Evolution: Der älteste Baum der Welt ähnelt einer Bakterienkolonie
Einer der ältesten und größten Organismen der Erde, ein Wald aus den Klonen einer einzigen Zitterpappel (Populus tremuloides), hat eine evolutionäre Doppelnatur. Einerseits verhält er sich biologisch wie Bakterien in einer Petrischale – andererseits bewahrten wirkungsvolle genetische Schutzmechanismen seine individuelle Identität über zehntausende Jahre, berichtet ein Team um Rozenn M. Pineau vom Georgia Institute of Technology und Zachariah Gompert in einer Vorabveröffentlichung. Die Fachleute führten eine umfassende Analyse von rund 4000 Mutationen bei dem »Pando« genannten, fast 43 Hektar einnehmenden Pappelklon durch. Pando besteht aus zehntausenden Einzelbäumchen, die jedoch alle miteinander verbunden und Klone der Mutterpflanze sind. Laut genetischen Analysen ist er mindestens 16 000 Jahre alt.
Zitterpappeln bilden unterirdische, bis zu 15 Meter lange Seitenwurzeln, aus denen neue Bäume sprießen. Diese »Rameten« bringen ihrerseits Seitenwurzeln und Nachkommen hervor. Bei dieser so genannten vegetativen Vermehrung sind alle Einzelbäume über ihre Wurzeln verbunden und genetische Klone der Ursprungspflanze. Dadurch können solche Klon-Wäldchen sich über große Flächen ausbreiten und sehr alt werden. Pando zum Beispiel besteht aus rund 47 000 einzelnen Rameten und ist mindestens 16 000 Jahre alt. Pando pflanzt sich außerdem wahrscheinlich nicht mehr sexuell fort – die Pflanze ist triploid, sie hat also drei Chromosomensätze, und solche Bäume sind meist kaum noch fruchtbar. Dadurch ist nicht nur Pando vom Rest der Art isoliert, auch seine einzelnen Rameten bilden voneinander getrennte Abstammungslinien.
Taucht in einem Bäumchen nun eine Mutation auf, bleibt sie in allen Nachkommen dieses Baums erhalten. Die einzelnen Rameten leben außerdem sehr viel kürzer als der ganze, mehrere tausend Jahre alte Klon. Deswegen ist Pando weniger ein individueller Organismus als eine über lange Zeit evolvierende Population verschiedener Abstammungslinien. Die Arbeitsgruppe um Pineau und Gompert untersuchte nun, wie diese unterscheidbaren Abstammungslinien innerhalb des Klons verteilt sind. Insgesamt analysierte sie rund 4000 Einzelmutationen, die Pando über die Jahrtausende angesammelt hat. Dabei erlebten die Fachleute eine große Überraschung.
Wegen der gemeinsamen Abstammung würde man erwarten, dass Bäume mit gleichen Mutationen dicht beieinanderstehen – dass Pando folglich aus vielen »Mini-Pandos«, also Baumgruppen voneinander abstammender Bäume, besteht. Tatsächlich jedoch fand das Team nur eine geringe Abweichung von der Zufallsverteilung. Demnach ist das komplette Wäldchen genetisch gut durchmischt – und das, obwohl zwischen Mutter- und Tochterbaum jeweils lediglich bis zu 15 Meter Abstand liegen. Demnach bilden sich neue Abstammungslinien viel langsamer, als sie sich innerhalb des gesamten Wäldchens ausbreiten.
Den Grund fanden die Fachleute, als sie die Verteilung von Mutationen in Abständen von bis zu 15 Metern analysierten. Auf diesen kleinen Skalen nämlich fanden sie sehr wohl einen Zusammenhang zwischen genetischer und räumlicher Nähe – allerdings nur bei Blättern. In langlebigen Geweben dagegen sammelten sich Mutationen sehr viel langsamer an. Die Arbeitsgruppe schließt daraus, dass die langlebigen Gewebe der Zitterpappeln einen besonderen Schutzmechanismus vor Mutationen haben. Dieser verhindert, dass das Erbgut eines Klons über die Jahrtausende zu stark verändert wird. Welcher Mechanismus dahintersteckt, ist noch unklar. Aber er führt dazu, dass selbst ein dutzende Hektar großer Wald über Jahrtausende hinweg genetisch noch ein Individuum bleibt.
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