem unsere Immunabwehr.
Haben bestimmte Neandertalerversionen die geistige Entwicklung des jetzigen Menschen beeinflusst?
Vielleicht werden wir so etwas in Zukunft finden, aber bislang wissen wir nichts darüber.
Gibt es einen übergreifenden Zusammenhang zwischen den Genvarianten, die wir vom Neandertaler geerbt haben?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich glaube, das sind eher zufällige Bruchstücke, die jeder von uns mit Wurzeln außerhalb Afrikas trägt. Es gibt sieben große Bereiche im Genom, bei denen wir statistisch gesehen Beiträge vom Neandertaler erwarten würden, aber nichts finden. Vielleicht sind sie besonders wichtig für den modernen Menschen. Warum das so ist, wissen wir nicht.
Was hat umgekehrt der Neandertaler vom jetzigen Menschen übernommen?
Auch das wissen wir nicht genau. Es hat ja nur der moderne Mensch überlebt. Wir können also lediglich in unserem Genom nach Beiträgen des Neandertalers suchen. Die Neandertaler haben sich erst sehr spät in ihrer Geschichte mit modernen Menschen gemischt. Um herauszufinden, welche Anteile in die andere Richtung gingen, bräuchten wir die Überreste eines Neandertalers, der so spät gelebt hat, dass seine Vorfahren moderne Menschen treffen konnten. In den wenigen solch späten Neandertalern, die wir bis jetzt untersucht haben, sind wir nicht auf einen genetischen Beitrag von modernen Menschen gestoßen. Es gibt zwar Hinweise, dass es vor etwa 200 000 Jahren geringe genetische Beiträge des modernen Menschen zum Neandertaler gab. Aber wir haben keine Ahnung, wie sich diese funktionell auswirkten.
Haben sich Neandertaler und moderner Mensch denn mehrmals vermischt?
Ein großer Teil dieser Vermischungen muss früh passiert sein, als der moderne Mensch Afrika verlassen hat, weil alle Menschen außerhalb Afrikas Neandertalererbgut tragen. Bei einem 40 000 Jahre alten Fossil eines anatomisch modernen Menschen, das man in Rumänien gefunden hat, konnten wir aber einen Neandertalervorfahren vor vier bis sechs Generationen nachweisen. Vermischungen haben also auch lokal stattgefunden. Inzwischen sind noch andere, zum Teil unveröffentlichte Daten hinzugekommen, die zeigen, dass das öfter passierte.
Warum ist Ihrer Meinung nach der Neandertaler ausgestorben?
Das ist noch völlig unklar. Allerdings ist es natürlich bemerkenswert zu beobachten, wie sich verschiedene Genomabschnitte in einer Pandemie wie der jetzigen auswirken. So liegt zum Beispiel auf Chromosom 12 ein Bereich, den wir vom Neandertaler geerbt haben, der uns vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützt. Aber der Effekt ist bescheiden, er verringert das Risiko lediglich um ungefähr 20 Prozent. Im Gegensatz dazu steigt das Risiko bei der vorhin erwähnten Neandertalervariante auf Chromosom 3 um 100 Prozent, es verdoppelt sich also. Ende 2020 haben wir außerdem noch auf Chromosom 2 einen Neandertalerbeitrag gefunden, der das Risiko ebenfalls zu vergrößern scheint. Insofern könnte man spekulieren: Ein Neandertaler, der zwei Kopien des Risikogens auf Chromosom 3 und noch andere Risikovarianten besaß, hätte wahrscheinlich ein hohes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Das zeigt zumindest, dass Infektionskrankheiten eine Rolle gespielt haben könnten. So war es auch in Amerika, dessen ursprüngliche Bevölkerung 30 000 Jahre lang isoliert gelebt hatte und sich an die dort existierenden Krankheitserreger einigermaßen angepasst hatte. Als dann die Europäer kamen, brachten sie neue Keime mit, was sich verheerend auf die dortigen Menschen auswirkte. So etwas Ähnliches könnte passiert sein, als Neandertaler und moderner Mensch aufeinanderstießen.
»Würden Neandertaler heute in einem Zoo leben oder in unseren Vorstädten? Das wissen wir nicht«
Wenn wir uns in einem Gedankenexperiment vorstellen, es gäbe heute noch Neandertaler: Welche gesellschaftliche Rolle würden sie spielen?
Es ist tatsächlich interessant, darüber zu spekulieren. Es ist ja nicht so lange her, dass es Neandertaler gab, vielleicht 1200 Generationen. Würden sie heute in einem Zoo leben oder in unseren Vorstädten? Das wissen wir nicht. Vielleicht gäbe es einen noch schlimmeren Rassismus gegen Neandertaler als der, denn wir heute gegen fremde Menschen erleben, weil sie sich ja wirklich von uns in mancherlei Hinsicht unterschieden. Andererseits könnte eine andere Menschenform, mit der wir etliche Dinge wie etwa Kultur teilen, dazu führen, die absolute Trennung zwischen Tier und Mensch aufzuweichen. Die meisten von uns empfinden einen ganz klaren Unterschied zwischen uns und den Tieren. Wäre der Mensch diverser, wäre das vielleicht anders. Ich finde es faszinierend, darüber nachzudenken.
Der anatomisch moderne Mensch und der Neandertaler galten lange als zwei verschiedene Arten namens Homo sapiens und Homo neanderthalensis. Wenn sie aber fruchtbare Nachkommen erzeugen konnten, widerspricht das dem biologischen Artkonzept. Kann man dennoch von der Spezies Neandertaler sprechen?
Ehrlich gesagt vermeide ich lieber diese Frage. Ich empfinde das als eine akademische, sterile Diskussion. Es gibt keine Artdefinition, die für alle Gruppen von Tieren oder Hominiden zutrifft. Eine häufige Definition ist der von Ihnen erwähnte biologische Artbegriff, nach dem es sich um eine Art handelt, wenn zwei Gruppen fruchtbare Nachkommen erzeugen. Demnach wären Neandertaler und moderner Mensch ganz klar dieselbe Art. Aber man kann einwenden: Wie sieht es bei Braunbären und Eisbären aus? Sie können fruchtbare Nachkommen haben, wenn sie sich treffen. Gehören sie deshalb zur selben Art? Das wäre doch etwas seltsam. Schließlich sehen sie anders aus, sie verhalten sich anders, und sie sind an unterschiedliche Umweltfaktoren angepasst. Es ist typisch menschlich, alles in Fächer einordnen zu wollen und Arten von Unterarten zu trennen. Für mich ist viel interessanter: Wie haben sich unsere Vorfahren verhalten? Was hat uns voneinander unterschieden? Wie viel haben wir gemeinsam? Ob dann irgendein Gelehrter das Art oder Unterart nennen möchte, ist mir eigentlich egal.
2010 entdeckten Sie anhand genetischer Spuren eine weitere Form des Menschen: den Denisovaner. Bislang gibt es hierzu noch keine Artbeschreibung. Lässt sich eine biologische Spezies allein auf Grund genetischer Daten begründen?
Anhand der bisher bekannten genetischen Funde können wir abschätzen, dass sich die Denisovaner vor schätzungsweise 400 000 Jahren von den Neandertalern getrennt haben. Handelt es sich dann um eine andere Art? Ich nenne sie lieber wie Sie eine andere Form oder Gruppe des Menschen.
Jetzt möchten wir natürlich gerne wissen, wie der Denisovaner ausgesehen hat. Hierzu gibt es bereits Rekonstruktionsversuche am Computer. Was halten Sie von solchen Ansätzen?
Nicht viel. Wenn Sie zum Beispiel versuchen, mein Äußeres aus meinem Genom zu rekonstruieren, wird das Ergebnis ziemlich danebenliegen. Das wird natürlich noch schwieriger, wenn Sie die Auswirkungen von Variationen innerhalb der Gruppe nicht kennen. Schaut man sich beim jetzt lebenden Menschen die DNA-Beiträge von Neandertalern an, die die Hautfarbe beeinflussen, gibt es Varianten, die sowohl zu dunkler als auch zu heller Haut führen. Das deutet darauf hin, dass der Neandertaler wahrscheinlich genauso wie wir unterschiedliche Hautfarben hatte. Deswegen halte ich wenig von solchen Rekonstruktionen. Wir müssen eher hoffen, dass Paläontologen irgendwann einige gut erhaltene Skelette finden.
Wie viele menschliche Formen gab es noch außer den Denisovanern und den Neandertalern, als der anatomisch moderne Mensch Afrika verließ?
Von Skeletten von der indonesischen Insel Flores wissen wir, dass hier eine kleinwüchsige Gruppe lebte, die manchmal als »Hobbits« bezeichnet werden. Und in Afrika existierten mehrere unterschiedliche Menschenformen, wie zum Beispiel die Funde aus der südafrikanischen Höhle Rising Star zeigen. Wir kennen also mindestens vier oder fünf andere Gruppen, vielleicht gab es mehr.
Nach der so genannten Out-of-Africa-Hypothese stammt die gesamte heutige Menschheit von Auswanderern des Homo sapiens aus Afrika ab. Wenn sich menschliche Formen in Europa und Asien erfolgreich vermischten, ist die Out-of-Africa-Hypothese dann noch haltbar?
Absolut gesehen stimmt die Out-of-Africa-Hypothese nicht mehr. 98 Prozent meines Genoms kommen aus Afrika, aber zwei Prozent habe ich von früheren Formen aus Europa übernommen. Doch im Großen und Ganzen gilt natürlich immer noch, dass der moderne Mensch aus Afrika stammt.
Sie arbeiten als Biologe, haben jedoch auch Ägyptologie studiert. Sie kennen also beide Seiten: Naturwissenschaft und klassische Archäologie. Welche Probleme treten bei der Zusammenarbeit dieser Disziplinen auf?
Insgesamt stellt die Zusammenarbeit eine große Bereicherung dar. Wenn man wie wir die genetische Geschichte und die DNA von alten Überresten untersucht, ist man auf die Funde der Archäologen und Paläontologen angewiesen, die uns ja erst unsere Untersuchungen ermöglichen. Wir können dann die genetische Seite der Geschichte erhellen, die sich anhand von Fossilien und Artefakten nicht klären lässt. Dabei handelt es sich natürlich nur um einen Aspekt der Geschichte der Menschheit – und der ist vielleicht gar nicht der wichtigste. Wenn ich zum Beispiel nach Griechenland fahre, berührt es mich sehr, den Ursprung meiner Kultur und der Demokratie zu sehen, obwohl meine genetischen Vorfahren sicherlich keine Griechen waren. Das zeigt doch, dass die kulturelle Geschichte für mich als Individuum eigentlich viel wichtiger ist als die genetische. Die Genetik trägt also dazu bei, einige Aspekte unserer Vergangenheit zu verstehen. Insofern ist das eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Genetikern und Archäologen. Auf der anderen Seite können sich manche Kollegen bedroht fühlen, wenn eine neue Methode auftaucht, statt sie als Bereicherung zu sehen. Das kommt immer wieder vor. Das war auch so, als die Kohlenstoffdatierung kam. Einige Wissenschaftler hat es da sehr gestört, dass sich ihre Lieblingstheorien als falsch entpuppten.
»Absolut gesehen stimmt die Out-of-Africa-Hypothese nicht mehr«
Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie Erbgut aus ägyptischen Mumien isoliert. Gibt es neue genetische Erkenntnisse über Mumien seit Ihrem damaligen Durchbruch?
Das kommt jetzt langsam wieder in Fahrt. Es ist meist ziemlich schwierig, DNA aus ägyptischen Mumien zu gewinnen, weil das Klima so heiß ist. Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hier in Leipzig, hat inzwischen einige Mumien untersucht und wird dazu mehrere Daten veröffentlichen. Das wird sicherlich interessante Erkenntnisse zum Beispiel dazu liefern, welche Gruppen die ägyptische Kultur begründet haben.
Woran arbeiten Sie jetzt?
Wir haben uns intensiv mit den coronarelevanten Varianten von Neandertalern beschäftigt. Nun versuchen wir, sie auch funktionell zu verstehen: Was unterscheidet die Neandertalervariante auf Chromosom 3 von der schützenden Version? Wie werden dort die Gene exprimiert? Die Sequenzierung alter Genome überlasse ich inzwischen mehr und mehr meinen Kollegen. Ich habe noch acht Jahre bis zu meiner Emeritierung, und die Zeit will ich nutzen, um mich verstärkt auf solche funktionellen Fragen zu konzentrieren.
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