Paläontologie: Adler entpuppt sich als Geier
Es ist erst wenige zehntausend Jahre her, da zogen noch riesige Beuteltiere durch Australiens Savannen – ähnlich wie die großen Herden durch die Serengeti. Starb eines dieser Tiere, waren die Verwerter nicht fern. Zu solchen Aasfressern gehörten nach den Erkenntnissen von Ellen Mather von der Flinders University und ihrem Team auch Geier, wie sie in »Zootaxa« schreiben.
Die Arbeitsgruppe hatte fossile Vogelknochen, die vor 100 Jahren gefunden worden waren, neu untersucht und mit weiterem Material abgeglichen, das in den letzten Jahren ausgegraben wurde. Damals hatten Paläontologen sie als Überreste eines Adlers identifiziert, doch Mather und Co kamen nach einem Vergleich der Knochen mit denen verschiedener Greifvögel zu einem anderen Schluss. Der untere Fußknochen beispielsweise war zu schwach ausgeprägt, um damit aktiv Beute schlagen zu können. »Es war sofort klar, dass dieser Vogel nicht an das Jagen angepasst war und daher weder ein Habichtsartiger noch ein Adler war«, sagt Mather.
Eine phylogenetische Analyse ordnete die Art ebenfalls bei den Geiern ein und nicht bei den echten Adlern. Entsprechend änderte das Team die Benennung der Art von Taphaetus lacertosus zu Cryptogyps lacertosus, um die Verwandtschaft mit der Linie der Altweltgeier der Gattung Gyps zu verdeutlichen.
»Die Entdeckung löst das Rätsel, was mit so vielen Kadavern der Megafauna geschah, als es auf dem Kontinent angeblich noch keine Geier gab. Jetzt wissen wir, dass sie hier waren. Sie waren vor aller Augen versteckt«, sagt der an der Studie beteiligte Trevor Worthy von der Flinders University. Der erste Knochen von Cryptogyps lacertosus, das Fragment eines Flügelknochens, wurde 1901 in der Nähe von Kalamurina Homestead am Warburton River in Südaustralien gefunden. Sein Entdecker hielt ihn für einen ausgestorbenen Verwandten des Keilschwanzadlers, der heute noch in Australien lebt und Aas nicht verschmäht.
Wie viele andere Bestandteile der australischen Megafauna starben die Geier bald nach Ankunft der ersten Menschen auf dem Kontinent aus. Wahrscheinlich jagten diese die Vögel nicht, aber mit dem Ende der großen Säugetiere ging ihnen womöglich die Nahrung aus. Ökologische Folgen dürfte das dennoch gehabt haben, sagt Mather: »Geier spielen eine sehr wichtige Rolle in Ökosystemen, indem sie den Verzehr von Kadavern beschleunigen und die Ausbreitung von Krankheiten verhindern. Der Verlust von Cryptogyps dürfte die Funktion des Ökosystems für eine lange Zeit drastisch verändert haben, da andere Arten erst nach und nach diese Nische zu füllen begannen.«
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