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Der Papageno-Effekt: Medien können Lebensmüden neue Hoffnung geben

Menschen mit Suizidgedanken sehen manchmal nur noch einen Ausweg aus ihrem Leid: dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Die Medien können helfen – mit Geschichten über Menschen, die ihre Krisen bewältigt haben.
Halbdurchsichtige Silhouette eines Mannes, der auf einer Bank am See sitzt

In Mozarts »Die Zauberflöte« will sich der verzweifelte Papageno das Leben nehmen. Doch als drei Kinder ihm einen anderen Weg aufzeigen, entscheidet er sich um. Können lebensmüde Menschen womöglich auch aus Medienberichten neue Hoffnung schöpfen? Auf diese Idee kam eine Forschungsgruppe von der Medizinischen Universität Wien, als sie nach einem Zusammenhang zwischen Medienberichten und Suizidstatistiken in Österreich suchte, und hob 2010 den Papageno-Effekt aus der Taufe. Bislang ließ er sich aber nur in wenigen Studien nachweisen.

Nun hat einer der Wiener Gruppe, Thomas Niederkrotenthaler, mit einem internationalen Team acht Studien neu ausgewertet, die solche Medienberichte und ihre Wirkung experimentell mit mehr als 2300 Versuchspersonen untersucht haben. Die Metaanalyse offenbarte tatsächlich einen kleinen Effekt, wie die Forschenden berichten: Die Suizidgedanken nahmen ab. »Geschichten über Menschen, die in der Lage waren, ihre suizidalen Krisen erfolgreich zu bewältigen, können einen Rückgang an Suizidalität bewirken«, schrieben Niederkrotenthaler und sein Kollege Benedikt Til bereits 2019 über den aktuellen Forschungsstand.

Es sei allerdings nicht vollständig geklärt, was dem Effekt psychologisch zu Grunde liegt und welche Art von Artikel hierzu beiträgt. Erfahrungsberichte von Betroffenen braucht es dabei offenbar nicht. In einem Experiment aus dem Jahr 2018 hatte ein Team um Till und Niederkrotenthaler mehr als 500 Erwachsene gebeten, einen Zeitungsartikel zu lesen, in dem eine Expertin über Wege aufklärte, einem Suizid vorzubeugen. In einer Versuchsbedingung erzählte sie dabei auch, wie sie selbst als Jugendliche eine suizidale Krise bewältigt hatte; in einer anderen Variante tat sie das nicht. In beiden Fällen berichteten die Versuchspersonen über weniger Suizidgedanken als eine Kontrollgruppe, die ein Interview über ein anderes Gesundheitsthema gelesen hatte. Die Aufklärung wirkte offenbar mit und ohne persönlichen Erfahrungsbericht.

»Wenn die Medien auf Bewältigungsstrategien für suizidale Gedanken fokussieren, kann das Suizidgedanken verringern«, sagen Till und Niederkrotenthaler. »Daher sollten auch in der Berichterstattung über Suizidalität Behandlungserfolge und Möglichkeiten für Auswege aus der Krise Eingang finden.« Das bedeutet, über Warnsignale, Hilfsangebote und das Leid der Hinterbliebenen aufzuklären.

Der Papageno-Effekt hat einen berühmten Bruder

Empfehlungen zum medialen Umgang mit Suiziden gibt es schon lange. Hintergrund ist der vielfach belegte »Werther-Effekt«. Der Name geht zurück auf Goethes Briefroman »Die Leiden des jungen Werthers« aus dem Jahr 1774, an dessen Ende sich die Hauptperson aus unglücklicher Liebe das Leben nimmt. Nach der Veröffentlichung soll es zahlreiche Nachahmungstaten gegeben haben. Heute ist der »Werther-Effekt« vor allem nach Medienberichten über prominente Suizide zu beobachten, wie dem von Fußballtorwart Robert Enke 2009 oder von Schauspieler Robin Williams 2014. In den beiden Folgemonaten stieg die Zahl der Suizide um 8 bis 18 Prozent https://www.bmj.com/content/368/bmj.m575, stellte wiederum ein Team um Niederkrotenthaler 2020 in einer Metaanalyse fest.

Um solchen Nachahmungstaten vorzubeugen, empfiehlt das Nationale Suizidpräventionsprogramm für Deutschland unter anderem, keine Details zu Person, Methode und Begleitumständen zu nennen, keine einfache oder nachvollziehbare Erklärung anzubieten und keine Abschiedsworte zu zitieren. Fachleute sprechen sich außerdem für eine neutrale Wortwahl aus, wie »Suizid« oder »Selbsttötung« an Stelle von »Selbstmord« oder »Freitod«. Auch die Leitlinien des Deutschen Pressekodex fordern Zurückhaltung in der Berichterstattung über Selbsttötungen.

Wege aus der Not

Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: an den Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.

Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 0800 1110333 und können sich auf der Seite www.u25-deutschland.de per Mail von einem Peer beraten lassen.

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