Paläontologie: Früher Vogel fraß das Blatt
Der Hoatzin aus Südamerikas Regenwäldern ist ein außergewöhnlicher Vogel: Die Jungtiere hangeln sich mit Flügelkrallen durchs Geäst und die Altvögel ernähren sich überwiegend von Blättern, die sie ähnlich wie Rinder verdauen. Keine andere lebende Vogelart weltweit weist ähnliche Merkmale auf, weshalb die Hoatzine sogar eine eigene Ordnung in der Systematik der Vögel bilden. In der evolutionären Geschichte der Federtiere ernährten sich aber offensichtlich noch mehr Arten von Blättern, wie ein Fund aus dem nordöstlichen China belegt: Im Magen eines Fossils der Art Jeholornis wies ein Team um Wu Yan von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften entsprechende Reste nach, wie sie in »Nature Communications« mitteilen.
Die Versteinerung aus der Zeit vor 120 Millionen Jahren bilde den ältesten bislang bekannten Nachweis für diese Art Nahrung, schreibt das Team. Der fasanengroße Jeholornis, ein Mitglied der zweitursprünglichsten Linie unter den bekannten Vögel, besaß Zähne und einen langen knöchernen Schwanz – ähnlich wie seine gefiederten Raubsaurierverwandten. Die mikroskopische Analyse der versteinerten Reste im Magen dieses jungen, baumbewohnenden Vogels belege jedoch, dass Jeholornis kein Raubsaurier war. Er hatte die Blätter von Magnolien gefressen, deren Verwandte noch heute auf der Erde wachsen.
Neben Einblicken in die frühe Ernährung von Vögeln liefert die Studie ebenfalls Hinweise auf die Evolution zwischen ihnen und den Bäumen: Wälder weisen heute die größte Artenvielfalt an Vögeln auf, die die Gewächse bestäuben, Früchte fressen und Samen verbreiten sowie im Geäst oder in Baumhöhlen nisten. Auch Jeholornis nahm neben den Blättern Früchte und Samen auf, wie weitere Fossilien der Art zeigen.
»Die Fossilien aus der Jehol-Fauna in China zeigen uns, dass die Vögel schon sehr früh in der Evolution von einem räuberischen Verhalten dazu übergingen, ihre Flügel zu benutzen, um in Bäume zu fliegen, wo sie die Früchte, Samen und Blätter der Pflanzen fressen konnten. Ähnlich, wie es heute viele Arten tun«, sagt Li Zhiheng vom IVPP.
Um die Ernährung der frühen Vögel besser zu verstehen, suchte die Gruppe nach mikroskopisch kleinen, versteinerten Pflanzenbestandteilen in den Resten des Mageninhalts im Vogelskelett, den so genannten Phytolithen. Dabei handelt es sich um feste mikroskopische Strukturen aus opalem Siliziumdioxid, die von Pflanzen in und zwischen ihren Zellen gebildet werden. Tatsächlich entdeckte das Team Hunderte von Phytolithen, nachdem sie die winzigen Proben mit Säure und anderen Chemikalien bearbeitet hatten, um störendes Material rund um diese Steinchen zu entfernen.
»Nach einem Vergleich mit über 4000 Typen heutiger Phytolithen können wir sagen, dass die meisten der identifizierbaren fossilen Überreste im Magen von den Magnolienblättern stammen müssen, so Yan. Ähnliche Proben des Gesteins, welches das fossile Vogelskelett umgab, zeigten dagegen keine Phytolithenreste: Sie stammen also wirklich aus der Nahrung des Vogels. Der Unterkiefer von Jeholornis ähnelt zudem jenem vom Hoatzin, dem heutigen Blattspezialisten. »Wie wir an diesem ausgestorbenen, vegetarischen, baumlebenden Vogel sehen können, ist die Evolution der Vögel seit über 100 Millionen Jahren mit blühenden Pflanzen verbunden. Früchte, Samen und sogar Blätter standen schon als Hauptgerichte auf dem Speiseplan der Vögel standen, sogar als sie noch Zähne und lange, knochige Dinosaurierschwänze besaßen«, schließt der ebenfalls an der Studie beteiligte Thomas Stidham von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
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